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wurde der Gedanke an sein eigenes Schicksal ganz in den Hintergrund gedrängt durch den an seinen Sohn. Wo war Onnen?

      Allein im Kampfe, vielleicht getötet, vielleicht gefangen, um demnächst erschossen zu werden. Der unglückliche Vater ächzte.

      Er durfte nicht rufen, kein Geräusch verursachen. Ganz abgesehen von dem eigenen Verderben konnte er durch jedes Wort, jeden Laut auch das des Knaben herbeiführen.

      Sein Herz schlug heftig; unter den brennenden Schmerzen der Wunde kreuzten sich in dem erregten Gehirn die widerstreitendsten Gedanken. War es recht, so den Gesetzen zu trotzen, nicht etwa aus Armut, gedrängt und getrieben von der bitteren Not des Lebens, sondern mit geheimer Freude an dem Verbotenen? War es recht, so alles aufs Spiel zu setzen – gewaltsam, rücksichtslos, nur aus Eigensinn?

      Aber die Reue kam zu spät. Wenn vier oder fünf Stunden vergingen, dann rauschte die Flut heran und hohe Wogen wälzten sich über die Stelle, wo er lag. Dann war alles vorbei, die Franzosen um ihren Gefangenen betrogen.

      Wie der Kampf tobte, wie Schrei um Schrei herüberklang. Das war Heye Wessel, aber in dem Tone, den er hervorstieß, lag kein Siegesjubel. »Ach, Onnen, Onnen, wo bist du? – Vergebe mir Gott die Todsünde, daß ich ihn mitgehen ließ!«

      Er tauchte die Hand in das Wasser und goß es über den brennenden Fuß. Wie furchtbar der Schmerz, wie unerträglich!

      Wenn er sich einmal, ein einziges Mal umwandte, wenn er nur für Sekunden seine Kräfte zusammenraffte, dann hatte ihn die tiefe Gate verschlungen und der Kampf war vorüber, er lag weich gebettet da unten im Wasser. Sollte er‘s tun?

      Durch sein Inneres ging schwere Erschütterung. »Nein! Sünde häufen auf Sünde, noch dem Willen Gottes widerstreben im letzten Augenblick? – Nein!«

      Er lag regungslos. Was da kam, das würde ihn vorbereitet finden.

      Über den weißen Sand fiel ein Schatten, spähende Gestalten schlichen herbei, Franzosen, die das Pferd im Todeskampfe ächzen hörten und dem Schalle nachgingen. Jetzt sahen sie den Leichnam, aber wo war der Reiter?

      Und dann hatte einer der Soldaten den Daliegenden entdeckt, ein erstickter Jubelruf brach über seine Lippen. Der Führer des Schmugglerschiffes – welch ein Fang!

      Klaus Visser war außerstande, sich selbst zu helfen, er fühlte, wie Hitze und Kälte in seinen Adern wechselten – von fern drang das Toben des Kampfes bis zu ihm; er stieß einen Schrei aus, einen einzigen qualerpreßten Schrei, und dann verlor er das Bewußtsein.

      Die Franzosen hoben ihn schleunigst auf und trugen ihn als ersten Gefangenen an Bord ihres Schiffes.

      Einer hatte den Schrei gehört, ein einziger – Onnen. Die Stimme seines Vaters war zu ihm gedrungen, ein eisiges Erschrecken lief durch alle seine Adern. Er stürzte blindlings fort, unbekümmert um die Franzosen, welche ihn sahen, um die Kugeln, welche ihm nachgeschickt wurden, aber er beherrschte sich doch genügend, um den Ruf des Vaters wenigstens nicht zu beantworten.

      Der Weg über das Watt war schmal, es konnte nicht schwer werden, hier einen Menschen, selbst einen verwundeten, aufzufinden. Onnen eilte vorwärts, das Kampfgetümmel blieb hinter ihm, er ließ sich nicht die Zeit, irgend etwas zu beobachten, sondern stürmte nur weiter, dem einmal gehörten Schalle nach – dann blieb er plötzlich erschreckend stehen. Nahe am Rande der Gate lag das tote Pferd – was war hier geschehen?

      Raubvögel flogen auf, als er kam, kreischend und flügelschlagend, das Wasser glitzerte hell – von dem Kapitän war nichts zu entdecken.

      »Vater!« rief halblaut, mit erstickter Stimme der Knabe. »Vater, wo bist du?«

      Alles blieb still.

      »Vater, um Gottes willen, gib Antwort!«

      Nichts! – So sehr er auch horchte und spähte. Nichts!

      Ein schauerlicher Gedanke hatte sich seiner Seele bemächtigt. Sollte der Kapitän, durch den jähen Sturz des Pferdes weitab in den Sand geschleudert, der Gate zu nahe gekommen sein? Sollte er da unten im Wasser liegen?

      Onnen warf sich im selben Augenblick, als die Frage entstand, platt auf den Boden und streckte den rechten Arm bis über die Schulter in das Wasser, dann, als er nichts entdeckte, kroch er vorsichtig um den Rand der Vertiefung herum und untersuchte überall den Schlick des Grundes, der für seine Fingerspitzen gerade eben erreichbar blieb.

      Während dieser eifrigen Nachforschung überhörte er es, daß sich zwei Männer der Stelle, wo das tote Tier lag, von verschiedenen Seiten näherten, beide vorsichtig schleichend, der letztere offenbar den ersteren beobachtend. Onnen kehrte ihnen den Rücken zu, er dachte im Augenblick nur an seinen rätselhaft verschwundenen Vater und ließ dabei die nötige Vorsicht ganz außer acht. Erst als der vorderste der beiden Männer das Pferd erreicht hatte, blickte er auf.

      Vor ihm stand der Unteroffizier Durand von dem Kanonenboot »Hortense«.

      Onnen erschrak heftig, der Franzose aber schien von förmlichem Entsetzen ergriffen. »Diable«, rief er, »schon wieder der Knabe!«

      Und zurücktaumelnd riß er die Signalpfeife aus der Brusttasche, um Menschen herbeizurufen, um nicht länger allein zu bleiben mit dem, den er für ein Gespenst hielt.

      Kräftige Arme verhinderten, ihn rückwärts zu Boden werfend, dies Vorhaben; die Pfeife flog weit hinaus auf das Watt, ein Knebel schloß den Mund des Franzosen, ehe er Zeit behielt, sich zu verteidigen.

      Dann noch Hände und Füße mit Schlingen umwunden, und der überraschte Soldat konnte nur ächzen, aber keinerlei Fluchtversuch unternehmen.

      Als Onnen den Kopf erhob, sah er das Gesicht seines unerwarteten Befreiers. »Uve Mensinga«, rief er aufstehend in schmerzlichem Tone, »wo ist mein Vater?«

      »Ich weiß es nicht, Junge! Was machst du hier? Aber einerlei; komm schnell, ich habe ein Pferd, wir müssen eilen, um zur rechten Zeit nach Neßmersiel zu kommen.«

      »Ohne meinen Vater? – Das kann ich nicht!«

      »Natürlich, Onnen, natürlich. Vielleicht ist er längst drüben in Sicherheit.«

      Onnen schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Mensinga. Nein, nein, der Vater wäre nicht geflohen ohne mich!«

      Der Wattführer zuckte die Achseln. »Ich weiß davon nichts, aber mir deucht, hier lassen darf ich dich nicht. Nach einer Stunde kommt die Flut.«

      Onnen weinte. »Aber wenn nun mein armer Vater verwundet, bewußtlos hier läge – wenn er einsam und verlassen von den Wellen begraben würde?«

      Der Wattführer seufzte. »Wahrhaftig, Junge, du quälst mich!« rief er aus. »Wenn jemand für Klaus Visser durch Feuer und Wasser gehen würde, so bin ich es, aber hier ist nichts zu machen – wir müssen eilen, um selbst mit heiler Haut davonzukommen. Nebenbei können auch jeden Augenblick die Franzosen hier sein.«

      Der Knabe trocknete seine immer wieder hervorquellenden Tränen und weigerte sich nicht länger, dem erprobten Freunde zu folgen. Aber vorher deutete er noch auf den wehrlos daliegenden Franzosen.

      »Was machen wir mit ihm, Mensinga?«

      »Wir überlassen ihn seinem Schicksal, das ist einfach genug.«

      »Aber die Flut?« flüsterte Onnen. »Wollen wir ihm nicht wenigstens den Knebel aus dem Munde nehmen?«

      »Damit er uns seine Spießgesellen auf den Hals zieht? – Denke an all den Jammer, den uns die Franzosen verursachen, und laß dir den Patron nicht leid tun.«

      Er zog den Knaben ohne weitere Worte mit sich fort und zu dem Pferde, das er an einen Birkenstamm gebunden hatte. Sie bestiegen es beide, die Zeit drängte – eilig, mit lautlosen Schritten lief das Tier über den lockeren Boden.

      Der gefesselte Unteroffizier blieb allein. Eine verzehrende Angst durchflutete alle seine Adern, ließ ihm die Augen fast aus den Höhlen treten – wenn das Wasser kam, so war es um ihn geschehen.

      Er versuchte sich zu erheben und fiel wieder zurück, er wollte das Tuch aus dem Munde ziehen und konnte es nicht erreichen. All sein Blut schien Feuer, seine Glieder zitterten.

      Sollte

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