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Garant zu sein. Da die gewaltsamen, zerstörerischen Auswirkungen gesellschaftlicher Umbrüche wie z.B. durch Kriege bedingt, weiter in erzieherische Maßnahmen getragen werden, die Kindheitserlebnisse für jeden einzelnen Menschen bedingen und ausnahmslos alle Menschen betreffen, und genereller auch das Leben in der Gemeinschaft einer Kultur unbewusst prägen, unabhängig davon, ob der einzelne Mensch reich oder arm ist, ist die Intention, sich mit den Grundlagen des eigenen Handelns und der Psyche zu beschäftigen, gesellschaftlich weitestgehend abgespalten worden. Kein Mensch kann dem eigenen Schatten entrinnen, sei er insgesamt einem Land oder einem einzelnen Menschen zu Eigen. Der Schatten ist unbeliebt und wird blind ausgelebt. Dennoch ist eine Zeit angebrochen, in der Schattenarbeit, generelle Aufarbeitung von Vergangenheit, bewusster geworden ist und erstmalig für viele Menschen möglich wird. Vordringlich scheint mir, ist von Menschen, die als Verantwortungsträger in entscheidenden gesellschaftlichen Positionen sitzen, dieses Thema der Selbstreflexion anzugehen.

      Angezeigt wäre, dass Politiker bei Philosophen, Psychotherapeuten oder Sozialwissenschaftlern eine Supervision absolvierten, um ihr eigenes politisches Handeln zu reflektieren, wenn es in enormem Maße von den Bedürfnissen der Wähler abweicht. Oder sie sich öffentliche Stellungnahmen von zeitgenössischen Geisteswissenschaftlern oder Ökonomen einholten und sie ebenso öffentlich reflektierten. Lieber engagiert man Stilberater, Ghostwriter und Kommunikationstrainer à la „Wie sage ich global alles und nichts“ und sehe dabei gut aus. Medienagenturen, die Texte erarbeiten, die so glatt und glitschig sind wie frisch gefangene Fische, die von Politikern dann vorgetragen werden. Die öffentliche Bühne muss schließlich gut sichtbar für jeden Bürger und vor allen Dingen als irritationslose nachvollziehbar sein. Politik für jedermann, hinter einer Maske verborgen, als wüssten Bürger nicht um Zusammenhänge und die Tatsachen, die unser Leben bestimmen. Der gesellschaftliche Diskurs findet im Geheimen statt – aber nicht zur Läuterung, sondern um nochmals Ideen zum Vorschein zu bringen, die vorangegangene profitabel in den Schatten stellen. Die gesellschaftliche Reflexion kulminiert wieder in der profanen Einteilung von „Guten und Bösen“, die man Interessensgruppen zuspricht und die sich gegenseitig bezichtigen, als hätten sie in sich selbst kein eigenes Reservoire an Gutem und Bösen. Psychotherapeutische Methoden böten eine elegante und amüsantere Darstellung, wie ein Manager oder ein Politiker „so ist“ und könnten Erklärungen mitliefern, woher die Motive des Handelns bei ihnen rühren. Ein Beispiel:

      In meiner Ausbildung der „Core-Energetik“, einer psychoanalytischen Körpertherapie, wurde mittels des psychoanalytischen Persönlichkeitskonzeptes des „Selbst“ gearbeitet. Dabei wird emotional differenziert zwischen dem „höheren“ und dem „niedrigen“ Selbst. Das höhere Selbst spiegelt unser innigstes Lebensziel und –anliegen; das niedrige Selbst, die vielen Gefühle, die jeder Mensch im Laufe seiner Erziehung lernen muss, zu verbergen. Sie verschwinden hinter Abwehrmechanismen. Zum Beispiel verschwindet die Wut, den Eltern gehorchen zu müssen, Dinge tun zu müssen, die man nicht wollte, oder auch die Trauer, eigene Bedürfnisse nicht erfüllt bekommen zu haben, im niederen Selbst. Abwehrmechanismen stellen Reaktionen des Menschen auf bestimmte emotionale Ereignisse dar, ließe sich in Kürze definieren. Hinter den Abwehrmechanismen, und dergestalt mit ihnen verwoben hinsichtlich der Art und Weise, welche Formen sie annehmen im persönlichen Ausdruck, wird das niedere Selbst individuell gehütet. Die Enttäuschung, dass man nicht verstanden wurde, seine Gefühle nicht ausleben durfte, der Schmerz, allein gelassen worden zu sein in Situationen, in denen die Eltern möglicherweise gar nicht ahnten, dass es so eine emotionale Auswirkung haben könnte. Das Alleinsein mit der Tatsache, ein „anderer zu sein“, als man mittels Maske vorgibt zu sein, weil man lernte, zu glauben, so, wie man ist, wäre man weder geliebt noch akzeptiert, bringt Isolation hervor. Soll heißen: Jeder Mensch lernt aus Angst, die Liebe von Menschen zu verlieren, eigene Gefühle, von denen jeder Mensch instinktiv spürt und damit weiß, dass die anderen (seien es Eltern, Partner oder Autoritäten) sie nicht schätzen, Teile von sich hinter einer Maske zu verbergen: Jeder Mensch möchte lieber geliebt sein, statt sich in Konflikte oder Unwegsamkeiten des Verlassenwerdens zu begeben.

      Also haben Menschen den Konflikt in sich selbst, sich entscheiden zu müssen: Bleiben sie bei ihren Gefühlen und teilen sie sich mit oder drücken sie sie aus, oder verbergen sie diese hinter einer sozial angepassten Maske. Verstecken sie sich hinter der Maske, unterdrücken sie ihre Gefühle, und behalten sie in sich und für sich. Diese zurückgehaltenen Gefühle bilden in einem Menschen das „niedere Selbst“ – es sind all’ jene Gefühle, die nicht in den Beziehungen mitgeteilt, nicht ausgedrückt werden konnten oder durften. Menschen speichern sie in sich als „nicht akzeptiert“, sprich als „böse“ ab. Der Grad der Gefühlsunterdrückung hängt direkt mit dem in der Erziehung vermittelten Wertesystem zusammen. Wertesysteme richten sich nach den herrschenden Werten in einer Gesellschaft und differenzieren sich je nach dem, in welche Schicht ein Mensch geboren wird, individuell weiter.

      Die „Maske“ hat die Aufgabe, unser eigentliches, emotional von anderen Menschen abgelehntes, Selbst zu verbergen. Menschen verbergen es aber auch, wenn sie von deren Ablehnung zutiefst überzeugt sind und bilden die Befürchtung aus, wenn sie ihr Selbst zeigten oder lebten, sie abgelehnt würden. Die Maske ist ein sozial als wertvoll angesehenes und zum Überleben notwendiges, kulturelles Produkt, um sich in der Gemeinschaft von Menschen angenommen zu fühlen. Die Maske schützt vor unliebsamen Sanktionen der Beziehungspartner.

      Das Erstaunliche in der Core- Energetik-Ausbildung war, wie viel Energie, Freude und Lust freigesetzt wurde, wenn einer der Teilnehmer den Anteil ausdrücken und ausleben konnte, den er bislang aus Angst, abgelehnt zu werden, meinte, verheimlichen und verstecken zu müssen. Befreiung und Erlösung, gefolgt von Lachen und Frohsinn erfüllten den Raum.

      Bei der Arbeit mit dem höheren Selbst war hingegen große Scham auffällig, die darin lag, öffentlich persönliche Herzenswünsche mitzuteilen. Mit dieser bipolaren „Selbst-Arbeit“ ändert sich der Umgang mit uns selbst und anderen nachhaltig: Die Maske bröckelt. Es wird zeig- und mitteilbar, was und wie man selbst auch noch ist. Weiter wird deutlich, was dazu führte, dass emotionales Erleben verborgen wurde. Das Resultat einer solchen Ausbildung ist ein enormer Zuwachs an Freiheit im Ausdruck der eigenen Persönlichkeit – aber auch hinsichtlich der eigenen Erlebensfähigkeit, Kreativität und generellen Lebenslust. Lösungen und Aufarbeitungsmethoden sind strukturierbar. Das Konzept vom Selbst, wie es die Core-Energetik anbietet, könnte vielen Menschen eine Hilfestellung geben, ihren eigenen Erlebens- und Handlungsradius zu erweitern, statt an dem Nichtzeig- und -sagbaren zu ersticken oder zu erkranken. Diese einfache psychoanalytische Struktur zeigt aber auch einen Weg, die eigene menschliche Würde und Achtung sich selbst und anderen Menschen gegenüber zu erweitern wie zu bezeugen. Was für ein Erlebnis es für einen wohlerzogenen Menschen ist, endlich mal der Bösewicht und Rabauke sein zu dürfen und zu spüren, ohne es wirklich oder ausschließlich zu sein, wie viel und welche Gefühle auf dieser Dimension seines Lebens in Energie eingebunden waren, die ja auch konstruktiv lebendig zu nutzen ist, ist nur erlebbar, als hier beschreibbar. Es erwächst eine menschliche Nähe in der Gruppe voller (Selbst-)Vertrauen.

      Politiker und Business-Menschen könnten dank der Core-Energetik oder auch mittels Gestaltarbeit lernen, ihre eigene wie auch fremde Sicht- und Handlungsweisen zu verstehen, und damit Gefühl und Wissen um sich selbst wie um andere Menschen erweitern. Sie könnten erfahren, warum sie so handeln, wie sie handeln. Ob sie dann, nach einer solchen Erfahrung, in der sie ihre eigene Verletzlichkeit oder Einsamkeit und ihre Wut oder Ohnmacht spürten, also sensibilisiert für Themen und Gefühle sind, noch so leben und handeln wollen, das steht auf einem anderen Blatt …

      Aber genau diese Erfahrung, diese Sensibilisierung, ist erforderlich, um einen Ekel gegen Grausamkeit (siehe oben Philip Reemtsma) zu entwickeln und gemeinsam neue Werte aus unserem Selbst zu bergen, die dem Leben zuträglich sind.

      Heutzutage mangelt es an Aufrichtigkeit, an persönlicher Größe, an Verantwortungsgefühl und an der Selbstverständlichkeit anzuerkennen, dass wir alle Menschen sind – egal, ob erfolgreich, arbeitslos, arm oder wohlhabend. Insofern trifft zu, was Alice Miller hinsichtlich der Verbindung der Bedeutung des psychischen Hintergrundes berühmter Menschen wie Nietzsche, Picasso, Käthe Kollwitz in der Auswirkung auf ihre Werke bezogen, an jeweiligen analytischen Hintergrund der Kindheitsgeschichte

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