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      Joa­chim R. Steu­del

      Traum oder wah­res Le­ben

      Dao - Der Weg

      In­halts­ver­zeich­nis

       Ti­tel

       Ver­zweif­lung

       Er­wa­chen

       Die Kraft des Geis­tes

       Eine neue Freund­schaft

       Er­fah­run­gen

       Auf Wan­der­schaft

       Yin und Yang

       Der lan­ge Auf­ent­halt

       Zu­rück nach Shao­lin

       Die Er­kennt­nis

       Ver­än­de­run­gen

       Är­ger

       Schlech­te Nach­rich­ten

       Die Ge­sandt­schaft

       Buch­lis­te

       Impressum neobooks

      Verzweiflung

      Ein stei­ler, durch den an­hal­ten­den Nie­sel­re­gen schlüpf­ri­ger Weg führ­te in vie­len Win­dun­gen den Berg hi­n­auf. Mit zü­gi­gen und den­noch si­che­ren Schrit­ten streb­te ein etwa drei­ßig­jäh­ri­ger Mann auf die­sem dem Gip­fel ent­ge­gen. Nur noch we­ni­ge Me­ter trenn­ten ihn vom höchs­ten Punkt, als der schma­le Pfad um einen leicht vor­sprin­gen­den Fels­grat bog. Nach­dem er die­se nicht ganz un­ge­fähr­li­che Stel­le pas­siert hat­te, wur­de der Blick frei auf eine klei­ne Ter­ras­se. Bei schö­nem Wet­ter konn­te man von die­ser Stel­le aus weit ins Land schau­en, doch an die­sem Tag war durch das neb­li­ge und reg­ne­ri­sche Wet­ter die Sicht bis auf we­ni­ge Me­ter ein­ge­schränkt. Am Rand die­ses über­hän­gen­den Fels­stückes, nur eine Hand­breit vom Ab­grund, stand eine jun­ge Frau. Die nas­sen, ver­kleb­ten Haa­re hin­gen ihr ins Ge­sicht und an ih­rer durch­näss­ten Klei­dung konn­te man er­ken­nen, dass sie schon län­ger hier stand.

      Un­ge­hört von der Frau ging der Mann zu der et­was über­hän­gen­den Fels­wand, die in ei­nem leich­ten Halb­kreis den hin­te­ren Teil die­ses Or­tes um­rahm­te. Nach­dem er sie eine Wei­le be­ob­ach­tet hat­te, durch­brach er die Stil­le.

      »Warum wol­len Sie Ihr Le­ben weg­wer­fen, es hat doch ge­ra­de erst be­gon­nen?«

      Er­schro­cken fuhr die Frau he­r­um und wäre da­bei bei­na­he ab­ge­rutscht. Das Gleich­ge­wicht wie­der er­lan­gend und einen Schritt vom Ab­grund zu­rück­wei­chend, schau­te sie den Mann mit weit auf­ge­ris­se­nen Au­gen an.

      Sein schon fast ganz er­grau­tes Haar schi­en selt­sa­mer­wei­se noch voll­kom­men tro­cken zu sein. Groß und schlank ge­wach­sen, strahl­te er eine Ruhe aus, wie sie es noch nie ge­spürt hat­te. Auf ei­nem Bein ste­hend, das an­de­re an­ge­win­kelt an der Fels­wand, schau­te er ihr freund­lich lä­chelnd in die Au­gen. Die­ser Blick hielt sie für kur­ze Zeit ge­fan­gen.

      »Wer sind Sie? Wo kom­men Sie her? Wie lan­ge ste­hen Sie schon hier?«

      Er lach­te fast un­hör­bar.

      »Mein Name tut hier nichts zur Sa­che. Sie ken­nen mich ja doch nicht.«

      »Noch nicht!«, füg­te er lä­chelnd hin­zu. Tief sog er die fri­sche, feuch­te Luft ein und sie hat­te den Ein­druck, dass er bis in ihr In­ners­tes se­hen konn­te.

      »Ich ste­he schon lan­ge ge­nug hier, um Ihre Ab­sicht zu ken­nen. Ehr­lich ge­sagt ist es ge­nau das, was mich hier­her ge­führt hat.«

      »Was wis­sen Sie schon von mei­nen Ab­sich­ten und was geht Sie das an?!«

      Wü­tend dreh­te sie sich zum Ab­grund um, und ein we­nig lei­ser füg­te sie hin­zu: »Sie ha­ben doch kei­ne Ah­nung! Für Sie scheint das Le­ben in Ord­nung zu sein.«

      Ihre Ge­dan­ken ras­ten und setz­ten fort, was sie laut aus­ge­spro­chen hat­te.

      »Aber für mich ist es nicht mehr le­bens­wert. Ich habe al­les ver­lo­ren, selbst zer­stört! Ich habe ja selbst kei­ne Ach­tung mehr vor mir, wer soll­te mich denn noch mö­gen nach dem, was ich ge­tan habe!?«

      Trä­nen misch­ten sich ins Re­gen­was­ser, das ihr im Ge­sicht he­r­un­ter­lief. Trau­rig und tief ver­letzt stand sie da und wag­te doch nicht, die­sen einen Schritt zu tun. Der Zwie­spalt in ih­rem In­ne­ren war rie­sig, sie schäm­te sich, fühl­te sich aus­ge­nutzt, ekel­te sich vor sich selbst. Und doch wehr­te sich ihr Ver­stand, ihre See­le ge­gen die Selbst­ver­nich­tung.

      »Si­cher­lich sieht es so aus, als ob das Le­ben für mich in Ord­nung wäre, aber das war nicht im­mer so. Auch ich woll­te mei­nem Le­ben am liebs­ten ein Ende set­zen, und glau­ben Sie mir, es war zwar aus ei­nem an­de­ren Grund, aber für mich war in die­sem Mo­ment das Le­ben auch nicht mehr le­bens­wert. Doch nichts auf die­ser Welt kann recht­fer­ti­gen, dass je­mand sein Le­ben weg­wirft. Ich den­ke, ich weiß wo­von ich spre­che, denn ich habe ge­nug er­lebt. Und das, wes­we­gen Sie Ihr Le­ben weg­wer­fen wol­len, ist es nicht wert, die­sen Schritt zu tun! Nicht Sie müs­sen sich schä­men für das, was Sie ge­tan ha­ben, son­dern die, die Sie aus­ge­nutzt und be­nutzt ha­ben! Ei­gent­lich sind Sie doch ein Op­fer, das Op­fer des Be­darfs, der Wün­sche und Fan­tasi­en an­de­rer.«

      Lang­sam, wie die Trop­fen des Re­gens, dran­gen die Wor­te in sie ein und nur zö­gernd wur­de ihr be­wusst, dass er sprach, als ob er all ihre Ge­dan­ken ken­nen wür­de. Sie dreh­te sich wie­der um, sah ihn mit ih­ren ver­wein­ten, tief­trau­ri­gen Au­gen an und ver­such­te zu er­grün­den was, wie viel und wo­her er es wuss­te.

      »Ich ken­ne Sie nicht und doch spre­chen Sie so, als ob Sie alle mei­ne Ge­dan­ken ken­nen wür­den. Wo­her wol­len Sie wis­sen, warum ich hier ste­he, wes­halb ...«

      Plötz­lich durch­zuck­te ein Ge­dan­ke ihr Ge­sicht, ihre Au­gen blitz­ten auf und zor­nig, ag­gres­siv, ja feind­se­lig fuhr sie ihn an.

      »Au­ßer«, sie dehn­te die Wor­te und wirk­te wie ein Pan­ther vor dem Sprung, »au­ßer, Sie sind auch ei­ner von de­nen, die sich die­sen Dreck an­schau­en und sich dran auf­gei­len!«

      Lau­ernd sah sie ihn an und war­te­te auf sei­ne Re­ak­ti­on. Doch die­se fiel ganz an­ders aus, als sie er­war­tet hat­te. »Eine lo­gi­sche Schluss­fol­ge­rung, doch weit da­ne­ben. So ohne Wei­te­res kön­nen Sie es doch

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