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Münchhausen. Karl Immermann
Читать онлайн.Название Münchhausen
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Karl Immermann
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
So weit das Auge über den Baumgarten hinausblickte, sah es auch nur Grün. Denn jenseits des Gartens lagen die großen Wiesen des Oberhofes, auf welchen der Schulze Raum und Futter für seine Pferde besaß. Ihre Zucht, mit Fleiß betrieben, gehörte zu den einträglichsten Nahrungsquellen des Erbes. Auch diese grünen Grasflächen waren von Hecken und Gräben umschlossen; eine derselben faßte einen Weiher ein, in welchem ausgefütterte Karpfen zugweise umherschwammen.
Auf diesem reichen Hofe zwischen vollen Scheuern, vollen Böden und Ställen hantierte der alte, weit und breit angesehene Hofschulze. Bestieg man aber den höchsten Hügel, zu dem sich seine Felder hinauf erstreckten, so erblickte man von dort die Türme dreier der ältesten Städte Westfalens.
Es ging zu der Zeit, von welcher ich rede, auf eilf Uhr vormittags, und der ganze weitläufige Hof war so still, daß sich fast nur das Rauschen der Lüfte in den Baumwipfeln des Kamps vernehmen ließ. Der Schulze maß dem Knechte Hafer zu, womit dieser, den Sack über der Schulter, langsamen Schrittes nach dem Pferdestalle ging, die Tochter zählte in der Linnen- und Garnkammer ihre Ausstattung nach, eine Magd besorgte die Küche. Was sonst von Menschen im Hofe lebte, lag und schlief, denn es ging gegen die Ernte, in welcher Zeit es bei den Bauern am wenigsten zu tun gibt, und die Arbeiter jede Minute zu benutzen pflegen, um gewissermaßen auf Rechnung der herannahenden schweiß- und mühevollen Tage in voraus zu schlafen. Überhaupt können die Landleute, wie die Hunde, zu allen Stunden bei Tage und bei Nacht schlafen, wann sie wollen.
Viertes Kapitel
Aus den Hügeln, welche die Felder des Hofschulzen begrenzten, traten zwei Männer von verschiedenem Ansehen und Alter. Der eine, im grünen Jagdcollet, die kleine Mütze über das lockige Haupt geworfen, die leichte Lütticher Flinte im Arme, war ein blühendschöner Jüngling, der andere, in stillere Farben gekleidet, ein ältlicher Mann von treuherziger Miene. Der Jüngere schritt rasch wie ein Edelhirsch dem Älteren voran, der seines Orts mehr den langsamen Gang eines ausgedienten, aber dem Herrn noch stets anhänglich nachschleichenden Jagdhundes hatte. Als sie auf einen freien Platz vor den Hügeln getreten waren, setzten sie sich auf einen großen Stein, der dort nebst mehreren andern lag, im Schatten einer mächtigen Linde. Der Jüngere gab dem Alten Geld und Schriften, deutete ihm die Richtung an, in welcher er nun seinen Weg fortsetzen müsse, und sagte zu ihm: »Jetzt Jochem, geh und sei gescheit, daß wir des vermaledeiten Schrimbs oder Peppel habhaft werden, der solche abscheuliche Lügen ausgedacht hat. Und sobald du ihn entdeckt hast, gib mir Nachricht.«
»Ich werd‘ g‘scheit sein«, erwiderte der alte Jochem. »Ich frage immer so sacht und unter der Hand in den Flecken und Städten nach einem, der sich Schrimbs oder Peppel schreibt, und es müßte mit dem Henker zugehen, wenn ich den Gauch nicht ausfindig machen wollte. Sie halten sich derweile inkognito-verborgen, bis Sie von mir ein Weiteres vernehmen.«
»Wohl«, sagte der junge Mann, »und nur immer äußerst vorsichtig und bedachtsam gehandelt, Jochem, denn wir sind nicht mehr im lieben Schwabenland, sondern dahaußen unter Sachsen und Franken!«
»Die wüsten Kerl‘!« versetzte der alte Jochem. »Sie haben halt lang von Schwabenstreichen gesprochen, sie sollen verspüren, daß der Schwab auch ein feiner Vogel sein kann, wann‘s not tut.«
»Immer rechts dich gehalten, mein Jochem, denn dahin weisen die letzten Spuren von dem Schrimbs oder Peppel«, sagte der junge Mann, indem er aufstand, und dem Alten zum Abschiede herzlich die Hand schüttelte. »Immer rechts, versteht sich«, erwiderte dieser, gab dem andern die vollgestopfte Weidtasche, die er bis jetzt getragen hatte, lupfte den Hut, und ging dann zwischen den Kornfeldern einen Seitenpfad rechts nach der Gegend zu hinab, wo man in der Ferne eine der im vorigen Kapitel angedeuteten Turmspitzen ragen sah.
Der junge Mann mit der Jagdflinte ging dagegen gerade gegen den Oberhof hinunter. Er mochte etwa hundert Schritte weit gegangen sein, als er etwas keuchend hinter sich herkommen hörte und sich umdrehend sah, daß sein alter Begleiter ihm folgte. »Ich wollte Sie noch um eins gebeten und ersucht haben«, rief dieser, »tun Sie, da Sie nun allein und sich selbst überlassen sind, das Schießgewehr von sich, denn Sie treffen doch nichts und richten, weiß Gott, noch einmal ein Unglück an, wie neulich schon beinahe geschehen wäre, da Sie nach dem Hasen zielten und beinahe das Kind niedergeschossen hätten.«
»Ja, es ist verwünscht, immer zu zielen und nimmer zu treffen!« rief der junge Mann. »Ich will mich auch wahrhaftig überwinden, so schwer es mir fallen wird, denn du weißt ja, daß es mir von meiner seligen Mutter her anklebt, allein ich will mich, wie gesagt, überwinden, und es soll kein Schrotkorn aus diesen Läufen fliegen, solange ich von dir entfernt bin.«
Der Alte bat ihn um das Gewehr. Dem aber weigerte sich der junge Mann, indem er sagte, daß es ohne Gewehr ja gar keine Überwindung koste, das Schießen zu lassen, und seine Handlungsweise dann alles Verdienst einbüße. »Das ist auch wahr«, erwiderte der Alte und ging nun getrost, ohne einen zweiten Abschied zu nehmen, da der erste noch vorhielt, seine ihm angewiesene Straße zurück. Der junge Mann blieb stehen, setzte das Gewehr auf den Boden, stieß den Ladestock in den Lauf und sagte: »Es wird hart halten, den Schuß herauszubringen, und er darf doch nicht darin bleiben.« Dann warf er es wieder über die Schulter und schritt auf den Eichenkamp des Hofschulzen zu.
Dicht vor demselben von einem schmalen Raine ging eine Kette Feldhühner mit schmetterndem Flügelschlage und Geschrei auf. Jauchzend riß der junge Mann das Gewehr von der Schulter, rief: »Da werde ich ja gleich der Schüsse quitt!« schlug an, es knallte zweimal aus dem Doppelgewehre, die Vögel flogen unversehrt davon, der Jäger sah betroffen ihnen nach, sagte: »Diesmal, meinte ich, müßte ich was getroffen haben, nun will ich mich aber auch gewiß überwinden«; und setzte seinen Weg durch das Eichenwäldchen nach dem Hofe fort.
Als er zur Türe eintrat, sah er in einem geräumigen, hohen Flure, welcher den ganzen mittleren Teil des Hauses einnahm, den Hofschulzen mit Tochter, Knechten und Mägden bei dem Mittagsessen sitzen. Er bot mit seiner sonoren, wohlklingenden Stimme freundlichen Gruß; der Hofschulze sah ihn achtsam, die Tochter verwundert an, was die Knechte und Mägde betrifft, so sahen ihn diese gar nicht an, sondern aßen, ohne seiner zu achten, weiter. Der Jäger trat zu dem Hofwirte und erkundigte sich nach der Entfernung der nächsten Stadt und dem Wege dahin. Anfangs verstand der Schulze diese ihm fremdklingende Sprache nicht, die Tochter aber, welche kein Auge von dem schönen Jäger verwandte, half ihm den Sinn entdecken, und er gab darauf richtigen Bescheid. Diesen verstand wieder der Jäger seinerseits erst nach dreimaligem Fragen, brachte aber endlich doch heraus, daß die Stadt auf dem schwer zu findenden Fußwege unter zwei starken Stunden nicht zu erreichen sei.
Die Mittagshitze, der Anblick des vor ihm stehenden reinlichen Mahls und sein eigner Hunger riefen in dem Jäger die Frage auf: Ob er nicht hier für Geld und gute Worte Essen und Trinken und bis zur Abendkühle Obdach erhalten könne? — »Für Geld nicht«, versetzte der Hofschulze, »für ein gutes Wort aber Mittagsessen und Abendbrot dazu und Rast, solange es dem Herrn beliebt«; ließ einen spiegelblanken zinnernen Teller, Messer, Gabel und Löffel, ebenso blank wie der Teller, aufsetzen und nötigte den Gast zum Sitzen. Dieser sprach dem kräftigen gekochten Schinken, den großen Bohnen, den Eiern und Würsten, woraus die Mahlzeit bestand, mit allem Appetite der Jugend zu, und fand, daß die weit und breit als böotisch verschrieene Landeskost gar so übel nicht sei.
Geredet wurde von den Wirten wenig, denn der Bauer spricht während des Essens nicht gern, doch erfuhr der Jäger von dem Hofschulzen auf Befragen, daß hier herum in der ganzen Gegend