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geübt; die Begeisterung, mit welcher Winckelmann allgemein verehrt wurde, ließ Oeser in einem höheren Licht glänzen und der persönliche Eindruck dieses Mannes gab auch der Verehrung für Winckelmann einen bestimmten gleichsam persönlichen Charakter. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf daher alle die Nachricht von Winckelmanns Tode zu der Zeit, da man eben seinem Besuch entgegensah. Auch auf diesem Gebiet war es Lessing, der durch seinen Laokoon ein ungeahntes helles Licht in die jüngern Geister warf, und reinigend und stärkend wie kein anderer sie ergriff, indem er ihnen nicht sowohl die Wahrheit als den Weg zeigte, auf welchem sie zu derselben gelangen konnten, und mit sittlichem Ernst von ihnen verlangte, daß sie den Schweiß und selbst den Schmerz der Anstrengung nicht scheueten, um die Wahrheit zu erringen. Noch können wir die Spuren erkennen, mit welchem Eifer Goethe Lessing zu studiren und an ihm sich weiter zu bilden bestrebt war.28

      Für Goethes ganze spätere Entwickelung ist es von der größten Bedeutung, daß er schon jetzt durch Oeser in dem Sinne mit der Kunst, und ganz besonders der des Alterthums, vertraut gemacht wurde, welchen er sein ganzes Leben hindurch bewahrt hat. Er hat lange zwischen der Dichtkunst und der bildenden Kunst geschwankt, und erst spät mit Schmerzen die Einsicht gewonnen, daß er in der letzteren nur Dilettant sein könne;29 allein das plastische Element seiner Poesie hing mit dieser Richtung auf die bildende Kunst so eng zusammen, daß die Anschauung und Einsicht, welche er auf diesem Gebiet in früher Jugend gewann, fortwährend einflußreich und maßgebend gewesen ist. Mit der hingebendsten Dankbarkeit und einer wahrhaft ehrfurchtsvollen Liebe spricht er sich in seinen Briefen gegen Oeser aus und an Reich30 schreibt er: „Oesers Erfindungen haben mir eine neue Gelegenheit gegeben, mich zu seegnen, dass ich ihn zum Lehrer gehabt habe. Er drang in unsere Seelen und man musste keine haben um ihn nicht zu nutzen. Sein Unterricht wird auf mein ganzes Leben Folge haben. Er lehrte mich, das Ideal der Schönheit sei Einfalt und Stille.“31 Später wurde die Bekanntschaft von Weimar aus wieder erneuet. „Wie süß ist es,“ schreibt er an Frau von Stein (25. December 1782),32 „mit einem richtigen, verständigen, klugen Menschen umgehn, der weis wie es auf der Welt aussieht und was er will, und der, um dieses Leben anmuthig zu genießen, keinen superlunarischen Aufschwung nöthig hat, sondern in dem reinen Kreise sittlicher und sinnlicher Reize lebt. Denke Dir hinzu, daß der Mann ein Künstler ist, hervorbringen, nachahmen und die Werke anderer doppelt und dreifach genießen kann, so wirst Du wohl nicht einen glücklichern denken können33. So ist Oeser, und was müßte ich Dir nicht sagen, wenn ich sagen wollte, was er ist.“ Ähnliche Äußerungen wiederholen sich, so oft er Oeser sieht und bezeugen, wie tief er auch in seinen Mannesjahren Oesers Werth empfand. Durch Goethe mit dem Weimarschen Hofe bekannt gemacht, ward er dem Herzog Carl August wie der Herzogin Amalia durch seine Kunstkenntniß und Erfahrung werth; die letztere gewann ihn besonders lieb und veranlaßte ihn zu wiederholten Besuchen in Weimar, wo seine lebensfrische, geistreiche Jovialität und seine weltmännische Klugheit ihn zu einem stets willkommenen Gast machten.

      Durch Oeser waren Goethe die Kunstsammlungen Leipzigs, von denen die Winklersche einen großen Ruf mit Recht behauptete, geöffnet, um ihn sammelte sich ein Kreis von Kunstfreunden und Kennern, unter denen besonders neben Huber sich Kreuchauff auszeichnete, der früher Kaufmann gewesen war, später nur seinem Interesse für die Kunst lebte, das er auch durch Schriften bewährte. Dieser Kreis pflegte sich in Oesers überaus gastfreiem Hause in der Pleißenburg, im Sommer auf dem Landsitz, den er in Dölitz besaß, in ungezwungener Heiterkeit zu versammeln. Eine Predigt im Frankfurter Judendialekt, welche Goethe dort vorzutragen liebte, von ihm selbst aufgeschrieben, ist ein harmloses Zeugniß der jugendlichen Fröhlichkeit, welche dort herrschte. Die Seele dieser Gesellschaft war, für die Jugend zumal, Oesers älteste Tochter Friederike Elisabeth, geboren im Jahr 1748, unvermählt hierselbst gestorben im Jahre 1829. Von Jugend auf war sie der Liebling des Vaters gewesen und selbst wenn er arbeitete in seiner Gesellschaft. Durch ihren Muthwillen, welchen ihr phlegmatischer Bruder besonders empfinden mußte, ergötzte sie ihn als Kind, später stand sie ihm durch Verstand und Bildung nahe; er bediente sich ihrer Feder und ließ fast seine ganze Correspondenz von ihr führen. Ihr volles Gesicht mit dem Stumpfnäschen und den lebendigen braunen Augen stimmte zu ihrer kleinen raschen Figur, und wenn auch durch Blatternarben entstellt verrieth es lebhaften Geist und Verstand, und die fröhliche Heiterkeit ihrer Laune, womit sie dem Jüngling neckisch und übermüthig zusetzte, zu hart und unbarmherzig, wie er meinte, wenn er sich unglücklich und leidend fühlte. Denn zu ihr nahm er seine Zuflucht, wenn Liebe und Eifersucht ihn quälten, und sie hatte um so eher ein gewisses Übergewicht über ihn, da hier keine leidenschaftliche Neigung ins Spiel kam. In den nächsten Jahren nach seinem Fortgehen von Leipzig unterhielt er mit ihr eine belebte Correspondenz und schickte ihr ein Bild seiner geliebten Schwester Cornelie, das er auf einen Correcturbogen des Götz flüchtig gezeichnet hatte, als ein Zeichen seiner Anhänglichkeit. Im Wald und auf den Wiesen von Dölitz erging er sich gern in dichterischen Streifereien, und war auch Käthchen oder wie sie dem Dichter hieß, Annette, meistens Veranlassung und Gegenstand seiner Lieder, so wurden sie der fein gebildeten und scharf urtheilenden Friederike zur Prüfung vorgelegt. Eine Sammlung „Lieder mit Melodien Mademoiselle Friederike Oeser gewiedmet von Goethen,“ das älteste und eigenthümlichste Denkmal Goethescher Poesie, wird noch handschriftlich in einer Goethe-Bibliothek in Leipzig aufbewahrt. Als dieselben „davon ein Theil das Unglück hatte, ihr zu mißfallen“ – man kann wohl errathen weshalb – durch andere vermehrt später gedruckt wurden, „würde er sich vielleicht unterstanden haben, ihr ein unterschriebenes Exemplar zu wiedmen, wenn er nicht wüßte, daß man sie durch einige Kleinigkeiten leicht zum schimpfen bewegen könnte.“ Diese neuen Lieder in Melodien gesetzt von Bernh. Theod. Breitkopf erschienen 1770 ohne Goethes Namen. Hiller, der sie anzeigte, meinte, wenn man sie läse, werde man gestehen, daß es dem Dichter keineswegs an einer glücklichen Anlage zu dieser scherzhaften Dichtungsart fehle34 – für uns sind sie ein schönes, ächtes Denkmal seines Leipziger Aufenthalts. Die Zueignung, welche den Schluß derselben macht:

      „Da sind sie nun! Da habt ihr sie!

      Die Lieder ohne Kunst und Müh

      Am Rand des Bachs entsprungen.

      Verliebt und jung und voll Gefühl

      Trieb ich der Jugend altes Spiel

      Und hab sie so gesungen.

      Sie singe, wer sie singen mag!

      An einem hübschen Frühlingstag

      Kann sie der Jüngling brauchen.

      Der Dichter blinzt von Ferne zu,

      Jetzt drückt ihm diätätsche Ruh

      Den Daumen auf die Augen.

      Halb scheel, halb weise sieht sein Blick,

      Ein bißgen naß auf euer Glück

      Und jammert in Sentenzen.

      Hört seine letzten Lehren an,

      Er hat's so gut wie ihr gethan

      Und kennt des Glückes Gränzen.“

      drückte seine Stimmung so wahr und tief, so einfach und schön aus, wie schon damals kaum ein anderer Dichter es vermochte.

      So ging er von Leipzig am 28. August 1768 fort. Weder er selbst noch seine Freunde ahnten in ihm die künftige Größe, zu der wir jetzt bewundernd hinaufschauen. Leipzig hat Goethe nicht den Lorbeer ins Haar gewunden, aber noch hat der Blumenstrauß, den der Jüngling hier gepflückt, frischen, unvergänglich frischen Duft.

       Goethes Briefe

      an

      Joh. Jac. Riese

       I. 35

Leipzig 20. Oktober 1765.Morgends

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<p>28</p>

Vgl. Schöll Briefe und Aufsätze von Goethe S. 108.

<p>29</p>

Riemer Mittheilungen II. S. 301: „Von meinem längeren Aufenthalt in Rom werde ich den Vortheil haben, daß ich auf das Ausüben der bildenden Kunst Verzicht thue.“ Eckermann Gespräche I. S. 132: „Was ich aber sagen wollte, ist dieses, daß ich in Italien in meinem vierzigsten Jahre klug genug war, um mich selber insoweit zu kennen, daß ich kein Talent zur bildenden Kunst habe, und daß diese meine Tendenz eine falsche sei.“ S. 139: „Ich sage dieses, indem ich bedenke, wie viele Jahre es gebrauchte, bis ich einsah, daß meine Tendenz zur bildenden Kunst eine falsche sei, und wie viele andere, nachdem ich es erkannt, mich davon loszumachen.“

<p>30</p>

Briefe an Lavater S. 164 f.

<p>31</p>

Schöll Briefe und Aufsätze von Goethe S. 107 f.: „Rede bei Eröffnung der Londoner Akademie von Reynolds. Enthält fürtreffliche Erinnerungen eines Künstlers über die Bildung junger Maler; er dringt besonders auf die Correktion und auf das Gefühl der Idealischen stillen Größe. Er hat recht. Genies werden dadurch unendlich erhaben und kleine Geister wenigstens etwas.“

<p>32</p>

Briefe an Frau v. Stein II. S. 279.

<p>33</p>

Werke XXIV. S. 210.

<p>34</p>

Fragmente aus einer Goethe-Bibliothek S. 1 f.

<p>35</p>

Joh. Jac. Riese war ein Jugendfreund Goethes und studirte in Marburg, während Goethe in Leipzig war. Bei seinem späteren Aufenthalt in Frankfurt verkehrte er wiederum lebhaft mit Riese (Werke XXII. S. 68 f.). Ein Portrait desselben in Lebensgröße in schwarzer Kreide von Goethe ausgeführt befindet sich noch im Besitze seines Neffen, Herrn J. Riese in Frankfurt; die Goetheschen Briefe sind leider alle bis auf diese Studentenbriefe vernichtet, welche H. König in Lewalds Europa (1837, I. S. 145 ff.) in buchstabengetreuer Copie bekannt gemacht hat; danach sind sie hier wiederholt. Die Handschrift der ersten beiden Briefe ist stumpf und derb, ohne viel Unterscheidungszeichen, im dritten viel zierlicher, die Feder scheint frisch geschnitten.