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in dieser Umgebung und er überlegte schon, ob er nicht lieber Monsieur Bertrand zu sich bestellen solle. Er hatte gehofft, ihn allein zu finden, denn bei dem, was er mit ihm zu sprechen wünschte, brauchte und wollte er keinen Zeugen. Aber er mochte nicht unartig gegen die Dame sein; jedenfalls erhielt er von ihr auch bessere Auskunft, als der mürrische Alte, in dem er jetzt den Hanswurst von gestern abend zu erkennen glaubte, geben mochte. – Ganz recht – er hatte sich nicht getäuscht. An der linken Seite des eben nicht zu sorgfältig gewaschenen Gesichts ließ sich noch ein schmaler Streifen der weißen Farbe erkennen, mit der er gestern bemalt gewesen. Aber wie anders sah der sauertöpfische Gesell heute aus gegen gestern, wie er da, zusammengekauert, ein Bein über das andere geschlagen, mit hohlen, tief liegenden Augen und runzeligen Wangen, das stark mit Grau gemischte Haar wirr und ungekämmt um den Kopf hängend, vor ihm saß und seine Narrenjacke flickte! Doch in der ganzen Stube sah es ebenso wild und ungeordnet aus. Auf dem Sofa lagen eine Menge getragener Kleidungsstücke, die jedenfalls der Dame gehörten – Unterkleider und Trikots, ohne den Glanz, den ihnen die abendliche Beleuchtung verliehen; über einen Stuhl daneben war ein prachtvoller Waffenrock von kirschfarbenem Samt geworfen. Darunter stand ungeputztes Schuhwerk, und Schmuck und Tand, mit Schminknäpfchen, Pinseln, Farben und allen möglichen anderen Utensilien, das Publikum zu täuschen, deckten den Tisch und die benachbarte Kommode. Das Zimmer war auch noch nicht ausgekehrt, eine Decke mit einem schon mehrfach gebrauchten Kopfkissen nahm einen der Stühle ein – es sah fast aus, als ob jemand die Nacht auf dem Sofa gelegen hätte, und der Tabaksqualm aus der Pfeife des Alten hatte den Schlafdunst noch nicht bewältigen können.

      Dem Rittmeister benahm es bald den Atem, und draußen lag der helle Sonnenschein so warm auf den Fensterscheiben. Er hätte Gott weiß was darum gegeben, ein Fenster aufreißen zu dürfen. Da öffnete sich die Kammertüre wieder, durch welche die Dame vorhin geflüchtet war, und Madame Bertrand – nicht so bezaubernd wie sie gestern abend wohl dem Publikum erschienen, aber noch immer ein bildschönes Weib – trat auf die Schwelle.

      »Ich muß tausendmal um Entschuldigung bitten,« sagte sie, während ihr Blick im Zimmer umherschweifte und sie rasch die jedenfalls ihr gehörigen und zunächst liegenden Kleidungsstücke aufraffte und hinter sich in die Kammer warf – »Sie finden uns aber noch so in Unordnung…«

      »Madame,« unterbrach sie der Rittmeister höflich, »wenn jemand hier um Entschuldigung zu bitten hat, so bin ich es, der ich unangemeldet bei Ihnen eintrat und Sie unberufen störte.«

      Madame Bertrand hatte indessen zu ihm aufgesehen, und ein eigenes Lächeln belebte plötzlich ihre Züge.

      »Ich glaube, ich habe schon gestern das Vergnügen gehabt, Sie bei unserer Vorstellung zu sehen,« sagte sie, »aber wollen Sie nicht Platz nehmen? Guter Gott, es sieht wahrhaftig gerade heute zu unordentlich bei uns aus! Was müssen Sie nur von uns denken!« Sie räumte dabei rasch und ziemlich rücksichtslos, wohin sie die Sachen aus dem Wege brachte, das Sofa ab, und sich dann in die eine Ecke lehnend, zeigte sie mit einer leichten Handbewegung lächelnd auf die andere, sodaß Graf Geyerstein nicht umhin konnte, neben ihr Platz zu nehmen. Halb verlegen gehorchte er auch der Einladung, und es entging ihm dabei nicht, daß die schöne Frau dem Alten einen bezeichnenden Blick zuwarf. Dieser griff, demselben gehorchend, und wie es schien ziemlich mürrisch, seine Arbeit auf, sah rechts und links neben sich auf die Erde, ob er nicht etwas vergessen habe, und verließ dann ohne weiteren Gruß das Zimmer.

      »Ich bin Ihnen vor allen Dingen eine Erklärung schuldig, Madame,« nahm jetzt der Rittmeister das Wort, »daß ich gewagt habe…«

      »Ich bitte Sie um Gotteswillen, keine Entschuldigung,« unterbrach ihn lächelnd die Frau, »Sie sind da, und das genügt mir – was wollen Sie mehr? Es soll mich nur freuen, wenn ich Ihnen mit etwas dienen kann.«

      Graf Geyerstein geriet dieser Antwort, ja Ermunterung gegenüber in Verlegenheit und Madame Bertrand schaute ihn so freundlich dabei an, und sah in dem leichten, seidenen Oberkleide, das ihren vollen Körper nur locker umschloß, wirklich so reizend aus – er konnte nur eine dankende Verbeugung machen.

      »Sie sind Soldat, nicht wahr?« nahm da die Dame die Unterhaltung wieder auf, »Kavallerieoffizier?«

      »Allerdings.«

      »Ich dachte es mir – oder vielmehr, ich erinnere mich Ihrer Uniform,« setzte die Frau, leicht errötend, aber doch auch wieder halb schelmisch hinzu, »und Sie – interessieren sich für unsere schönen Pferde?«

      »Ich muß gestehen, daß ich entzückt davon bin,« erwiderte der Graf, der um jeden Preis diese Unterredung abzubrechen wünschte, »aber das ist es eigentlich nicht, was mich hierher geführt.«

      »Sie wollten auch die Reiter kennen lernen,« lächelte Madame Bertrand, »ein sehr natürlicher Wunsch, der aber leider nur gewöhnlich die Illusion zerstört, die bis dahin einen eigenen, fremdartigen Zauber um sich warf.«

      »Ich wünschte Monsieur Bertrand zu sprechen.«

      »Georg? – er ist leider nicht zu Hause. Heute, am Meßsonntage, geben wir zwei Vorstellungen und seine Anwesenheit im Zirkus ist deshalb unumgänglich nötig, um die erforderlichen Anordnungen dort zu treffen. Er wird vielleicht vor der Vorstellung nur noch auf einen Augenblick herüberkommen.« Graf Geyerstein schwieg und sah sinnend vor sich nieder. »Kann ich vielleicht irgend einen Auftrag ausrichten? Georg wird sich jedenfalls geehrt fühlen. – Aber, mein Gott! fehlt Ihnen etwas? – Sie sehen totenbleich aus.« Sie legte ihre Hand auf seinen Arm und sah besorgt zu ihm auf.

      »Nicht das mindeste,« sagte abwehrend der Graf, »ich danke Ihnen, Madame, aber ich befinde mich vollkommen wohl – nur die drückende Luft hier im Zimmer…«

      »Sie haben recht!« rief Madame Bertrand, aufspringend und rasch ein Fenster öffnend, »es ist hier auch entsetzlich heiß, und Vater hat dabei wieder einmal so gequalmt.«

      »Der Vater!« flüsterte der Rittmeister leise vor sich hin, und fast krampfhaft faßte die Linke den Tisch, an dem er sich emporrichtete.

      »Sie wollen schon wieder fort?« rief da Georgine, mit einem halb erstaunten, halb bittenden Blick.

      »Ich darf Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«

      »Aber Sie stören mich gar nicht, und wenn Sie Geschäfte mit Georg…«

      »Geschäfte nicht, Madame, aber – ich wünschte ihn zu sprechen,« unterbrach sie der Graf, »und – ich sehe auch keinen Grund, weshalb ich Ihnen die Ursache verschweigen sollte. Eine merkwürdige Aehnlichkeit, die er mit einem meiner früheren Freunde hat, läßt mich wünschen, ihn kennen zu lernen – möglich, daß es nur eben eine Aehnlichkeit ist, aber ich würde ihm sehr dankbar sein, wenn er mich vielleicht morgen früh zwischen acht und zehn Uhr besuchen wollte. Meine Karte hier haben Sie wohl die Güte ihm zu überreichen.«

      »Graf Wolf von Geyerstein,« las Georgine, sich leise und lächelnd dabei gegen den jungen Offizier verneigend, »ich werde nicht ermangeln, Ihren Auftrag pünktlich auszurichten, Herr Graf. Aber – wissen Sie wohl, daß das ein recht eigenes Zusammentreffen ist?«

      »Welches, Madame?«

      »Daß Sie Georg einer Aehnlichkeit wegen aufsuchen wollen,« sagte die junge Frau, »während gerade Sie, Herr Graf, auch mir einer Aehnlichkeit wegen von Anfang an aufgefallen sind.«

      »Und wem sah ich ähnlich?« flüsterte der Graf, und seine Blicke hafteten fest und stier auf den Augen des schönen Weibes.

      »Keinem so entsetzlichen Wesen, als Sie zu glauben scheinen,« lächelte schalkhaft Georgine, »nur – einem früheren Geliebten von mir – meinem jetzigen Manne.«

      »Georg Bertrand?«

      »Demselben – wenigstens damals, als er noch nicht einen so furchtbaren Bart trug wie jetzt.«

      »Sie sind schon längere Zeit verheiratet, Madame?«

      »Leider!« seufzte Georgine mit komischem Bedauern.

      »Leider?«

      »Ich weiß nicht, ob Sie vermählt sind, Herr Graf, aber – es ist doch ein anderes Ding um einen Liebhaber, als um einen Ehemann, und Monsieur Bertrand ist, besonders in der letzten Zeit, so ernst – ja, ich möchte

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