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befassen, der vielleicht jünger aussah, als er es war.

      Der Geistliche hatte zwei der Gebinde, bei denen es sich offensichtlich um Tageszeitungen handelte, auf einem kleinen Transportwagen mit Rollen abgelegt. Die restlichen stemmte er nacheinander wieder in ihre ursprüngliche Position, einen Meter über seinem Kopf. Dann kam er zu Maggie herüber.

      „Trierischer Volksfreund. Die Jahre 1994 bis 1996.“

      Er schob den Wagen neben den Tisch und legte eines der beiden Exemplare vor sie ab. „Wenn Sie mich brauchen, Sie finden mich dort hinten an meinem Schreibtisch.“

      Maggie sah dankbar zu dem Geistlichen auf und nickte.

      „Danke“, sagte sie und schlug das Buch mit der Bezeichnung Trierischer Volksfreund, Sammlung des Jahres 1993 auf.

      Die eichenholzumrahmte Uhr über der Eingangstür zeigte 13:45 Uhr an. Maggie sah sich um. Außer ihr und dem Geistlichen befanden sich nur wenige Leser im Raum. Sie schlug das Buch auf. Dann vergaß sie die Zeit. Gegen 17 Uhr verließ sie das Priesterseminar. In ihrer Handtasche befand sich nun neben ihrer kleinen Pistole ein Bündel von Fotokopien, die ihr der Geistliche für wenige Euro gefertigt hatte.

      Ihr Gesicht war blass und ihr Gesichtsausdruck hatte etwas Entschlossenes. Sie machte sich auf den Weg zurück nach Hermeskeil. Auf den Weg in die Vergangenheit. Dorthin, wo vor 18 Jahren das Unheil seinen Lauf genommen hatte.

      Kapitel 5

      Mit gestreckten Armen schob Reporter Hans Satorius sich an der Schreibtischkante ab, wobei sein Oberkörper in der beweglichen Lehne seines Bürostuhls nach hinten wippte. Noch vor einigen Tagen hätte er sich diese luxuriöse Ruhestellung maximal für einige Sekunden gönnen können. Doch momentan war die Situation eine andere, eine vorübergehend bessere. Es ist jedes Jahr um diese Zeit dasselbe: Der redaktionelle Stress fährt innerhalb kürzester Zeit auf halbe Kraft zurück. Man nimmt nicht nur seine Kollegen in den Großraumbüros als umherhuschende Gestalten wahr, man erkennt sie sogar als lebende menschliche Wesen. Was in der übrigen Jahreszeit während des Dienstes undenkbar ist, tritt nun ein. Man spricht miteinander. Die Redakteure des Trierischer Volksfreund warten einerseits das ganze Jahr auf diese nachrichtenarme Zeit, an der teils die Politiker schuld sind, da sie das Land verlassen und irgendwo versuchen, einen Urlaub ohne Medien zu verbringen. Auch die Sport-Ligen gehen in die Sommerpause und so überbrücken die Medien diese Zeit mit Berichten über Personen und Ereignissen, für die sonst kein oder nur wenig Platz in einem Zeitungsblatt vorhanden wäre.

      Sommerloch nennt man so etwas.

      Nun war es da, dieses Sommerloch, und plötzlich stellte sich etwas ein, das man vor Beginn dieses Phänomens nicht erwartet hätte. Man sehnte sich den Stress der vergangenen Wochen herbei, wartete sehnsüchtig auf jede noch so kleine Sensation. Doch das Sommerloch lässt sich in dieser Hinsicht nicht umkehren. Kontinuierlich grasen Redakteure und Mitarbeiter ihre Regionen nach personellen Storys oder halbwegs interessanten Ereignissen ab.

      Satorius sah durch das riesige Fenster des Verlagshauses auf den blauen Himmel, die Wolken, die langsam in Richtung Süden zogen, große Teile des blauen Himmels dabei offenlassend.

      Urlaub! Er überlegte, wann sein Urlaub fällig würde. Jetzt im Sommerloch war ein großer Teil der Kollegen unterwegs in vermeintlich sonnigere Gefilde. Doch die Welt machte einen Klimawandel durch, der diesen Kollegen hier und da die Erkenntnis brachte, ihren Urlaub besser in der Heimat zu verbringen.

      „Urlaubsgedanken?“

      Satorius sah von unten her über den Rand seiner Lesebrille direkt zu seinem seinen Kollegen Jörg Schmieder auf, der ihn, einen schmalen Ordner in der Hand haltend, lächelnd ansah.

      „Weiß nicht, ob das der richtige Zeitpunkt wäre“, gab Satorius lakonisch zur Antwort. „Jetzt, da die ruhige Phase des Jahres in unserem Reporterdasein Einzug gehalten hat.“

      „Na ja, bei uns beiden kommt es sicherlich nicht so unbedingt auf die Jahreszeit an, was meinst du?“

      Satorius wusste, was er meinte. Beide teilten das gleiche Schicksal. Oder nein, Schicksal war der falsche Ausdruck. Zustand wäre zutreffender. Er und Schmieder waren Junggesellen. Unverheiratet. Ungebunden.

      „Genau“, antworte Satorius schließlich. „Du hast Recht. Wir sind frei in unseren Entscheidungen und können unseren Urlaub nehmen, wann wir Lust dazu haben.“

      „Und wenn die Redaktionsleitung es uns erlaubt. Was sind deine bevorzugten Themen in dieser … Sommerflaute?“

      Satorius dachte kurz nach. „Ich weiß nicht“, antwortete er stirnrunzelnd. „Was kommt eben. Vielleicht gibt es wieder einen Störfall in Cattenom oder die Feuerwehr wird zu einem Einsatz gerufen. Eine Katze, die von einem Baum geholt werden muss.“

      „Unsinn“, sagte Schmieder lächelnd in bedächtigem Ton. Bedächtigkeit war seine Stärke. Es gab kaum etwas, das ihn über Gebühr aufregen konnte. „Katzen kommen immer alleine runter. Oder hast du schon mal eine tote Katze auf einem Baum gesehen?“

      „Du weißt schon, was ich meine“, gab Satorius nun fast mürrisch zur Antwort, um seine gute Laune jedoch sogleich wiederzufinden. „Ein Gutes hat das Ganze schon. Ich werde meinen Geburtstag in aller Ruhe feiern können, wie im vergangenen Jahr und im Jahr davor.“

      „Aber in diesem Jahr ist es ein runder, mein Freund. Steht deine Einladungsliste schon? Du wirst deinen Vierzigsten doch nicht alleine feiern wollen?“

      Satorius stand auf und reckte sich. „Wir werden sehen. Vielleicht …“

      Mitten im Satz wurde er durch eine weibliche Stimme, begleitet vom Klopfen von Stöckelschuh-Absätzen, unterbrochen.

      „Meine Herren, nichts zu tun? Ich glaube, das können wir ändern.“

      Wie auf Kommando drehten sich die beiden um und vor ihnen stand Margit Klausner, Leiterin der Reporter-Abteilung. Sie zeigte ihnen die gesamte Breitseite ihrer blendend weißen Zähne, die im krassen Kontrast zu ihrem schwarzen Kostüm standen und dennoch wieder zum Kragen ihrer weißen, leicht dekolletierten Bluse passten. Ihre schmale Brille mit den dunkel umrandeten rechteckigen Gläsern verlieh ihrer Erscheinung eine gewisse weibliche Strenge, die noch durch die zu einem Knoten zusammengefasten schwarzen Haare verstärkt wurde. Obwohl sie erst um die dreißig war, das genaue Alter verschwieg sie bisher mit Erfolg, machte sie diesen Job bereits seit zwei vollen Jahren und auch die männlichen Kollegen waren sich darin einig: Sie machte ihre Sache gut.

      „Wie wär`s mit einer Story zum Aufwärmen?“, fragte sie unvermittelt und sah von einem zum anderen.

      „Zum Aufwärmen?“ Satorius schien nicht zu verstehen. „Und was kommt danach?“

      „Mit Aufwärmen meine ich eine Story, die schon einmal durch den Blätterwald rauschte. Vor fünfzehn oder sechszehn Jahren. Eine schlimme Geschichte. Für die Betroffenen. Für uns war sie ein medialer Segen. Und es geschah während der Zeit eines Sommerlochs. Hansi, du kümmerst dich darum, okay?“

      Eine Drehung ihres Handgelenks wischte den schmalen Ordner auf den Schreibtisch, genau vor Satorius Nase.

      „Was ist das?“ Ungläubig sah er erst auf das Papierbündel, dann auf die lächelnde Kollegin.

      „Alles das, was damals passierte, steht darin, der ganze Schriftkram, die gesammelten Zeitungsartikel, Kommentare, Meinungen und natürlich alles über die zahlreichen Gerichtsverhandlungen.“

      „Aber …“

      „Sieh es dir in Ruhe an. Mach eine neue Geschichte daraus. Stelle fest, was mit den Tätern und den Opfern geschehen ist. Wie sie heute leben, was sie tun. Rede mit ihnen, ich garantiere, es wird eine interessante Story.“

      Satorius wollte etwas sagen, doch er brachte kein Wort heraus. Im Weggehen sagte Margin Klausner: „Du hast zwei Wochen. Streng dich an. Unsere Leser brauchen die Story. Es geschieht zu wenig in dieser Gegend. Da ist man dankbar für interessant aufgewärmte Kriminalgeschichten.“

      Das

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