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wieder solch ein Lärm!« klagte die Kranke.

      »Du sollst Johanna nicht immer beschimpfen,« rief der Riese ohne Übergang laut und völlig unbekümmert darum, ob er nicht durch drei Zimmer hindurch verstanden werden könnte. »Ich mag das nicht. Und ob Johanna sich dir anschließen wird oder nicht, das werde ich gleich erfahren. Und vielleicht noch Verschiedenes mehr.«

      »Gut,« schloß die alte Dame, schlug abermals böse auf ihre Tasche und nickte hinter dem schallend Davonstürmenden mit einem Zug des Besserwissens in den kalten grauen Augen her, »dann wird ja dieses Hin- und Herzerren endlich aufhören. Solche romantischen Unklarheiten hasse ich auch bis in den Tod. Sie machen mich direkt krank. Überhaupt – du bist an meinem ganzen Leiden schuld. Lauf du nur, mein Jungchen, lauf nur hinter der Marielle drein.«

      Johanna stand vor dem geschlossenen Tor des Kuhstalles und klopfte wirklich, wie sie es vorher angekündigt, bald leise, bald etwas lauter an das altersgeschwärzte Holz. So war sie es immer gewohnt, ihre Gedanken, wenn es etwas Wichtiges galt, zu sammeln. Und ihre Leute sowohl als ihre Schwestern wichen scheu aus der Nähe des Gutsfräuleins, sobald das vielbedeutende Pochen auf dem Anwesen hörbar wurde.

      »Jetzt denkt sie sich etwas aus,« hieß es dann.

      Allein heute gelangte sie nicht zu der doch so nötigen Sichtung der Wirrnis, die draußen im Lande und auch hier in ihrem friedvollen Gehöft dicht vor ihren Füßen aufgeschossen war. Gerade die Unruhe, die sie zu bezwingen strebte, sie schien bereits auf allen Straßen zu jagen und sprengte auch bis zu ihr durch das gewölbte Hoftor herein. Noch ehe sie sich über die neue Störung ganz klar werden konnte, fing sie ein ungewohntes kurzes Trappeln auf, Hufschläge wurden laut und zu ihrem äußersten Befremden sah die Aufgeschreckte, wie ein Offizier in seiner Paradeuniform, mit blitzendem Helm und gefolgt von einem ebenfalls berittenen Burschen, seinen Braunen dicht vor ihr parierte. Eine schlanke Gestalt beugte sich zur Seite und führte grüßend die Rechte an den Helm. Gleich darauf sprang der Reiter zur Erde, um sich noch einmal respektvoll vor der blonden Gutsbesitzerin zu verneigen. Die Sporen klirrten dabei leise zusammen, und in den dunklen Augen des jungen Offiziers wohnte ein so deutlich lesbarer Wunsch, ein so unverhülltes, ehrliches Anliegen, wie es nur Menschen eigen ist, die durch ein paar kurze Worte über ihr ganzes Schicksal die Entscheidung gefällt zu sehen wünschen.

      Seltsam, auch dem trotzigen, selbstbewußten Landmädchen schlug einen Moment das Herz höher und voller. Aber es war ein erlösendes Gefühl der Befriedigung, das sie durchdrang, denn in ihrer Seele blitzte es auf, wie mit diesem jungen Reitersmanne die Ehre und die Redlichkeit wieder in ihrem Hause Einzug hielten, die sie in trüben Stunden bereits entwichen wähnte. Gottlob, ihr war es sofort klar, hier hatte Konsul Bark, der zuverlässige Freund, sein Versprechen eingelöst, und zum erstenmal seit langer Zeit würden in dem weißen Gutshofe, der sich im Grunde doch nur so schwer verwalten und regieren ließ, Glückseligkeit und Jugendwonne aufblühen. Zuversichtlich, das mußte geschehen. Das verlangte das große kräftige Geschöpf, das selbst keine Wünsche mehr hegte, als unbedingtes Entgelt seiner Mühen. Allein, als sie jetzt, ihrer glücklichen Regung folgend, dem jungen Offizier, der ihr so ernst und erwartungsvoll gegenüberstand, mit einer herzlichen Bewegung die Rechte darbot, da – welch merkwürdige Verkettung – da verfing sich ihr Blick an dem Goldgefunkel des Adlers vor seinem Helm. Und ohne jede weitere Überlegung stürzten all die ängstlichen Sorgen, alle unmöglichen, nie gekannten Befürchtungen, vor denen ihre klare Vernunft noch eben ins Knie gebrochen, in die eine fast willenlos hervorgestoßene Frage zusammen:

      »Herr Leutnant, ist es wahr? Gibt es Krieg?«

      Auf diese ganz unerwartete Anrede straffte sich die schlanke Gestalt des Militärs zusammen, und über sein dunkles, immer von den Schatten des Nachdenkens umsponnenes Antlitz fuhr ein heller Schein. Nein, das war nicht die wilde Freude des Kriegsmannes, der sein größtes Glück, ja Macht, Ehre und eine gesicherte Existenz aus brodelnden Blutdämpfen hervorkochen sieht. In seinen reinen und für einen jungen Mann dieser Zeit so merkwürdig unberührten Zügen malte sich vielmehr die helle, felsenfeste Zuversicht auf das ungetrübte Glück der Menschheit, das sicherlich durch keinen noch so unbeschränkten Machtwillen in die Glut und die Greuel eines vernunftwidrigen Mordens hinabgestoßen werden konnte. Wahrlich, eine innerste Überzeugung strahlte aus seiner warmen, wohltuenden Stimme, als er trotz seiner so leicht erklärlichen Befangenheit voller Zuversicht ausrief:

      »Ganz unmöglich, gnädiges Fräulein! Sie brauchen sich nicht im geringsten zu beunruhigen. Meine Kameraden und ich verfolgen natürlich gleichfalls die Zeitungsgerüchte, die wieder einmal allerlei Bedrohliches melden, mit größter Spannung, aber wir sind sämtlich felsenfest davon überzeugt, daß es sich wie gewöhnlich nur um einen papiernen Feldzug handelt. Ganz bestimmt, wer den Krieg – wenigstens durch Studium – kennt, so wie wir, der weiß, welche Ungeheuerlichkeit derjenige begehen würde, der ihn um ganz fernliegender Dinge willen entfesselt.«

      Da war es Johanna, als wenn ein leichter, erfrischender Wind in eine Wand von Staub und Dampf führe, die ihr bis dahin die Aussicht gesperrt. Plötzlich tauchte wieder die sonnenbeschienene Gegend vor ihr auf, der von weißen Scheunen eingefriedete Hof, herübernickend die dunkelgrünen Kastanien des Parks, und zwischen dem gewölbten Eingangstor hindurchleuchtend die schmale weiße Landstraße. Selbst das Reitpferd, das der Bursche des Offiziers in respektvoller Entfernung an den Hofmauern herumführte, erschien der Aufatmenden wie eine Bürgschaft dafür, daß das gewohnte Dasein unverändert und ungetrübt an ihr vorüberfließen müsse. Und in lebhaft aufwallender Dankbarkeit streckte sie dem Boten des Heils noch einmal ihre Rechte entgegen. Der verbeugte sich stumm über den dargereichten Fingern. Und da – welch ein Glück – das derbe Landmädchen griff mitten in die so schwer darzustellenden Pläne hinein, die ihn herleiteten.

      »Lieber Herr Leutnant Harder,« brachte sie rasch und überstürzt mit einem an ihr seltenen Lächeln hervor, »ich weiß, was Sie von mir begehren. Wir wollen nicht viel Worte machen. Ich selbst habe Ihren Besuch, ja sogar Ihr Anliegen gewünscht, und ich nehme an, daß Ihnen unser gemeinschaftlicher Freund, Herr Konsul Bark, von den Erwartungen, die ich an Sie stellen zu dürfen glaubte, Mitteilung machte. Verhält sich das nicht so, Herr Leutnant?« setzte sie leiser, aber nicht weniger vertraulich hinzu.

      Fritz Harder war von dem warmen Ton und der aus einem ehrlichen Gemüt hervorquillenden Offenheit völlig hingenommen. So, gerade so stellte er sich ja ein aufrechtes, unerschrockenes Mädchen vor, das einen glättenden und aufrichtenden Einfluß auf ein Männerdasein gewinnen müßte. Und zum erstenmal, da er jetzt das Bild dieser Schwester in sich aufnahm, gewahrte sein suchender, einfühlender Blick, wie diese hellen blauen Augen auch wärmer, inniger und treuer strahlen konnten, als er es von jener gefürchteten und immer mit einiger Scheu betrachteten Wächterin erwartet hatte. Mein Gott, das war ja eigentlich keineswegs die strenge mütterliche Beraterin, so wie sie ihm immer vorgeschwebt. Hier stand ja in Wahrheit ein hohes, blühendes Weib, das nur zu unnahbar, zu abgeschlossen lebte, als daß sich ein zerstörendes Verlangen bis zu ihr erheben konnte. Und jetzt, gerade jetzt sprach jene edel gemeißelte, wunschlose Statue zu ihm so redlich, so erkennend, daß ihm das Herz überfloß. Welch ein Glück, welch ein teures Pfand für die Zukunft, daß Marianne, diese heiße zuckende Flamme, die an seinem Leben fraß, eine solche Schwester, eine derartige Hüterin ihr eigen nannte. Und jäh errötend begann er sein Anliegen vorzutragen. Um was er eigentlich geworben, in unzusammenhängenden Worten, die sich nur schwer zu zerhackten Sätzen fügen wollten, das wußten die beiden, die einen so ehrlichen Handel miteinander zu schließen gedachten, später kaum mehr anzugeben. Jedem von ihnen blieb nur das erlösende Bewußtsein, daß endlich etwas Irrlichterlierendes, das sich gegen alle Ordnung sträubte, eine feste und redliche Form gewinnen sollte. Plötzlich reichten sich beide noch einmal stumm die Hände. In diesem Augenblick wurde die Gutsherrin von Maritzken völlig von der Vorstellung beherrscht, daß sie einem großen treuherzigen Jungen das begehrte Geschenk mit mütterlicher Sorgsamkeit überreiche.

      »Wir sind einig, mein lieber Herr Leutnant,« schloß sie einfach, indem noch immer das gute Lächeln um ihre Lippen schwebte. »Und nun eilen Sie nur, damit Sie auch derjenigen Ihre Wünsche auseinandersetzen können, mit der Ihnen eine Unterhaltung gewiß viel erfreulicher und amüsanter sein wird, als mit mir. Nein, nein, lieber Fritz Harder,« sträubte sie sich beinahe schelmisch, als der

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