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mit Entsetzen und Verzweiflung daran denkend, was er Kity sagen sollte und was diese jetzt denken mochte.

      Endlich flog der unglückliche Kusma, mit Mühe nach Atem ringend, mit dem Hemd in das Zimmer herein.

      „Ich habe sie gerade noch erwischt; die Sachen waren schon auf dem Fuhrwerk,“ sagte er.

      Drei Minuten später stürzte Lewin, ohne nach der Uhr zu sehen, um seine Wunde nicht noch zu vergrößern, Hals über Kopf den Korridor entlang.

      „Damit kannst du nicht mehr viel helfen,“ sagte Stefan Arkadjewitsch lächelnd, ihm hastig nachstrebend. „Es wird sich schon machen, es wird sich schon machen – sage ich dir!“

      4

      „Er ist da! – Da ist er! Welcher ist es? Ist er nicht ziemlich jung? Und sie – ja – mehr tot als lebendig!“ – klang es in der Menge durcheinander, als Lewin, nachdem er seine Braut an der Einfahrt begrüßt hatte, mit dieser zusammen die Kirche betrat.

      Stefan Arkadjewitsch hatte seiner Gattin die Ursache der Verzögerung mitgeteilt, und die Trauzeugen zischelten nun lächelnd untereinander. Lewin sah und hörte nichts, er musterte nur unverwandten Blickes seine Braut.

      Alle sagten, daß sie in den letzten Tagen sehr abgenommen hätte, und im Kranze bei weitem nicht so gut aussah, wie gewöhnlich, aber Lewin fand dies nicht. Er schaute ihre hohe Frisur mit dem langen weißen Schleier und den weißen Blüten an, den hochstehenden gefalteten Kragen, der eigenartig jungfräulich von den Seiten und von vorn ihren schlanken Hals bedeckte und auf die überraschend enge Taille, und ihm schien, daß sie so schöner sei, als sie je gewesen, nicht deshalb, weil diese Blüten, dieser Schleier, dieses aus Paris verschriebene Kleid zu ihrer Schönheit noch etwas hätte hinzufügen können, sondern, weil trotz der künstlichen Pracht der Kleidung der Ausdruck ihres guten Gesichtchens, ihres Blickes, ihrer Lippen, immer der nämliche bei ihr geblieben war mit seiner unschuldigen Treuherzigkeit.

      „Ich dachte schon, du wolltest mir davonlaufen,“ sagte sie lächelnd zu ihm.

      „Es war so thöricht, was sich mit mir zugetragen hat, daß ich es gar nicht erzählen kann,“ antwortete er, errötend, mußte sich aber jetzt zu seinem an ihn herantretenden Bruder Sergey Iwanowitsch wenden.

      „Nicht übel, die Geschichte mit deinem Hemd,“ sagte Sergey Iwanowitsch, lächelnd den Kopf schüttelnd.

      „Ja, ja,“ versetzte Lewin, ohne zu verstehen, wovon man mit ihm sprach.

      „Nun, mein Konstantin, jetzt müssen wir,“ sagte Stefan Arkadjewitsch mit scheinbar erschrecktem Gesicht, „eine wichtige Frage entscheiden. Du nur bist jetzt in der Verfassung, die ganze Bedeutung derselben zu ermessen. Man frägt mich, ob heruntergebrannte Kerzen angesteckt werden sollen, oder nicht heruntergebrannte? Der Unterschied macht zehn Rubel aus,“ fügte er hinzu, die Lippen zu einem Lächeln kräuselnd, „ich habe entschieden, fürchte jedoch, daß du mir deine Einwilligung nicht geben wirst.“

      Lewin erkannte, daß dies ein Scherz sein sollte, aber er vermochte nicht zu lächeln.

      „Also wie? Nicht gebrannte oder heruntergebrannte? Das ist die Frage.“

      „Nun, nicht gebrannte.“

      „Nun, freut mich sehr. Die Frage ist entschieden,“ sagte Stefan Arkadjewitsch lächelnd. „Aber wie thöricht doch die Menschen in einer solchen Situation werden,“ fuhr er zu Tschirikoff gewendet fort, nachdem Lewin, ihn zerstreut anblickend, wieder zu seiner Braut getreten war.

      „Paß auf, Kity, du mußt also zuerst auf den Teppich treten,“ sagte die Gräfin Nordstone herzukommend. „Wie stattlich Ihr ausseht,“ wandte sie sich an Lewin.

      „Dir ist doch nicht ängstlich?“ frug Marja Dmitrjewna, ihre alte Tante.

      „Ist dir nicht wohl? Du bist blaß. Halt, beuge dich ein wenig,“ sagte die Lwowa, die Schwester Kitys, ihre vollen schönen Arme krümmend und lächelnd ihr die Blüten auf dem Haupte ordnend.

      Auch Dolly kam; sie wollte etwas sagen, konnte aber nichts herausbringen und begann zu weinen und unnatürlich zu lachen.

      Kity schaute alle mit den nämlichen abwesenden Blicken an, wie Lewin. Mittlerweile hatten die Kirchendiener ihren priesterlichen Schmuck angelegt und der Geistliche mit dem Diakonus traten zu dem Altar, welcher in der Vorhalle der Kirche stand. Der Geistliche wandte sich an Lewin und sagte zu diesem einige Worte. Lewin vernahm nicht, was der Priester gesagt hatte.

      „Nehmt Eure Braut an der Hand und führt sie,“ sagte der Brautherr zu ihm.

      Lange Zeit konnte Lewin nicht verstehen, was man von ihm wollte. Man besserte lange an ihm herum und wollte schon die Hoffnung aufgeben – weil er stets nicht mit der richtigen Hand griff, oder den richtigen Arm nahm – als er endlich erkannte, daß er mit der rechten Hand ohne seine eigene Stellung zu verändern, sie ebenfalls bei der rechten Hand zu nehmen hatte. Nachdem er endlich die Braut in der gehörigen Weise bei der Hand genommen hatte, ging der Priester einige Schritte vor und blieb auf der Altarerhöhung stehen. Die Schar der Verwandten und Bekannten in summendem Gespräch und unter dem Rauschen der Schleppen folgte ihnen; jemand beugte sich nieder und ordnete die Schleppe der Braut. In der Kirche wurde es so still, daß man das Fallen der Wachstropfen vernahm.

      Der alte Priester im Scheitelkäppchen mit seinen schimmernden, silbergrauen Haarlocken, die hinter den Ohren nach beiden Seiten geteilt waren, streckte die greisen kleinen Hände aus dem schweren silbernen und mit einem goldenen Kreuz auf dem Rücken geschmückten Gewand hervor und blätterte noch ein wenig auf dem Altar.

      Stefan Arkadjewitsch begab sich behutsam zu ihm hin und flüsterte ihm, nach Lewin hinblinzelnd etwas zu, worauf er wieder zurückkehrte.

      Der Geistliche zündete zwei mit Blumen geschmückte Kerzen an, indem er sie mit der linken Hand schräg hielt, sodaß das Wachs langsam von ihnen herniedertropfte und wandte sich zu den Neuvermählten. Der Geistliche war der nämliche, bei welchem Lewin gebeichtet hatte. Er schaute mit mattem, traurigen Blick auf Bräutigam und Braut, seufzte und segnete mit der Rechten, die er unter dem Priestergewand hervorstreckte, den Bräutigam, worauf er gleichfalls, aber mit einem Anschein hütender Zärtlichkeit, die Finger auf das geneigte Haupt Kitys legte. Er reichte hierauf beiden die Kerzen und verließ sie langsam, das Räucherfaß nehmend.

      „Ist es denn wahr?“ dachte Lewin und blickte auf seine Braut. Wie von oben herab erschien ihm ihr Profil, und an einer kaum bemerkbaren Bewegung ihrer Lippen und Wimpern erkannte er, daß sie seinen Blick empfunden hatte. Sie schaute nicht auf, aber der hohe Rüschenkragen bewegte sich leise, der bis zu ihrem rosigen kleinen Ohr heraufging. Er sah, daß ein Seufzer ihre Brust belastete und die kleine Hand zitterte, welche in dem hohen Handschuh das Licht hielt. All jener eitle Kram mit dem Hemd, der Verspätung, die Auseinandersetzung mit den Bekannten und Verwandten, deren Mißvergnügen, seine komische Situation – alles das war plötzlich verschwunden und es wurde ihm freudig und bange zugleich zu Mut.

      Der schöne stattliche Protodiakonus im silbern-schimmernden Chorhemd und den nach seitwärts in gewundenen Locken gekämmten Haaren trat schnell vor und blieb, in der üblichen Geste mit zwei Fingern die Stola hebend, dem Geistlichen gegenüber stehen.

      „Segne, Herr!“ ertönten langsam einer nach dem anderen, feierliche Klänge, die Luft in Schwingungen versetzend.

      „Gelobt sei unser Gott immerdar jetzt und fürderhin in alle Ewigkeit,“ antwortete sanft und in singendem Tone der alte Geistliche, noch immer auf dem Altar nach etwas suchend. Die ganze Kirche erfüllend von den Fenstern an bis zu den Kreuzbögen, erhob sich, harmonisch und getragen, ein voller Akkord vom unsichtbaren Chor aus, wuchs an, stand einen Augenblick und erstarb dann.

      Man betete, wie üblich, für den himmlischen Frieden und das Seelenheil, für die Synode und für Gott, es wurde gebetet auch für den Knecht Gottes, Konstantin, und Jekaterina, die sich jetzt verlobten.

      „Daß ihnen sende hernieder eine völlige friedsame Liebe, daß ihnen helfe Gott, das bitten wir,“ atmete gleichsam die ganze Kirche von der Stimme des Protodiakonus.

      Lewin vernahm die Worte und sie machten ihn betroffen. „Wie konnte man vermuten, daß Hilfe not

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