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      »Und wo liegt der Unterschied zwischen Dr. Pohlmann und mir?«, fragte Kerstin.

      »Ach, das weißt du doch selbst.«

      »Nein, wirklich nicht«, drängte Kerstin.

      Uwe grinste, dann überlegte er. »Pohlmann redet nicht viel. Er erklärt nichts, bezieht seinen Sektionsassistenten nicht in den Teil der Obduktion mit ein, den er abarbeitet. Natürlich hat bei einer Obduktion jeder seine festgelegten Aufgaben. Er braucht mir nicht zu sagen, wie ich die Organe zu wiegen habe oder welche Instrumente er für die Körperöffnung benötigt.«

      »Aber ich mache das doch auch nicht anders«, warf Kerstin ein. »Das wäre ja so, als wenn ich meinte, du würdest deinen Job nicht verstehen. Ich würde dir doch niemals vorbeten, was ich am Tisch brauche, es sei denn ich benötige etwas Bestimmtes.«

      »Ja, das meine ich doch, dieses Bestimmte. Du weißt selbst, jede Obduktion ist anders. Bei Pohlmann ist jede Obduktion gleich, der gleiche Ablauf, die gleichen Ergebnisse.«

      »Die gleichen Ergebnisse, das kann doch nicht sein.« Kerstin runzelte die Stirn.

      »Nicht die gleichen Ergebnisse in dem Sinne«, erklärte Uwe. »Es gibt natürlich eine ganze Liste von Todesursachen oder Verletzungsmustern, aber es ist eine feste Liste, aus der sich Pohlmann meistens bedient. Er mag keine Überraschungen, er sucht auch nicht nach Überraschungen und darum findet er auch keine.«

      »Das klingt aber nach grobfahrlässig«, meinte Kerstin. »Wenn das stimmt, geht das ja schon in Richtung Fehleinschätzungen. Das kann ich nicht glauben.«

      »So krass ist es auch wieder nicht«, korrigierte sich Uwe sofort. »zu neunundneunzig Komma neun Prozent sind seine Gutachten ja korrekt. In der Realität sind es eben immer dieselben Todesursachen und Verletzungsmuster, aber dabei kann man schnell übersehen, wenn es mal anders kommt.«

      »Und hast du ein Beispiel?«, fragte Kerstin.

      Uwe zögerte. »Ja, aber ich meine was anderes, ich meine die Kommunikation während der Arbeit. Bei dir wird man einbezogen, bei Pohlmann ist man ein Außenstehender. Kaum ein Wort von dem was er mit seinen Augen sieht. Bei dir erfährt man alles, du beziehst deine Sektionsassistenten mit ein, das sagen auch andere Kollegen.«

      »Das freut mich zwar, dass du mich auf diese Weise schätzt, aber bei Dr. Pohlmann müsstest du doch auch erfahren, was er denkt, was er bei der Obduktion für wichtig hält. Oder benutzt er kein Diktiergerät?«

      »Doch, doch. Er hat zwar noch so ein altes Bandgerät, kein Digitales, und er benutzt es auch bei der Arbeit. Allerdings ist das Wie entscheidend. Pohlmann flüstert ins Gerät. Ich habe immer den Eindruck, er will nicht, dass man hört, was er sagt.«

      »Naja, das wird er doch nicht mit Absicht machen. Du kannst es ihm doch sagen.«

      »Oh nein, das macht der mit Absicht«, sagte Uwe und erhob kopfschüttelnd den Zeigefinger. »Wenn ich mal näher an den Tisch komme, wendet er sich gleich ab und spricht noch leiser.«

      Kerstin musste lächeln. »So hat jeder seinen Arbeitsstil.«

      »Ja, und dein Stil ist es, klar und deutlich ins Diktiergerät zu sprechen und uns hinterher noch das eine oder andere fachliche zu erklären, wenn es etwas Besonderes ist.«

      »Und Dr. Pohlmann hat nie etwas Besonderes zu berichten«, folgerte Kerstin. Sie zögerte. »Du wolltest mir noch ein Beispiel nennen.«

      Uwe zuckte mit den Schultern. »Ein Beispiel für was?«

      »Du hast angedeutet, Dr. Pohlmann übersieht bei seinen Obduktionen Überraschungen, weil er sie nicht sehen will.«

      »Ich habe nicht gesagt, dass er nicht will. Er kann nicht, ich glaube, das ist nicht einmal Absicht.«

      »Beispiel!«, forderte Kerstin.

      Uwe biss sich auf die Unterlippe. »Pohlmann darf keine Exhumierungen machen, davon hat er meiner Meinung nach überhaupt keine Ahnung. Und noch viel schlimmer, ich glaube, er ekelt sich davor.«

      »Also, wenn sich ein Gerichtsmediziner vor der Leichenöffnung ekelt, dann hat er seinen Beruf verfehlt.« Kerstin schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Dr. Pohlmann macht die Arbeit doch schon viel zu lange.«

      »Diesen Ekel meine ich ja gar nicht«, sagte Uwe schnell. »Ich finde es auch nicht schön, Erdleichen zu obduzieren, aber was gemacht werden muss, macht man in diesem Job eben. Pohlmann macht es auch, aber sehr schnell und oberflächlich.«

      »Ihr hattet doch gestern eine, was sagtest du, Erdleiche?«, fragte Kerstin.

      Uwe nickte. »Der Tote aus dem Wald. Der war eigentlich gar nicht so schlimm. Vielleicht waren wir deshalb so schnell fertig, aber ich hatte trotzdem den Eindruck, dass Pohlmann sich nicht alles genau angesehen hat. Todesursache Denis axis und fertig. Selbst ich habe gesehen, dass die Leiche noch andere Verletzungen hatte.«

      »Und die hat Dr. Pohlmann übersehen?«, fragte Kerstin.

      »Nein, nein, das nicht, er hat sie nur zu schnell zu den Akten gelegt. Ich habe später den Bericht gelesen. Wie gesagt während der Obduktion erfährt man von Pohlmann ja nicht viel, wenn man es nicht mit eigenen Augen sieht.«

      »Und was war im Bericht, das dich gestört hat?«

      »Naja, Genickbruch ist doch ein weites Feld. Sturz, Schlag auf den Kopf oder Rücken, Gewaltsame Richtungsänderung, Scherbewegung des Kopfes und dir wird sicher noch mehr einfallen. Meines Wissens gibt es noch keine Tatwaffe, Pohlmann hat aber bereits eine Keule oder Ähnliches in seinem Bericht erwähnt.«

      »Das ist doch nicht verkehrt«, warf Kerstin ein. »Das hätte ich unter Umständen auch diagnostiziert.«

      »Aber du hättest zehnmal so lange gebraucht, um dir das Verletzungsmuster genau anzusehen, und hättest dann noch die anderen Möglichkeiten in deinem Bericht mit einbezogen. Die Zeit hat sich Pohlmann nicht genommen und sein Bericht ist meiner Ansicht nach sehr oberflächlich.«

      »Er hat halt große Erfahrung und sieht die Fakten sofort.« Kerstin glaubte selbst nicht, was sie sagte und das merkte auch Uwe.

      Er schüttelte den Kopf. »Der Tote kam aus der Erde, Verwesung und andere Prozesse. Ja, das habe ich von dir gelernt, weil du dich bei der Arbeit mitteilst. Pohlmann hat nicht so gründlich gearbeitet, wie du es getan hättest.«

      »Was denkst du, soll ich ein zweites Gutachten erstellen?«

      Uwe machte eine abwehrende Geste. »Herr Gott, diese Entscheidung kann ich mir nicht anmaßen. Die Polizei wird bei den Ermittlungen schon die richtigen Schlüsse ziehen, auch wenn Pohlmanns Aussage zum Todeszeitpunkt ebenfalls nicht astrein war.«

      »Und was hat er da falsch gemacht?«, fragte Kerstin.

      »Ich habe jetzt schon einige ausgebuddelte Leichen gesehen, weil das ja dein Spezialgebiet ist und sich die Kollegen nicht um so einen Job reißen. Ich glaube, ich kann unterscheiden, ob ein Körper ein Jahr oder nur ein paar Monate in der Erde lag. Wie gesagt, unser Toter sah ja noch vergleichsweise gut aus, wenn der Gestank nicht gewesen wäre.«

      »Stimmt, der Verwesungsgeruch ist nicht unbedingt ein Indiz«, gab Kerstin zu. »Aber es gibt Leichen, die sehen nach drei Jahren besser aus, als andere nach sechs Monaten.«

      Uwe zuckte mit den Schultern. »Lass uns das Thema beenden. Vielleicht hat Pohlmann mit seiner Obduktion ja doch alles erkannt und richtiggemacht, mich würde es allerdings wundern.«

      Kerstin nickte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie noch gar nicht von ihrem Kaffee getrunken hatte. Sie griff nach der Tasse und fühlte gleich, dass sie nur noch lauwarm war. Uwe sprang sofort auf.

      »Sorry, meine Schuld, ich habe mal wieder zu viel gequatscht. Das kommt davon, wenn man im Betriebsrat ist und die Kollegen immer einnorden muss. Ich hole uns jetzt mal zwei frische Tassen. Die Zeit hast du doch noch?«

      Bevor Kerstin etwas entgegnen konnte, war Uwe schon auf dem Weg zum Tresen.

      *

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