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Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel
Читать онлайн.Название Die Herrin und ihr Knecht
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Georg Engel
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
»Ja, ich sitze gern dort. Aber gestern wurde mir der Ort auf lange Zeit verleidet. Denken Sie sich, Konsul Bark, – es fällt mir sehr schwer, Ihnen dies alles zu gestehen – als ich meine Blicke ganz absichtslos über die weite grüne Wiese richtete, auf der gerade ein junger Hase seine komischen Männchen machte, da sah ich ganz hinten am Waldsaum meine Schwester Marianne mit einem Fremden schreiten.«
»Weiter,« forderte der Konsul interessiert.
»Die Gestalten waren nur zwerghaft klein, aber ich erkannte den Eindringling trotz alledem, obwohl er nicht Uniform angelegt hatte.«
Jetzt richtete sich der Kaufmann schnell auf, zog ein wenig an seinem braunen Jakett und bewegte dann abschätzend die flache Hand hin und her.
»Es war natürlich Fritz Harder,« äußerte er bestimmt.
Das stolze Weib in dem Sessel nickte. Dann aber schlug sie verstört die Augen nieder, und ihre ganze Gestalt beugte sich zusammen, als ob sie von einer körperlichen Last zu Boden gedrückt würde.
»Lächeln Sie nicht, Herr Konsul,« sagte sie matt, »ich bin über das Alter hinaus, als daß ich gegen eine ehrbare Annäherung etwas einzuwenden hätte.« Und als der Konsul eine Bewegung machte, wie wenn er sie nicht verstände, stieß sie plötzlich anmutig hervor, und ihre Stimme tönte laut und grollend: »Das war es aber nicht. Gegen diese stürmischen Liebkosungen in der dunklen Stille eines Haselnußhaines muß ich Einsprache erheben. Das kann und will ich nicht dulden. Denn nach dem, was schon einmal bei uns geschehen, muß ich mehr wie jede andere darauf achten, daß unserem Hause der landläufige Respekt entgegengebracht wird.«
Die zusammengekauerte Gestalt ließ ihre Arme zwischen die Knie herabsinken und riß sich alles Weitere matt und dumpf von der Seele los, wie wenn sie mit sich selbst zürne, daß sie so Verschwiegenes offenbare.
»Glauben Sie mir, lieber Freund, meine Rolle fällt mir nicht immer leicht. Ich weiß, die Mädels hassen mich, weil ich ihnen so vieles versagen, und häufig wie ein Polizist vor ihnen auftauchen muß. Aber Sie, Konsul Bark, Sie kennen meine Beweggründe. Ich habe es nun einmal übernommen, aus dem großen Zusammenbruch zu retten, was irgend möglich war, und bin darüber alt geworden.«
»Na, na, Hans,« schob hier der Konsul lächelnd ein.
Er dachte daran, daß diese Achtundzwanzigjährige in ihrer kalten, abweisenden Schönheit ein Weib sei, das alle Ansprüche aufgegeben habe zu reizen, zu gefallen und zu bestricken, ein Geschöpf, das in klarer Erkenntnis seiner harten Fron allmählich sich selbst vergessen hatte. Und doch – der schlanke Mann in dem eleganten Promenadenanzug warf unbemerkt einen spähenden Blick auf seine Besucherin – ob wirklich alle Wünsche in diesem stolzen Leib erstorben und verlöscht waren? Und in der vorüberhastenden Minute, während seine Augen, die Frauenschönheit so sehr aufzuspüren verstanden, über den gebeugten Mädchennacken glitten, da gestand sich der reife Mann, daß gerade die starke Neugierde, jenes tief verschlossene Geheimnis zu lösen, ihn so dauernd an das frostige, marmorharte Geschöpf da vor ihm fesselte. Und mit einem gewissen Unwillen empfand er auch, wie schwer und unbequem es sei, sich selbst immer in so respektvoller Entfernung zu halten. Ja, es war sehr schwer, denn er erkannte ganz klar, eine einzige unvorsichtige Andeutung, das Verlassen der unverfänglichen und korrekten Beziehungen mußte die Ahnungslose dort sofort empört und enttäuscht von dannen treiben. Und vor diesen Enthüllungen scheute sich der Frauenkenner. Nein, nein, die großen scharfen Augen der Heroine von Maritzken wollte er nicht im Zorn auf sich gerichtet fühlen. Ohne sich darüber Rechenschaft abzulegen, hegte er eine heimliche und ihn doch quälende Abneigung davor, das Unverdorbene, das Heilig-Jungfräuliche dieses abgeschlossenen Lebens zu stören. So nahm er auch jetzt nur in verborgener Bewunderung die köstliche Weiße ihres Nackens wahr, laut aber sprach er sehr ruhig und überlegt zu der in sich Versunkenen herunter:
»Also, lieber Hans, mir scheint, Sie sehen da wieder etwas zu dunkel. Wenn Sie auf mein Urteil irgendein Gewicht legen, so meine ich, was sich da in der lauschigen Dämmerung des Haselnußhaines abspielte, das waren eben die landläufigen Vorboten einer regelrechten Verlobung. Oder glauben Sie berechtigt zu sein, es anders aufzufassen?«
Auf diese Frage richtete sich Johanna unvermittelt auf und strich sich die spröde Seide über ihrer Brust zurecht. Zum erstenmal lief über ihre immer so schneeigen Wangen ein leichtes Rot.
»Ich weiß nicht,« versetzte sie ungewiß, mit sich selbst kämpfend, »ich will es hoffen, obwohl meine Schwester Marianne – ich spreche zu Ihnen ganz rückhaltslos, lieber Konsul – für meinen Geschmack etwas viel zu Nachgiebiges und Entgegenkommendes besitzt. Aber selbst wenn sich Ihre Ansicht bewahrheitete,« fuhr sie überlegend fort, »dann halte ich es für schicklich, daß sich der junge Offizier zuerst an mich gewendet hätte.«
»Liebe Johanna,« begütigte der Konsul, »Sie klammern sich da an eine etwas altmodische Auffassung.«
»Nun ja, Sie mögen recht haben, ich bin eben mißtrauisch und wittere hinter allen Menschen zuvörderst irgendeine verborgene Absicht. Das Leben hat mich allmählich so geformt. Sie müssen mir das nicht übel deuten, lieber Freund, Ihnen gegenüber fällt das ja alles fort. Und nun die Hauptsache: Glauben Sie wirklich, daß Fritz Harder der geeignete Mann wäre, um eine so dauernd nach Glück und Glanz verlangende Natur wie Marianne befriedigen zu können?«
Der Konsul zuckte die Achseln.
»Gott, Sie werden nicht leugnen,« versetzte er endlich abschätzend, »daß er ein hübscher, flotter Bursche ist und, wie ich annehme, auch ein aussichtsvoller Offizier.«
Die Älteste von Maritzken rückte hastig mit ihrem Stuhl.
»Glauben Sie das wirklich?« entgegnete sie mit wenig überzeugtem Ton. »Das gerade möchte ich bezweifeln. Mir gefallen Männer nicht, die nicht vollkommen von ihrem Beruf ausgefüllt werden. Sehen Sie, was hat sich ein junger Leutnant für schweres Geld einen Flügel zu kaufen, um nun halbe Nächte lang auf ihm herumzuphantasieren? Er komponiert ja auch.«
»Na, Hans,« beruhigte der Konsul, »die Vergnügungen in einer mittleren Garnison sind ja nicht allzu abwechslungsreich. Wenn er sich nur mit dieser Art von Spiel befaßt, so wollen wir ihn deswegen nicht verurteilen.«
Aber die Gutsherrin war nicht so leicht abzuweisen.
»Schön,« gab sie zu, »aber der junge Mensch hat leider überhaupt etwas Dilettierendes. Wie Sie wissen, versucht er sich auch in der Ölmalerei. Er bringt zwar ganz nette Porträts hervor, aber wie sich dies alles mit seinem eigentlichen Beruf vereint, das begreife ich nicht. Und um wahr zu sein, es erregt mir Mißbehagen.«
Hier wagte es der Konsul, der leidenschaftlich Sprechenden begütigend, fast väterlich die Wange zu streicheln. Aber diesmal wurde es von der Besucherin aufgefaßt. Mit einer herben Bewegung schob sie seine Finger zurück. Dann forderte sie noch einmal:
»Teilen Sie meine Bedenken?«
Inzwischen hatte sich der Konsul in seinen Ledersessel niedergelassen, und nachdem er seiner Gewohnheit gemäß mit einem Blick, wie um Rat fragend, das Antlitz des Apostels gestreift, da gab er seine Ansicht klug und jedes Wort wagend, zu erkennen.
»Liebes Kind,« beschwichtigte er, »mit dem Beruf eines Offiziers ist es ein eigen Ding. Wir vergessen immer so leicht, daß alle Mühen und Anstrengungen, die der höhere Militär aufwendet und die in immer strengerem Maße von ihm gefordert werden, kein in die Augen fallendes Ergebnis zeitigen können. Sie sind die einzige Menschenklasse in unserem Staat, die, solang der Friede dauert, nicht den praktischen Beweis von ihrer Leistungsfähigkeit zu erbringen vermag. Man empfindet ihr ganzes Tun und Treiben hie und da bereits als spielerisch und überflüssig. Und dieses Bewußtsein ist es, was viele Soldaten so rastlos nach Dingen greifen heißt, die jenseits ihres Berufes liegen. Sie suchen sich eben auszufüllen. Nein, Johanna,« richtete sich der Konsul plötzlich auf und klopfte ermunternd an die Seitenlehne des anderen Sessels, »daraus wollen wir dem hübschen Bengel keinen Strick drehen. Und daß er sich in die knisternde Schönheit von Marianne vergaffte, Gott –« der Kaufmann zuckte die Achseln – »dieses Los teilt er gewiß mit manchem jugendlichen Schwärmer und außerdem,