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ein kleines weißes Pony in gestrecktem Galopp über die niedere Eingangsbarriere und mitten in den Zirkus hinein. Auf seinem Rücken aber saß ein kleines, vielleicht siebenjähriges, als Elfe gar phantastisch gekleidetes Mädchen. Stallknechte, Bajazzo und Stallmeister stoben blitzschnell auseinander, und während das Pony den Zirkus durchflog, war die jugendliche Reiterin in die Höhe gesprungen und grüßte, auf dem breiten Sattel stehend, freundlich lächelnd nach allen Seiten hinüber. Sie trug fleischfarbene Trikots, ein kurzes, leichtes rosa Röckchen von durchsichtigem Stoff, das Kleidchen dabei tief ausgeschnitten, und an den halbnackten Schultern ein Paar buntfarbige Flügel, handhabte auch ihr zierliches Roß vortrefflich und zeigte eine für ihre Jahre außerordentliche Uebung.

      Die Frauen waren ganz entzückt von dem kleinen Wesen, das in jeder seiner Bewegungen – nur nicht im Körper selber – erwachsen schien. Zum äußersten kokett und überlegen, grüßte und winkte sie bald da, bald dorthin, trieb ihr Pferd mit der kleinen Peitsche an, und hielt plötzlich, um sich von dem rasch herbeispringenden Stallmeister noch einmal die Sohlen mit Kreide streichen zu lassen. Dabei lächelte sie auch dem Bajazzo zu, der um sie her die tollsten Kapriolen machte, sprang dann durch Reifen und Girlanden, und trieb alle die übrigen Kunststücke, die Kinder in dem Alter gewöhnlich bei solchen Gesellschaften treiben. Das Publikum applaudierte zwar lebhaft, aber es bleibt doch immer ein eigenes, eben nicht angenehmes, oft sogar unbehagliches Gefühl, ein Kind zu solchen Künsten abgerichtet zu sehen. – Was für Erfahrungen hat das Kinderherz nicht schon gesammelt, das dort mit der affektierten Handbewegung und halben Kußhänden den Applaus des Publikums erwidert! Wie lange schon mußte es seinen schönsten Schmuck, die Kindlichkeit, abgeschüttelt haben, jede Bewegung einer erwachsenen Kokette so täuschend nachzuahmen! Ihr applaudiert und jubelt der Kleinen zu. Fragt euch einmal, wie euch zu Mute sein würde, wenn das euer Kind wäre, und dann bedauert das unglückliche Wesen, das sein böses Geschick in solche Bahn, in solch ein glänzendes Elend geworfen. Und fühlt es sich selber glücklich in solchem Leben? – Es nickt und lächelt da oben mit freudestrahlendem Gesicht und sprengt lustig – hinter die Kulissen. – Was es dort treibt, kümmert das Publikum nicht.

      »Mademoiselle Josefine,« wie die Kleine auf dem Zettel genannt wurde, hatte mit diesem Ritt die Vorstellung eröffnet, und ihr folgte auf einem schwarzbraunen Pony Monsieur Charles, »der kleine Herkules«. Monsieur Charles, ebenfalls in fleischfarbenen Trikots, mit einem kurzen Löwenfell bekleidet und mit einer Keule in der Hand, war ein Knabe von etwa vierzehn Jahren, aber für sein Alter von außergewöhnlicher Kraft und Gewandheit – ein wahres Talent in seinem Fache. Die schwierigsten Kunststücke führte er auf dem Rücken des dahinsausenden Pferdes aus, und mit kaltem ja tollkühnem Mute schien er die Gefahr weit eher zu suchen, als zu vermeiden. Monsieur Charles wurde hervorgerufen, wie er die Arena kaum unter stürmischem Applaus verlassen hatte, und zwei Athleten nahmen jetzt seine Stelle ein, die mit halsbrechender Geschicklichkeit, der eine eine Stange balanzierte, während der andere daran hinaufkletterte und oben die gefährlichsten und kühnsten Stellungen ausführte.

      Und wie hing das kecke Menschenkind da oben! Das Nachlassen einer Muskel, ein Krampf in den zum Zerspringen angespannten Sehnen der Hand, ein Straucheln des Stangenträgers, und er war rettungslos verloren. – Und das Publikum saß dabei, hielt den Atem in peinlicher Spannung an, dankte Gott, als der Frevler mit seinen Gliedern den Boden wieder berührte, und – applaudierte doch wie rasend, ihn dadurch nur zu neuen noch tollkühneren Versuchen anfeuernd. Komtesse Melanie hatte sich schaudernd abgewandt, denn sie fürchtete den Menschen im nächsten Augenblick zerschmettert vor ihren Füßen zu sehen. Graf Geyerstein, der an ihrer Seite saß, flüsterte: »Sie haben recht, Komtesse; ein Nervenkitzel erscheint vielen erwünscht, die Monotonie ihres alltäglichen Lebens zu unterbrechen. Diese Kunststücke werden aber zur Nervenqual – und doch, sehen Sie die freudig staunenden Gesichter Ihrer Umgebung, die keine Ahnung von dem zu haben scheinen, was schon im nächsten Moment ihren Genuß unterbrechen könnte.«

      »Es sollte verboten werden, solch entsetzliche Kunststücke öffentlich zu zeigen,« sagte Melanie. Graf Geyerstein zuckte mit den Achseln.

      »Ja und nein,« sagte er dabei. »Wir wissen dann nur nicht, wo wir die Grenzen ziehen sollen, die der Polizei gestatten, in das Privatleben bürgerlichen Erwerbes einzugreifen. Solange Seiltanzen und Kunstreiterei erlaubt bleibt, wird es unmöglich sein einen Maßstab anzulegen, welches von ihnen für den Ausführenden gefährlicher – für den Zuschauer peinlicher ist. Das Publikum allein hätte es in seiner Gewalt, sich solche Schau zu verbitten, aber die große Mehrzahl verlangt derartige Produktionen, ja läuft gerade dem Unnatürlichsten und Widerlichsten am meisten nach. Doch, Gott sei Dank, es ist vorüber, und der tollkühnste Ritt der Gesellschaft wird uns nach dieser Schau wie Spielerei erscheinen.«

      Der Jubel der Zuschauer, als die beiden jungen Athleten den Schauplatz verlassen hatten, legte sich eben, als jener Stallmeister mit einer halbkreisförmigen Verbeugung anzeigte: Madame Georgine Bertrand und Monsieur Bertrand! – Bajazzo benutzte diesen unbewachten Augenblick, seine klappernde Pritsche auf den hervorragendsten Teil desselben niederprasseln zu lassen, und wenn der Scherz auch eben nicht zart war, wurde er doch von dem Publikum dankbar angenommen. Während der Stallmeister auf seinen Erzfeind vergebens einfuhr, sprengte das wunderschöne Weib des Kunstreiters und Seiltänzers in die Arena. Mochte nun die Beleuchtung und die vielleicht aufgetragene Farbe dem Gesichte der Frau diese jugendliche Frische geben, aber Georgine war wirklich schön, und ein lautes unwillkührliches »Ah!« entfloh den Lippen der Versammlung, als sie leicht geschürzt und in ganz ähnlicher, nur weit brillanterer Kleidung wie »Mademoiselle Josefine« im Zirkus erschien.

      Ein paar junge Kavallerieoffiziere fingen an zu applaudieren, und das Einstimmen des Publikums war eine Huldigung, die man der lieblichen Erscheinung brachte. Madame Bertrand zeigte sich auch dankbar dafür. Ihre Bahn dahinfliegend, hatte sie fast für jeden ein Lächeln, wenn auch ein noch so flüchtiges, für jeden einen freundlichen Blick, eine halbversteckte Kußhand, mit der sie die Herzen gleichsam sichelförmig abschnitt oder mähte – denn zwei genügten für das ganze Publikum. Und wie sie dahinflog, siegesgewiß – siegesgewohnt! Das hochgeschürzte leichte Kleid im Winde flatternd, die Locken von dem Luftzug gelöst, mit den zarten Fußspitzen den Sattel kaum berührend, glaubte man wirklich, sie habe Flügel, und wäre kaum noch erstaunt gewesen, das Pferd unter ihr davoneilen und sie ihren Rundzug ohne dasselbe fortsetzen zu sehen.

      »Eine reizende Erscheinung!« flüsterte Melanie ihrem Nachbar zu, während Madame Bertrand ihr schnaubendes Tier am Eingange plötzlich parierte, daß es auf den Hinterbeinen herumflog und Front gegen die Mitte machte; »wenn sie nur etwas weniger keck und zuversichtlich auftreten wollte!«

      Ihr Nachbar antwortete ihr nur durch ein langsames, kaum bewußtes Kopfnicken, und als sie ihr Auge zu ihm hob, sah sie, daß sein Blick fest und fast stier auf der Stelle haftete, an der die schöne Reiterin hielt. Ihre eigene Aufmerksamkeit wurde aber in dem Moment von ihm abgelenkt.

      »Monsieur Bertrand! Monsieur Bertrand!« ging der flüsternde Ruf durch die Reihen der Zuschauer, und als Melanie den Kopf dorthin wandte, sah sie, wie an Georginens Seite, in phantastischer, aber höchst geschmackvoll gewählter Tracht, der Reiter auf milchweißem arabischen Hengste hielt. Doch auch Graf Geyerstein bog sich jetzt zu ihr nieder und erwiderte auf die frühere Bemerkung seiner Nachbarin vollkommen ruhig: »Sie dürfen bei solchen Damen nicht sittsame Schüchternheit erwarten, Komtesse. Schon das Reiten selber bedingt eine gewisse Zuversicht, die Reiter oder Reiterin haben muß, um das Tier in der Gewalt zu halten. Wie viel mehr also hier, wo der Ritt für die Oeffentlichkeit bestimmt ist und die Frau nur zu leicht jede zarte Weiblichkeit abschüttelt!«

      »Sie mögen recht haben,« sagte Melanie nach kurzem Zögern. »Aber gerade das Außergewöhnliche hat ja auch uns hierher geführt. Wir wollen die Pferde und Menschen bewundern – uns wenigstens an ihnen ergötzen. Was kümmert uns das Uebrige!« Der junge Offizier sah die schöne Gräfin etwas erstaunt über diese Bemerkung an; Melanies Aufmerksamkeit schien aber wieder vollständig auf das Paar gerichtet, das jetzt mit außerordentlicher Geschicklichkeit und wirklich vieler Grazie en Pas de deux mit den Pferden tanzte. Gleich darauf, und inmitten desselben, sprengten die beiden Kinder wieder herein – der Knabe jetzt genau so gekleidet wie Monsieur Bertrand – indem sie das Pas de deux in ein Pas de quatre verwandelten. Die Pferde führten dasselbe auch vortrefflich durch, und der rauschende

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