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Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel
Читать онлайн.Название Die Herrin und ihr Knecht
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Georg Engel
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Kaum war sie verschwunden, da riß Isa die Zweige des Kirschbaums auseinander, und während sie ihren Rotkopf hastig durch die Öffnung steckte, warf sie der Enteilenden in weitem Schwung ein Erdklümpchen nach, das sie vorher von der Rasenfläche aufgelesen. Gleich darauf sank sie freilich auf ihrem Sitz zusammen, schlug die Füße übereinander und ließ das leuchtende Haupt langsam auf die harte Banklehne sinken. Angestrengt schien sie über ein nicht lösbares Rätsel nachzusinnen.
Es waren die Disharmonien des Lebens, die sich vor den Ohren der Erwachenden noch nicht einfügen wollten in die bald schauerlichen, bald heiteren Melodien, die heimlich und stark in ihr klangen.
Minute auf Minute verrann, die Uniform, auf die die Versteckte harrte, sie wollte sich nicht zeigen. Längst hatte sich Isa wieder erhoben, um ihre scharfen Blicke hierhin und dorthin schweifen zu lassen, vergeblich. Feld, Steg und Wiese blieben leer. Und die Halbwüchsige überlegte. Sollte der Offizier etwa noch einmal in das Herrenhaus zurückgekehrt sein? Ei, das wäre geradezu prachtvoll, wenn der ahnungslose junge Mensch dann mit der anspruchsvollen launenhaften Person womöglich in Gegenwart von Johanna zusammenstieße. Denn darin glaubte sich der feine Verstand der Jüngsten von Maritzken nicht zu täuschen, daß ein so in sich versunkener und ernster Mensch, wie es Fritz Harder war, niemals die verstiegenen Ansprüche ihrer eitlen Schwester befriedigen könnte. Ein Geschöpf, das beinahe eine Stunde zu einer Frisur benötigte! Und wie dumm und ungebildet Marianne im Grunde dahinlebte. Blieb es nicht unbegreiflich, daß ein Mann wie Fritz Harder, ein Offizier, der sich den höchsten und entlegensten Dingen so ernst und strebsam hingab, war es faßbar, daß ein solcher wie bezaubert und entrückt mit brennenden Augen und weit vorgebeugt vor einer so lockeren und inhaltslosen Kokette sitzen konnte? Darin bestand also doch wohl die Bestimmung und die höchste Macht der Frau.
Und wieder rieselte es kalt an den Gliedern der Versonnenen hinab, und sie griff so heftig in die Zweige des Kirschbaumes, als wollte sie ihr eigenes sehnsüchtig erwartetes Schicksal auf ihr Kinderhaupt herunterreißen.
»Sagen Sie mal, verehrungswürdige Jugend, für wen gedenken Sie diese schönen Weichselkirschen zu pflücken?« schlug plötzlich eine feste Männerstimme in den schweren Traum des Mädchens hinein.
Und erschreckt in die Höhe fahrend, erkannte Isa in völliger Verwirrung, wie dicht vor ihr auf der Chaussee der geräumige Landauer des Konsul Bark hielt. Auf weichen Gummirädern mußte das Gefährt lautlos bis hierher gerollt sein, und die beiden Apfelschimmel mit dem strahlenden Silbergeschirr riefen wie immer das stürmische Wohlgefallen von Fräulein Isa hervor, die sich heimlich für alles, was ein sicher fundierter Reichtum bot, begeistern konnte.
»Herr Konsul Bark,« rief sie so liebenswürdig als möglich, nicht jedoch bevor sie sich das blaue Leinenkleid halb unbewußt an den schmalen Hüften zurechtgestrichen hatte. Immer wieder verfiel sie in den Fehler, dem eleganten älteren Manne, der auch jetzt in seinem fast weißen Staubmantel und dem grünen Filzhut so überaus gewählt und vornehm aussah, durchaus ihre Damenhaftigkeit einprägen zu wollen. »Herr Konsul Bark, kommen Sie uns bereits abholen?«
»Zu Befehl, wir haben ja noch zwei gute Stunden zu fahren. Und die Toilettenangelegenheiten« – er beugte sich vor, legte die Hand quer über die Augen, um die Sonnenstrahlen abzuwehren, und musterte die Kleine mit einem ziemlich sorglosen Blick – »na, die scheinen mir ja auch noch nicht auf dem höchsten Gipfel der Erreichbarkeit angelangt zu sein. Hören Sie mal, Rotfüchschen,« meinte er gemütlich weiter, während er an den Grabenbord heranschritt und ihr über die Breite die Hand entgegenstreckte, als ob er ihr behilflich sein wolle, »Sie schießen übrigens wie Spargel in die Höhe!«
Isa hatte schon zum Sprung angesetzt, jetzt zögerte sie plötzlich. Sie bettete ihre Hände auf den Rücken, und die Lippen, die so merkwürdig rot und blühend aus dem blassen Mädchenantlitz hervorleuchteten, zuckten ungehalten über der Zahnreihe.
»Herr Konsul, ich finde,« lachte sie über den trennenden Graben herüber, aber es klang doch deutlich der Unmut heraus, »daß mein Haar Ihre Phantasie direkt in Aufregung versetzt. Wenn Sie es durchaus nicht leiden mögen, so könnte ich ja vor Ihnen immer im Hut erscheinen.«
»Aber liebstes Kleinchen,« beschwichtigte der Konsul ganz verwundert, der nicht im Traum daran gedacht hatte, die Jüngste von Maritzken verletzen zu wollen, »Ihr Haar ist ja im Gegenteil von erlesener Kostbarkeit. Also, wenn ich jünger wäre, würde ich wahrscheinlich Gedichte darauf verfertigen. So, nun aber hopsen Sie mal hier herüber, Isa, und setzen Sie sich hübsch artig neben mich in den Wagen, ich bitte es mir nämlich als besondere Ehre und Vergünstigung aus, die frisch gewaschene, übrigens sehr appetitliche blaue Leinenbluse im Trab nach Hause fahren zu dürfen.«
Damit beugte er sich noch etwas schräger über den Graben und ergriff ohne weitere Umstände die schmale Jungfrauenhand, die sich ihm plötzlich willig und leicht entgegenstreckte. Mit einem Sprung war das Mädchen im Wagen. Wohlig schmiegte sie sich in die hellgrauen Tuchkissen und lugte abermals verstohlen auf den weißen Staubmantel dicht neben sich, der ihr so kleidsam erschien. Lautlos rollte das Gefährt dahin. Als ob es über einen Teppich von Samt fortglitte. Es war ein zu eigenartiges und köstliches Gefühl, diese weiche Bewegung auf sich wirken zu lassen. Allen Gliedern teilte sie sich angenehm und kosend mit. Träumerisch ließ das Mädchen die feinen Härchen der Weizenähre, die sie kurz vorher vom Grabenbord abgepflückt hatte, in ihrem Handteller kreisen, um sich bei klarem Bewußtsein zu erhalten. Gar zu leicht lief man doch Gefahr, unter dem wohlig spielenden Sonnenlicht den spinnenden Träumen zu erliegen. Sie drehte die Ähre stärker und zuckte ein wenig, als sie den leisen Wirbel der Reibung empfand. Und wie frisch und wohlgepflegt der Mann da neben ihr aussah! Nur schade, daß seine prüfenden Blicke nicht abließen, musternd und schätzend über die gelben Weizenfelder und die eben aufknospende Kleefrucht zu schweifen, über der es bereits lag wie ein rötlicher oder bläulicher Hauch. Über den Spiegel eines fernen Landsees kreiste im Bogen eine Schar vom Meer hierher verschlagener Möwen, und ganz in der Nähe taumelte eine Wolke gelber Zitronenfalter über die süß duftende Flur.
»Herr Konsul, hören Sie die Spottdrossel?« begann Fräulein Isa empfindsam.
Der Mann im weißen Mantel neigte sich zu ihr, so daß ihm die Kleine ganz verwirrt in das schmale Gesicht starren mußte. Aber gleich darauf empfand sie, wie seine Finger ihr den gelben Weizenhalm entwanden, um geschickt die Ähre ihrer Körner zu berauben.
»Schön,« sagte er befriedigt, »voll und gut schüttend.«
»Hm –«
Die junge Dame im Wagen schlug rasch die Füße übereinander und wippte ein wenig mit den braunen Halbschuhen. Es war klar, besonders zarten Empfindungen gab sich ein solch älterer Mann nicht hin. Und wie er jetzt die gelben Körner von seinen festen braunen Fahrglacés abschüttelte, da fielen seiner Begleiterin all die aufregenden Gerüchte ein, die man sich schon in der Mädchenschule dort drinnen in der Stadt unweit der Grenze erschreckt und erwartungsvoll zugleich über den eleganten Besitzer des Goldenen Bechers zugeraunt hatte. Oh ja, sie konnte sich den Konsul ganz gut so vorstellen. Und ohne daß sie es selbst ahnte, blieben ihre Augen immer größer an den feinen gebräunten Männerzügen haften.
»Na, Kleinchen, ist hier etwas nicht in Ordnung?« erkundigte sich ihr Begleiter endlich gestört, indem er mit der flachen Hand ein wenig über seine glatte Wange streifte.
Da schrak sie zurück. Herrgott, der Geschäftsmann mußte sie tatsächlich für ein absolut albernes Ding halten. Und sehr kühl erteilte sie die Antwort:
»Oh nein, Herr Konsul, ich habe gar nicht an Sie gedacht.«
»So, so, Isachen, das ist mir aber sehr schmerzlich. Übrigens, sagen Sie mal, mein Kind, schwatzen etwa Ihre Leute auch soviel dummes Zeug über einen Kriegsausbruch, der uns nahe bevorstehen soll? Ich hoffe, Ihre Schwester Johanna verbietet solche Redereien?«
Als das gefürchtete Wort laut wurde, jene wenigen Silben, die sich gerade in dieses verwöhnte Mädchen wie ein fressendes Gift hineinbissen, da steigerte sich die in ihr aufgescheuchte Angst bis zu einer Art sausender Wahnvorstellung. Kreidebleich mußte sie das Haupt herumwerfen, der unbestimmten Gegend zu, von woher die langberockten Reiterscharen hervorbrechen konnten. Sie hörte den donnernden Hufschlag,