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Größe einer Turnhalle! Tiara konnte kaum glauben, was sie sah, und pfiff durch die Zähne. Allerdings waren es nicht nur Ausmaße des Raumes, die sie beeindruckten, sondern eine seltsame Art von Zauber, die über dem Raum lag. Das Archiv wirkte magisch, fast unheimlich – gerade so, als ob es der Zeit entrückt wäre und zu einer Reise in dieselbe einlud. Auch Ella stand mit offenem Mund da. Jetzt verstanden die beiden, warum einige Schüler so vehement behaupteten, dass es im Dachboden spuken würde.

      Das Archiv quoll über vor Exponaten aus allen Epochen der Geschichte. Am Eingang standen Büsten der griechischen Gelehrten wie Platon, Sokrates oder Aristoteles, gleich daneben die der wichtigsten römischen Kaiser wie Nero, Caesar oder Augustus – diesem sagenumwobenen Feldherren, der die Stadt Augsburg in Deutschland gegründet hatte, die heute noch existiert und mit über 2000 Jahren zu den ältesten Städten Deutschlands gehört. Erst kürzlich hatte Augsburg ihren zweitausendsten Geburtstag gefeiert, wie die belesene Ella aus dem *Times Magazine* wusste. Neben den Büsten hingen Gewänder aus dem alten Ägypten, wie die Pharaonen sie trugen – und natürlich auch der Rock der sagenumwobenen Kleopatra.

      »Eine tolle Frau«, bemerkte Ella.

      Ein Stück weiter hinten fand man Kostüme aus dem Mittelalter sowie einen Ständer mit indianischer Kleidung aus Büffelleder, und Federschmuck.

      Im angrenzenden Regal türmten sich antike Gegenstände, alte Töpfe und Werkzeuge, sowie alle möglichen Dinge, die die Menschheit im Laufe der Jahrtausende erfunden hatte: Eine Buchdruckmaschine, ein Rad, das erste Telefon, Messgeräte wie Senklote, Höhenmesser oder Sextanten war darunter. Weiter hinten im Archiv, dort, wo es immer dunkler wurde, weil das Licht nicht so weit vordrang, standen die größeren Maschinen – wie etwa ein blau-gelbes Kettenkarussell aus dem Paris des Jahres 1915, eine Morse-Gerät, oder uralte Radios. Sogar ein Motorrad entdeckte Ella in einer verstaubten Nische. Sie fragte sich, wie man dieses schwere Ding nach oben gebracht haben konnte. Dafür hatte man bestimmt drei Jungs von der Statur eines Footballkapitäns benötigt.

      Die Faszination des Raumes lockte die Mädchen tiefer hinein, vorbei an einer altertümlichen Waffensammlung von Schwertern, Lanzen und Pistolen. Bei näherem Hinsehen sah man zwar, dass die Objekte größtenteils aus Plastik gefertigt waren – sie dienten ja lediglich zu Anschauungszwecken –, nichtsdestotrotz sahen sie gefährlich aus. Echte Waffen wollte man an einer Schule aus verständlichen Gründen nicht haben. Eine hübsch anzusehende Schreibmaschine hingegen, die schräg gegenüber des Waffenarsenals stand, war echt! Und um wie viel schöner war sie doch als die heutigen Computertastaturen. Überzogen von dunklem Hochglanzlack, hatte sie Verzierungen aus Gold, und ihre Tasten waren aus echtem Elfenbein gefertigt. Ella war sehr beeindruckt, auch wenn sie wusste, dass dieses Elfenbein von unschuldigen Elefanten stammte, die vermutlich nur dafür getötet worden waren. Vor 100 Jahren war es mit dem Tierschutz noch nicht so weit her. Zum Glück machte man inzwischen Fortschritte – wenn auch nur langsam.

      Hier oben im Archiv gab es nichts, das es nicht gab! Sogar Fluggeräte, Fahrräder und Gemälde bekannter Künstler wie Picasso oder Monet. Natürlich waren auch diese nur Nachbildungen oder Fotokopien, denn die echten hingen selbstredend im Louvre von Paris, in der National Gallery von London oder in der alten Pinakothek von München.

      Ella und Tiara vergaßen völlig, dass sie das Fach Geschichte eigentlich hasste, denn hier oben wurde Geschichte auf eine so faszinierende Art und Weise zum Leben erweckt, dass man sich ihr nicht entziehen konnte, so sehr man sich auch bemühte!

      Ganz besonders interessierten sich die beiden Mädchen für die faszinierenden Gewänder, die überall herumhingen. Wie jedes Mädchen in ihrem Alter liebten sie es, in aufregende Kostüme zu schlüpfen. Ella spielte zudem seit Jahren in einer Theatergruppe der Schule, und Tiara war sowieso für sämtliche verrückte Klamotten zu haben.

      »Ich will eine Prinzessin sein«, rief Ella »was meinst du? Ob wir die Kostüme mal anprobieren können?«

      »Dreimal darfst du raten«, lachte Tiara und streifte sich ohne zu zögern den Overall einer Pilotin über, die als erste Frau im Jahr 1931 nach Afrika geflogen war.«

      »Weißt du, wer ich jetzt bin?«, grinste sie frech, »ich bin Elly Beinhorn, eine todesmutige deutsche Pilotin, die sich von niemandem etwas vorschreiben ließ, und frei wie ein Vogel war, wenn sie in ihrem Flugzeug saß. Zumindest steht das hier auf dem Schildchen …«

      »Ja, unterbrach die belesene Ella«, »und zwar einer Zeit, als die Frauen noch wenig Rechte besaßen. Ich kenne die Geschichte von Elly Beinhorn aus dem Times Magazine. Sie muss eine faszinierende Persönlichkeit gewesen sein. Frauen wie ihr können wir es verdanken, dass sich die Position der Frauen im Laufe es letzten Jahrhunderts deutlich verbessert hat. Gut für uns. Die Suffragetten nicht zu vergessen!«

      »Ja, von denen habe ich schon mal gehört! Jetzt ist es aber wieder gut«, meinte Tiara, der das nun zu sehr ins Detail ging.

      »Komm, zieh du auch ein Kostüm an«, forderte sie stattdessen, und Ella ließ sich nicht zweimal bitten. Sie legte ebenfalls ihre Klamotten ab und schlüpfte in ein elfenbeinfarbenes Kostüm einer französischen Prinzessin aus dem 17. Jahrhundert, das sehr edel aussah.

      Tiara staunte Bauklötze, als sich ihre Freundin darin präsentierte:

      »Wow! Toll siehst du aus, Ella. Wie eine echte Prinzessin. Ich bin begeistert. Wären wir nicht ein tolles Team? Du, die adelige Edeldame, und ich, die Draufgängerin mit Lederjacke und Fliegerhelm? Wir sollten zusammen durch Welt reisen! Und sie verbessern. Das wäre total irre, findest du nicht? Och, wie gern wäre ich eine Pilotin.« Tiara’s Fantasie ging – wie so oft – mit ihr durch. Einer der Hauptgründe dafür, warum sie im Unterricht oft unkonzentriert war.

      Plötzlich aber verstummte sie, kniff ihre Augen zusammen und starrte auf einen Schreibtisch, der in der hintersten Ecke des Dachbodens stand.

      »Was ist denn, Tiara? Was hast du denn plötzlich?«, fragte Ella nervös, als sie bemerkte, dass Tiara wie versteinert auf diesen Schreibtisch starrte.

      »Sag schon, was hast du denn? Du machst mir Angst!«, forderte sie.

      Tiara aber verzog keine Miene:

      »Siehst du, was ich auch sehe?«, flüsterte sie und deutete mit zitterndem Zeigefinger auf den Schreibtisch. Und nun fiel auch Ella auf, dass damit etwas nicht stimmte:

      Auf der Arbeitsplatte des Tisches lag etwas, das auffallend hell im Dunkeln strahlte. Und es strahlte viel zu hell! Ella kauerte sich schutzsuchend hinter Tiaras Rücken.

      »Was zum Henker ist das ?«

      Die mutige Tiara ging vorsichtig voraus – Schritt für Schritt. Als sie dem Schreibtisch näherkamen, erkannte sie, worum es sich bei dem Gegenstand handelte. Es war eine Karte aus Leder, die mit purem Gold eingefasst war. Und dieses Gold war es, das so hell leuchtete.

      »Du meine Güte! Das Gold muss ein Vermögen wert sein«, flüsterte Ella.

      »Du meinst, das ist echtes Gold?«

      »Natürlich! Sieh es dir doch an. Nichts glänzt wie echtes Gold. Ich weiß das. Mein Onkel hat ein paar Goldmünzen zuhause. Wenn du die nur anfasst, erhöht sich schon dein Puls. Gold hat eine unglaubliche Wirkung auf Menschen. Es strahlt Macht und Schönheit aus, gleichzeitig aber weckt es Neid und Habgier. Es ist ein total ambivalentes Material. Man kann seine Anwesenheit förmlich spüren, glaub mir. Und ich spüre sie ganz doll in diesem Moment.«

      Tiara strich vorsichtig über den Rand der Karte.

      »Wow! So also fühlt sich Gold an?«

      Ella nickte.

      Tiara sah sich die Karte genauer an. Ihr fiel auf, dass es sich um eine Landkarte handelte. Ein Ozean und die Symbole von Wellen schimmerten schwach durch eine dicke Staubschicht hindurch. Tiara pustete den Staub weg und zum Vorschein kam die vollständige Zeichnung einer Insel.

      »Was ist das für eine Insel, Ella? Du weißt doch immer alles«, fragte sie erstaunt. Ella war nicht sicher:

      »Keine Ahnung. Lass mich mal sehen.«

      Sie beugte sich über

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