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und entschieden.

      „Äh, nun.“ Sie geriet ins Stottern und ihr Gesicht nahm eine rötliche Farbe an. „Es ist wegen meiner Forschungen. Ich komme mit meinen Recherchen nicht weiter und habe gehofft, dass ich in der Universitäts-Bibliothek besseren Zugang dazu bekomme.“

      Die Oberhexe runzelte die Stirn.

      „Also Freizeitvergnügen.“

      Marie-Sophie wagte nicht, zu widersprechen. Innerlich zerriss es sie vor Angst, dass der Antrag abgelehnt werden würde.

      „Hm.“ Die oberste Hexe des Hexenhauses betrachtete sie mit stechenden Augen. „Du weißt, dass ich nichts von Zeitverschwendung halte.“

      Marie-Sophie senkte den Blick und verlor jede Hoffnung. Mit hängenden Schultern stand sie vor der Oberhexe und bot ein Bild des Elends.

      „Andererseits warst du bisher immer sehr zuverlässig und hast dich vorbildlich verhalten. Ich gestatte dir daher eine Woche Urlaub. Meinetwegen kannst du die Universität aufsuchen.“

      Marie-Sophie hob den Kopf mit ungläubigem Blick. Sie durfte gehen?

      „Danke, vielen Dank, Oberhexe Deleon“, stammelte sie.

      „Jaja“, winkte diese ungeduldig ab. „Jetzt verschwinde. Und sag in der Küche Bescheid, dass ich auf meinen Tee warte!“

      Hastig rannte die junge Hexe nach draußen. In ihr jubelte es vor Glück. Sie bekam eine Woche geschenkt! Noch nie hatte sie Urlaub bekommen. Das war nahezu unglaublich. Auf jeden Fall würde sie diese Zeit bis zur letzten Minute nutzen! Sie musste dringend noch einmal ihre Wach-Zauber auffrischen. Sieben schlaflose Tage würden eine Herausforderung sein.

      Montag, 11. Juli bis 16. Juli 2011

       Little Rock, Arkansas

      Eine Woche später hockte Marie-Sophie tatsächlich in dem riesigen Lesesaal der Universitätsbibliothek und war fasziniert und abgestoßen zugleich. Die Größe, allein die schiere Menge an Büchern, war erschlagend. Doch gegenüber der Bibliothek in ihrem Hexen-Haus herrschte eine Lautstärke, die sie als störend empfand. Zudem gingen so viele Leute ein und aus, dass sie ständig abgelenkt wurde.

      Aber sie war zuversichtlich, sich daran zu gewöhnen. Ohne Zeit zu verlieren, begann sie sofort mit ihrer Suche. Sie war die Erste, die kam und die Letzte, die ging.

      In einem weiter entfernt liegenden Hotel hatte sie Unterschlupf gefunden. Es war klein, ungepflegt und roch ein wenig unangenehm. Dafür war es billig. Schlafen wollte sie hier sowieso nicht. Die Nachtstunden nutzte sie, um ihre Funde zu sortieren und zu durchdenken.

      Den zweiten Tag begann sie genauso, doch gegen Mittag geschah etwas, das ihre ganze Planung durcheinanderbrachte.

      Sie bemerkte kaum, dass sich jemand ihr gegenüber setzte. Als sie dann doch den Kopf hob, blickte sie in hübsche blaue Augen, die unter einem zotteligen braunen Haarschopf hervorblitzten.

      „Hallo.“

      Seine Stimme war angenehm und freundlich.

      Marie-Sophie hielt unwillkürlich die Luft an. Noch nie war sie von einem männlichen Geschöpf angesprochen worden. In den Hexenhäusern lebten keine Männer, und Knaben wurden schon früh zu ihren Familien geschickt. Nur wer das Haus verließ, traf auf Menschenmänner, doch gewöhnlich hielt man sich von ihnen fern. Das wurde so erwartet.

      Der junge Mann vor ihr lächelte verschmitzt.

      „Entschuldige, ich wollte dich nicht verschrecken. Ich habe dich schon gestern beobachtet. Machst du eigentlich nie eine Pause?“

      Marie-Sophie errötete sofort.

      „Also – nein, ich hab nicht viel Zeit und möchte so viel wie möglich schaffen“, erklärte sie etwas lahm. Er nickte.

      „Das kann ich verstehen. Aber irgendetwas essen musst du doch sicherlich. Gleich ist es Mittag. Wir könnten zusammen in die Mensa gehen.“

      Marie-Sophie schluckte. Mit so etwas hatte sie nun gar nicht gerechnet. Wie sollte sie sich verhalten? Engerer Kontakt mit Menschen war ihr verboten, doch zählte gemeinsam essen gehen dazu? Andererseits war sie offensichtlich schon dadurch aufgefallen, dass sie nicht essen ging. Und oberste Devise war immer, sich anzupassen.

      „Ähm, na ja, warum nicht“, murmelte sie und erwiderte zaghaft das Lächeln. Er zwinkerte ihr zu.

      „Prima. Wie wäre es in einer halben Stunde?“

      Sie nickte und zwang sich, wieder auf das Tablett zu sehen. Diese blauen Augen waren seltsam anziehend, genauso wie das freundliche Lächeln.

      Eine Stunde später saß sie in der Universitätsmensa und erfuhr, dass ihr neuer Bekannter Joshua hieß. Er war Medizinstudent und begeisterter Fahrradfahrer.

      Marie-Sophie brauchte nicht lange, um ihn zu mögen. Joshua war gutaussehend, witzig und eindeutig an ihr interessiert. Außerdem schien er intelligent und sehr wissbegierig zu sein.

      Eigenschaften, die ihr gefielen. Ehe sie sich‘s versah, hatte er sie auch für den Abend eingeladen. Zunächst war sie verzweifelt. Wie sollte sie diesen jungen Mann auf Abstand halten, ohne ihn zu verärgern?

      Und überhaupt, wie verhielt man sich Männern gegenüber?

      Joshua Woods schien damit überhaupt keine Probleme zu haben. Er übersah ihre Verlegenheit und lockte sie mit Witz und Charme aus der Reserve.

      Marie-Sophie Levine hatte keine Chance.

      Innerhalb kürzester Zeit war sie bis über beide Ohren in den jungen Mann verliebt. Was das für Konsequenzen haben konnte, verdrängte sie. Sein erster Kuss ließ sie entflammen und seine Hände und sein sehr zielgerichteter Körpereinsatz versetzten sie in einen Zustand der Glückseligkeit. Niemals hätte sie gedacht, dass ein Mann solche Gefühle in ihr wachrufen konnte. Zum ersten Mal in ihrem Leben verstieß sie gegen eine Regel des Hexenzirkels – und fühlte sich glücklich dabei.

      Die Ernüchterung trat ein, als die Woche sich dem Ende zuneigte. Wenn sie nach Hause zurückkehrte, würde sie ihre erste große Liebe nie wieder sehen. Das war ihr klar.

      Doch was wäre die Alternative? Bleiben und sich damit dem Zorn des Zirkels aussetzen?

      Sie wusste, dass es Hexen nur im Zuge der Fortpflanzung erlaubt war, mit Männern zu verkehren. Echte Liebesbeziehungen waren verpönt. Ab und zu kam es vor, doch das Leben solcher Beziehungen gestaltete sich reglementiert und unfrei. Die Hexe verlor sämtliche Ämter, und ihr Mann wurde ständig überwacht und regelmäßig einer Wahrheitsfindung unterzogen. Und auch die Kinder einer solchen Ehe wurden streng überwacht.

      Die Hexen überließen nichts dem Zufall. Ihre Existenz durfte nicht enthüllt werden. Die Hexenverfolgungen im Mittelalter hatten gezeigt, dass nichts wichtiger war, als unerkannt zu bleiben. Und dafür war dem Hexenvolk jedes Mittel recht.

      Marie-Sophie hatte sich nie viele Gedanken darüber gemacht. Männer und erst recht Sex mit Männern waren immer weit weg gewesen. Doch jetzt schoben sich diese Regeln in den Vordergrund und verursachten in ihr ein beklemmendes Gefühl. Die Vorstellung, dass ihr süßer Joshua so behandelt wurde, gefiel ihr überhaupt nicht. Aber ihn nie wiederzusehen war genauso furchtbar.

      Sie saß am letzten Tag ihres Urlaubs in der Bibliothek. Es war Nachmittag und trotz aller Bemühungen gelang es ihr kaum, sich auf die Arbeit konzentrieren.

      Joshua hatte sie für abends auf eine Studentenfete eingeladen. Für sie war das der Anlass, sich zu entscheiden. Wenn sie mit ihm dort hinging, würde sie am nächsten Morgen nicht rechtzeitig im Hexen-Haus erscheinen, und das hätte mit Sicherheit Konsequenzen. Doch wenn sie nicht hinging und stattdessen wie ursprünglich geplant abreiste, würde sie ihn nie mehr wiedersehen.

      In ihr wuchsen Verzweiflung und Pein. Wofür sollte, wofür musste sie sich entscheiden?

      Dieses Mal entging ihr nicht, dass sich ihr jemand gegenüber setzte.

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