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wenigstens höflich und zurückhaltend und damit eher ein Spaß als gefährlich zu sein. Und, was „Gott“ anging, sogar ziemlich ansehnlich. Ein schmales, markant geschnittenes Gesicht mit hohen Wangenknochen, der Körper wohlproportioniert und feingliedrig, die hüftlangen Locken dunkelbraun glänzend. An der rechten Schläfe standen sie allerdings wirr wie ein Ball Zuckerwatte vom Kopf ab, weil der Gestörte sich ständig sein Ohr rieb. „Krasser Penner, ey, sag isch dir, Alter!“, murmelte er dabei in sich hinein.

      „Kleines … Lärmtrauma“, erklärte sein männlicher Begleiter. „Ein Onkel von ihm spielt Trompete, wissen Sie.“

      Prüfend musterte Christoph Unterhuber Kadirs neuen Klienten. Ganz schön blass war der auf den zweiten Blick, die tiefschwarzen, eigentlich sehr apart mandelförmigen Augen gerötet, seine aufgeworfenen, auffällig wohlgeformten Lippen trocken.

      Hoffentlich fängste dir nichts ein von dem, tippte Christoph in seine Tastatur und schickte die Nachricht auf Kadirs Rechner. Wieder ein Grinsen.

      „Irgendwelche Nachweise über Ausbildungen, Abschlüsse, weitere Qualifikationen?“

      „Fick … Fickationen, ey? Schwul oder was?!“

      Kadir Unterhuber war ein freundlicher und auch eigentlich sehr beherrschter Mensch – aber er hatte Grenzen!

      „Unser Freund, er meint das nicht so. Wissen Sie, das hat nur was … mit seinem mangelnden Selbstbewusstsein zu tun. Deshalb sind wir ja hier.“

      Trotzdem bedeckte Christoph Unterhuber nun seine Ohren mit den Handflächen, obwohl der Schreibtisch seines geliebten Mannes gut sechs Meter entfernt stand.

      „JA! ICH – BIN – SCHWUL! WAS DAGEGEN?!“

      Das Gemurmel im Gang war schlagartig verstummt. Auch „Gottes“ Begleitung und dem Irren selbst hatte es die Sprache verschlagen. Stille.

      Bis Kadir Unterhuber sich ungerührt von seinem Stuhl erhob: „Ich denke“, tröpfelte es beißend wie Säure von seinen geschürzten Lippen, „Ich denke, Sie machen erst einmal einen Kurs für angemessene Ausdrucksweise. Und übrigens.“ Eisig grinsend beugte er sich zu „Gott“ herunter und senkte seine Stimme: „Die, die’s am heftigsten abstreiten, haben immer am meisten zu verbergen. Ich seh’ doch auf tausend Meter, dass Sie ne Schrankschwester sind!“

      „Schrank … was?“, stotterten der Irre und sein Kumpel gleichermaßen verwundert.

      „Schrankschwester“, wiederholte die Frau und Christoph konnte sehen, dass sie ein Grinsen unterdrückte, „Ein nicht gerade charmantes Wort für …“

      „Für einen Homo, der Angst hat zuzugeben, dass er n’ Homo is’ und deshalb so tut, als wäre er die Ober-Hete!“, rief Christoph genüsslich hinüber, so laut, dass alle auf dem Gang sich umdrehten. „Weil er denkt, dass so keiner was mitkriegt.“

      „Solche Typen“, ergänzte Kadir voll gespielten Mitleids, „Solche Typen enden ja meist entsetzlich tragisch. Fahren in ihrer Verzweiflung mit dem Auto gegen einen Baum, wie Jörg Haider, oder stürzen sich aus dem Fenster, wie Rex Gildo.“

      „ACH DU SCHEISSE!“ Wie vom Blitz getroffen schlug „Gottes“ Begleiter sich an die Stirn „Und ich sach’s noch! Rex Gildo!“

      „Rex Dildo, ey? Krass schwule Scheiße, Alter!“

      „Nu reicht’s aber! Du springst mir nich’ aus’m Fenster! Hast du gehört?!“

      Und während „Gott“ sich nun zur Abwechslung beide Ohren rieb vom Gebrüll seines Freundes, drehte dieser sich mit vorwurfsvoller Miene zu seiner Frau um: „Du hast das die ganze Zeit gewusst, oder?! Seit tausendsechshundert Jahren! Ich meine, du hättest doch wenigstens mal ne Andeutung …!“

      Die Miene der Angesprochenen verfinsterte sich.

      Immer mehr.

      „Darf ich dich daran erinnern, dass ich für meine Allwissenheit ja nun wohl alles andere als etwas kann!”, explodierte sie schließlich. „Wes-halb es ab-so-lut un-fair ist, mir auch nur einen Funken an Verantwortung zuzuschieben, nur weil ich jeden verdammten Scheiß immer vor allen anderen auf mich zukommen sehe! Das allein ist ja wohl schon anstrengend genug! Was du natürlich nicht versteht, weil du ja grundsätzlich immer … ”

      Und während die Frau redete und redete und die Schultern ihres nun auffallend hilflos wirkenden Mannes höher und höher in Richtung seiner Ohren wanderten, buffte der Irre seinem Kumpel in die Seite.

      „Ey, lassma die Alte und lass ma ein’ Kiffen, ey.“

      „Gottes” Begleiter reagierte nicht.

      Aber Kadir und Christoph. Wissend grinsten sie einander zu. Weil sie sich liebten. Und weil beiden plötzlich das Wort „Wüstengott“ wieder in den Sinn gekommen war.

      „Hatten Sie gerade … Kiffen gesagt?“, mit aufmunterndem Lächeln schob Christoph den Langhaarigen zurück in Kadirs Büro.

      Die Indoor-Strandbar Mykonos auf dem Fabrikgelände der Schöneberger Motzstraße war überfüllt. Wie immer am Freitagabend, obwohl jedes Mal alle so taten, als wäre der Hype darum, in künstlich aufgeschütteten Sanddünen nackt Cocktails zu schlürfen, zu kiffen und zwischendurch anonymen Safer Sex zu haben, nun wirklich so was von gestern.

      Dass aber Kadir und Christoph Unterhuber, Sachbearbeiter für Arbeitssuchende mit den Anfangsbuchstaben I bis J beziehungsweise N bis O einander in ihren Liegestühlen wissend zugrinsten, hatte einen anderen Grund. Sie taten das, weil sie sich liebten. Und weil sie, angesichts des splitternackten, blendend aussehenden Gläsersammlers, der wendig wie ein Wüstenfuchs vor ihnen durch Sanddünen und THC-Qualm tanzte, Lady Ga Ga’s „Born this Way“ auf den vollen Lippen und ein seliges Strahlen in den tiefschwarzen Augen, sogleich an ihre Väter denken mussten.

      Nicht wegen etwaiger optischer oder charakterlicher Ähnlichkeiten.

      Aber wie würden die alten Herren wohl reagieren, wenn man ihnen erzählte, dass Gott, anstatt alle Schwulen wegen Unzucht zu strafen, hier in der Strandbar Mykonos endlich der sein durfte, der er wirklich war. Frei, unbeschwert und glücklich. Er hatte sogar aufgehört zu kiffen und machte jetzt regelmäßig Abstecher in den Mykonos-Fitnessbereich.

      Wobei natürlich nicht klar war, ob es sich um den muslimischen oder um den katholischen Gott handelte. Aber sowohl Christoph als auch Kadir vermuteten, dass das möglicherweise gar nicht so einen großen Unterschied machte.

      „Nicht ‚Gott’“, grinste Kadir, „Ein Gott. Weißt du nicht mehr?“

      „Ach ja …“, kicherte Christoph. „Hatte gestern auch schon wieder zwei von der Sorte. Wobei … eine war nur die Jungfrau Maria, hat sie gesagt. Aber scheint umzugehen gerade. Überall Götter, hehe …“

      Was Wotan durchaus bestätigen konnte. Grinsend zwinkerte er von seinem Liegestuhl aus dem splitternackten Hammerträger in der Sanddüne zu. Natürlich waren die letzten anderthalb Jahrtausende kein Spaziergang gewesen – aber eigentlich auch kein allzu hoher Preis für ihren nun so fröhlichen Wüstenkollegen.

      Und für die Entdeckung dieses erholsamsten aller Orte, zu dem Frauen keinen Zutritt hatten. Schon gar keine allwissenden Frauen, die beschlossen, dass es Zeit war, ein Problem zu lösen – oder ihre Erkenntnisse zum Thema göttliche Superkraft loswerden wollten.

      Wofür Du mir eigentlich dankbar sein solltest, kicherte Frija, die natürlich schon seit Anbeginn gewusst hatte, dass Wotan gerade jetzt genau dies denken würde.

      Und weil sie nicht nachtragend war, beschloss sie, einfach die häusliche Ruhe zu genießen und das Bett im Gästezimmer frisch zu beziehen.

      Nicht für Jehova. Der wohnte jetzt in Schöneberg.

      Aber es konnte ja immer sein, dass überraschend jemand vorbeikam.

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