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die Kinder in das Haus zurückkehrten, war die Obstfrau schon fort. Mit allerlei düsteren Prophezeiungen war sie gegangen, mit Worten, die besonders auf Lina, das Hausmädchen, großen Eindruck gemacht hatten. Sie wollte ohnehin nicht viel von Joli wissen und warnte: »Der richtet noch einmal großes Unheil an.«

       »Armer, lieber Joli,« dachte Lieselinchen und huschte nach dem Abendessen noch einmal in das Gewächshaus, um nach ihrem Liebling zu sehen. Fabian, den sie traf, leuchtete ihr mit seiner Laterne, und beide betraten den Vorraum des Warmhauses. Aber was war das? – Die Tür von Jolis Kammer stand offen.

      »Er ist fort,« stammelte Lieselinchen erschrocken. »Dietrich ist wohl drin,« brummelte Fabian, aber Dietrich war nicht drin und Joli auch nicht, die Kammer war leer. »Ausgerissen,« knurrte der Obergärtner.

      »Ausgerissen?« schluchzte Lieselinchen, und bald hallte es durch Haus und Garten: »Joli ist ausgerissen! Joli ist fort!«

      Mit Rufen und Locken durchzogen die Kinder den Garten. – »Joli, lieber, süßer Joli, komm doch!« – »Jolilein, Jolilein, wo bist du?« Aber kein Joli ließ sich sehen. Fabian durchleuchtete mit seiner Laterne alle Winkel, der Vater ging mit einer brennenden Fackel durch den Garten, – nirgends eine Spur von dem Vermißten.

      »Wir müssen ihn doch finden,« sagte Herr Hesse ärgerlich, »sonst gerät er mir vielleicht unter mein Spalierobst, das wir morgen abnehmen wollen, und richtet Schaden an.«

      »So einem Untier ist alles zuzutrauen,« versicherte Lina, die beinahe froh war, daß Mutter Wichertens Prophezeiungen sich so schnell erfüllen sollten.

      Die Zeit verging, es wurde acht Uhr, ein halb neun. Endlich gegen neun Uhr rief Frau Hesse die Kinder herein. »Es hilft nichts, ihr müßt zu Bett gehen,« sagte sie ärgerlich. Babele und Bubele waren auch wirklich schon so müde, daß sie beinahe über ihre eigenen Beinchen stolperten. Lieselinchen hatte dick verweinte Augen, und Dietrich machte ein Gesicht wie vierzehn Tage Regenwetter und drei Meilen schlechter Weg.

      »Joli ist uns ausgerissen, weil er so viel ausgescholten wurde,« klagte Lieselinchen im Mädchenzimmer.

       In diesem Augenblicke stieß Lina, die dem Babele gerade das Röckchen aufknöpfen wollte, einen gellenden Schrei aus. »Dort, dort, dort!« kreischte sie und deutete auf Babeles Bettchen, aus dem ein kleines, unnützes, schwarzbraunes Gesichtel hervorsah; Joli saß darin, die Puppe Ninette ganz zärtlich im Arm. »Ach, so'n Tier!« schrie Lina, »mir wird's ganz graulig!«

      »Joli, lieber Joli!« jauchzte Lieselinchen, und auf ihren Ruf kamen aus dem Bubenstübchen Dietrich und Bubele angerannt, Bubele im Hemdlein, die Höschen wie eine Siegesfahne schwenkend:

      »Joli ist da, Hurra,

       unser Joli ist da!«

      Der Lärm in den Kinderzimmern lockte die Eltern herbei, Fabian kam und Bartel, der Lehrling. Fabian beleuchtete mit seiner Laterne den Ausreißer und brummte befriedigt: »Er ist's!«

      »Na freilich ist er's! Affen laufen hier zum Glück nicht wie die Hühner rum. In der ganzen Stadt hat sich kein Mensch so'n Untier auf dem Jahrmarkt gekauft,« zeterte Lina.

      Aber Linas Brummen dämpfte der Kinder Freude nicht. Sie trugen den Ausreißer jubelnd in seine warme Kammer. Selbst Bubele schlüpfte noch einmal in seine Höslein, er mußte dabei sein. Nur Babele konnte die Augen nicht mehr offen halten, der Sandmann hatte zu viel seine Sandkörnlein hineingestreut.

      Lieselinchen gab ihrem Liebling noch den Apfel, den sie vor lauter Jammer nicht zum Abendbrot hatte essen können, und Fabian hüllte den Ausreißer sorglich in eine Decke. »Dummer Kerl,« brummte er ordentlich zärtlich, »mußt nicht solche Sachen machen!«

      Glücklich über Jolis Wiederfinden gingen die Kinder zu Bett. Es dauerte nicht lange, da schliefen alle vier süß und fest. Lieselinchen aber träumte in dieser Nacht, sie säße auf einem großen Schiff und Joli kauerte neben ihr, sah sie mit seinen klugen Augen an und sagte mit heller Stimme: »Ich möchte dir doch meine Heimat zeigen, Lieselinchen.«

      Drittes Kapitel.

      Ein gestörtes Weihnachtsfest.

      Daß sich der Winter bald naht, wenn erst Birnen und Äpfel abgeerntet sind, das wissen nicht allein Gärtnerskinder. Überall im deutschen Lande fangen um diese Zeit die Kinder an, recht gründlich und ausführlich von Weihnachten zu reden. Manche beginnen freilich schon früher damit, es soll sogar solche geben, die zwei Tage nach Ostern fragen, wenn ihnen just noch das letzte Osterei im Halse steckt: »Mutterle, wann ist Weihnachten? Bald, ja?«

      Zu diesen ganz Ungeduldigen, zu diesen kleinen Nimmersatten gehörten die Hesseschen Kinder nun freilich nicht, aber reichlich früh redeten auch sie schon von dem lieben Fest. Zuerst fingen Bubele und Babele davon an, und es dauerte nicht lange, da redeten die älteren Geschwister mit. Je näher das liebe Fest heranrückte, desto dringlicher wurden der Kinder Wünsche und Fragen.

      Einmal kam Babele gelaufen, und wenn es die andern nicht bestimmt gewußt hätten, daß es ihr Babele war, sie hätten die Kleine für ein Schornsteinfegerlein oder einen Tintenwischer halten können. Das Babele war mit Tinte beschmiert wie ein vielgebrauchtes Löschblatt. Auf der Mutter erstaunte Frage: »Aber Babele, was hast du nur getan?« antwortete die Kleine frohgemut: »Wunschzettel geschreibt!« Sie brachte einen mit Tinte beklecksten Wisch und las den lachenden Geschwistern stolz die Krähenfüße vor: »Puppe, Puppe, Puppe, und doll viel Pfefferkuchen!«

      Eine Stunde später verlangte Bubele von Lieselinchen auch einen Zettel und Tinte, aber die Schwester gab ihm nur einen Bleistift, und so fiel Bubeles Wunschzettel weniger schwärzlich aus.

      Je kürzer die Tage wurden, je tiefer der Garten in winterliches Schweigen versank, desto höher rauschten die Freudenklänge im Hause. Ganz still konnte es sein, die Mutter mochte sich gerade ein wenig über die Stille wundern, da ertönte wohl plötzlich ein Stimmlein, die andern fielen ein, und irgend ein trautes Weihnachtslied zog holdgrüßend durch das Haus.

      .Wenn der Vater es hörte, ging wohl rasch ein Schatten über sein Gesicht. Den tätigen Mann beschäftigten um diese Zeit allerlei ernste, schwere Fragen. Er dachte viel in der beginnenden Winterstille an ein fernes, fernes Land. Der alte Onkel Dietrich hatte einst in Südamerika in der brasilianischen Provinz Santa-Katarina Land gekauft, Urwald. Er wollte einen andern Neffen, einen Vetter von Rudolf Hesse hinschicken, der sollte dort eine deutsche Musterwirtschaft errichten. Aber dem jungen Mann, Reinhold Breitenstein, hatte das Seefahren besser gefallen, er war ein Seemann geworden, dem das Meer die Heimat war. Von Zeit zu Zeit kam er mit seinem Schiff nach Brasilien und erkundigte sich dann dort nach dem gekauften Land. Einmal hatte er auch einen andern deutschen Ansiedler als Pächter gewonnen, aber der war nach einiger Zeit fortgegangen, niemand wußte wohin, und das Land lag noch immer unbebaut da. Herr Hesse hatte an Reinhold Breitenstein auch nach der Bestimmung seines Onkels das Erbteil ausgezahlt, nun gehörte ihm das Land ganz allein. Er hatte schon manchmal daran gedacht, mit seiner Familie dorthin zu ziehen. Die neue, große Aufgabe lockte ihn. Seine Gärtnerei war klein, er konnte sie schwer vergrößern, da das Land ringsherum einem reichen, adeligen Herrn gehörte, der lieber die Gärtnerei selbst gekauft hätte, statt einen Strich seines Landes abzugeben. Rudolf Hesse hatte schon als Bube die Sehnsucht gehabt, fremde Gegenden kennen zu lernen, einmal unter einem andern Himmelsstrich das Blühen und Gedeihen der Pflanzen zu beobachten. Aber der Gedanke an seine Frau, an seine Kinder hielt ihn immer zurück. Nun war im Herbst die Nachricht von dem Vetter gekommen, er sei wieder einmal kurze Zeit in Brasilien gewesen und habe dort gehört, daß das Land seines Vetters einfach von andern Ansiedlern in Besitz genommen werden sollte. »Komm herüber und wahre deinen Besitz,« hatte er an Rudolf Hesse geschrieben. Die Reise nach Südamerika schien ihm, dem Vielgereisten, nicht allzu lang und beschwerlich. Herr Hesse wollte nun wirklich nach Weihnachten

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