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längre Zeit stark nach oben sieht, das übrige besorgt das Auge selbst. Ähnlich geht es zu, wenn ein Salzkorn, ein Aschenteilchen zwischen den Gelenkflächen sich festsetzt. Zunächst entsteht der Schmerz, der den Organismus benachrichtigt, daß etwas in Unordnung geraten ist. Sofort erweitern sich die Blutgefäße in der Umgebung des Gelenks, um mehr Flüssigkeit herbeizuschaffen, das Gelenk wird rot und prall, und in das Innere wird Flüssigkeit ausgeschieden. Das fremde Korn soll aufgelöst oder weggeschwemmt werden. Das geht aber nicht so leicht wie beim Auge, wo die Tränen nach außen abfließen und dabei leicht das Stückchen Kohle mit wegnehmen. Denn das Gelenk ist nach außen ganz durch die Gelenkkapsel abgeschlossen. Nach tagelangem Abmühen – der Gichtanfall, um den es sich hier handelt, dauert unter günstigen Bedingungen immerhin mehrere Tage, kann sich aber bis zu Wochen und Monaten hinziehen –, nach vielen Mühen ist endlich das Stückchen Salz aufgelöst oder weggeschwemmt oder wenigstens von der Flüssigkeit in einen Winkel des Gelenks getragen, in dem es die gewohnten unentbehrlichen Bewegungen nicht mehr stört. Damit tritt Ruhe ein, bis sich von neuem etwas Schlacke zwischen die Bewegungsflächen verirrt und das Spiel wieder beginnt.

      Nun ab und zu einen Gichtanfall, das kann der Mensch schon vertragen, kann es als Strafe für seine Sünden ansehn, pflegt ja auch dann eine Zeitlang das Saufen zu lassen, was ihm in vieler Beziehung nur nützlich sein kann. Aber leider geht es oft nicht so glatt ab. Es gelingt dem Körper nicht immer, das Salzteilchen wegzubringen, und wenn das eine spitzige Form hat, eine Kristallnadel ist, dann bohrt es sich in den Knorpel ein. Sowie das geschehn ist, stellt der Körper seine Spülversuche ein, der Anfall verklingt, das Endchen Kristall, das aus dem Knorpel herausragt, bricht ab und die Bewegung wird wieder frei. Allerdings im Knorpel bleibt die Spitze des Kristalls stecken, die glatte Fläche des Knorpels ist an dieser einen Stelle für immer zerstört, und es dauert nicht lange, so hat sich dicht daneben oder gegenüber ein zweites Nädelchen eingebohrt, und so geht es fort, bis Hunderte davon eingespießt sind, ja bis die ganze Knorpelfläche zerstört ist. Es gehört nicht viel dazu, um zu begreifen, daß solch ein Gelenk ohne Knorpel wenig oder gar nicht zu brauchen ist. Ja es wird, sich selbst überlassen, bald ganz steif sein, da sich nun unter der Wirkung des beständigen Reizes massenhaft Salze in dem Hohlraum ablagern, die schließlich das Gelenk ummauern, ihm durch starre Massen von innen aus ganz ähnlich seine Bewegungsfähigkeit nehmen, wie das der Gipsverband von außen tut.

      Auch das läßt sich noch ertragen. Was liegt daran, wenn ein paar Zehengelenke steif werden? Bei unserm niederträchtigen Schuhwerk gehört das zum Alltäglichen. Der Körper ist geschickt genug, er weiß sich ohne die Zehen zu behelfen, und der Mensch merkt nicht einmal etwas davon. Er merkt es oft jahrzehntelang nicht. Denn wohlverstanden, die ersten Anlange solcher Verkrüppelungen der Gelenke liegen etwa im dreizehnten, vierzehnten Lebensjahr, die Folgen aber – man kann sie sich vielfach nicht schlimm genug vorstellen – kommen meist erst in der großen Wendezeit des Lebens zwischen vierzig und fünfzig Jahren zum Vorschein. Denn um das gleich vorwegzunehmen, nicht nur Frauen haben ihr gefährliches Alter, ihr Klimakterium, ihre Wechseljahre oder wie man es sonst nennen will; die Männer haben dasselbe zu durchleben, nur fehlen bei ihnen die stürmischen und jedem sichtbaren Erscheinungen. Warum diese unheimlichen Gelenkerkrankungen gerade in den Wechseljahren auftreten, wird später einigermaßen verständlich werden.

      Man kann sich die Folgen nicht schlimm genug vorstellen, sagte ich. Es kann nämlich sein – und es ist recht häufig –, daß solch ein steifes oder schwer bewegliches Gelenk doch einmal bewegt werden muß, dann brechen unregelmäßige Stücke der Ablagerung ab und gelangen in den Kreislauf der Säfte. Meist werden sie dort rasch vernichtet. Aber da dieses Abbröckeln ein alltägliches Vorkommnis ist, so kommt es im Lauf der Jahre einmal dazu, daß solch ein abgebrochenes Stück vor seiner Zerstörung in ein anderes Gelenk verschlagen wird, etwa in das Kniegelenk oder in die Handgelenke, in die Ellenbogen oder Schultergelenke. Dann setzt sofort derselbe Prozeß, der sich in den Zehen abgespielt hat, auch dort ein, nur verläuft er sehr viel rascher, da das abgebrochene Stück, das in das Gelenk hineingerät, viel größere Dimensionen hat als die allmählich gebildeten Salzkörnchen in den Zehen. Auch das Gelenk wird gichtisch und erkrankt bald öfter, bald seltner, bald kürzer, bald länger, aber es wird kaum je wieder gesund, und je kleiner, enger es ist, um so leichter wird es steif. Daher die vielen steifen Handgelenke. Bald kommt ein drittes, ein viertes Gelenk an die Reihe, und schließlich gibt es kaum ein einziges gesundes mehr. Diese unglücklichen Menschen können – vom Gehn gar nicht zu reden – nicht mehr sitzen und liegen, denn ihre Knie sind spitzwinklig gekrümmt, die Hüftgelenke versteift, sie können nicht mehr die Arme regen, sind ganz auf fremde Hilfe angewiesen, sie können den Kopf nicht drehn oder heben, sie schrumpfen zusammen, verkrümmen in ihrer ganzen Gestalt und haben dabei unausgesetzt Schmerzen. Sie sind die elendesten Wesen, die man sich denken kann, und gehn elend zugrunde.

      Ich bin kein Freund vom Bangemachen, aber ich sollte denken, wenn unter tausend Menschen nur einer so schauderhaft erkrankt, bloß weil es den Schustern einfällt, schlechte Schuhe zu bauen, so wäre das schon genug, um meinen ausgeprägten Haß zu begründen. Ich möchte hier auch noch ein Wort an die Frauen und was ihnen ähnlich ist, richten, die sich so liebevoll des Spruchs vom Jahrhundert des Kindes und vom Recht des Kindes annehmen. Nächst Nahrung und Wohnung hat das Kind vor allem ein Recht auf Kleidung. Mit diesen Dingen fängt die Erziehung an, und wer zu faul oder zu geizig ist, seinen Kindern Schuhwerk zu verschaffen, dem würde ich raten, sie lieber barfuß herumlaufen zu lassen. Es ist nicht bequem und auch nicht billig, für wachsende Füße passendes Schuhwerk zu finden, das weiß ich. Aber es ist immerhin noch ein Gutteil wichtiger als die Kunst des Kindes zu pflegen oder ihm gutes Benehmen beizubringen. Man bedenke, daß Kinder sich nicht selber Schuhe aussuchen können, und daß sie es den lieben Eltern zu danken haben, wenn sie gichtbrüchig werden.

      Das ist die eine Seite der Sache, die ich so ausführlich besprochen habe. Ich wollte einmal Front gegen die Phrase machen, mit der der gesunde Menschenverstand der Eltern durch vielschreibende Erziehungspäpste verwirrt wird. Der andre Grund für meine Weitschweifigkeit ergibt sich von selbst. Der Verlauf der gichtischen Erkrankungen ist ein typisches Beispiel für sogenannte Naturheilungen. An ihnen kann jeder, nicht bloß der Arzt, lernen, wie behandelt werden soll. Die Aufgaben liegen zutage. Zunächst kommt es darauf an, die Ablagerungen zu verhindern, wenn sie aber schon da sind, sie aus dem Gelenk herauszuschaffen und schließlich den Körper ganz von Schlackenstoffen zu befreien. Das erste Ziel ist kaum zu erreichen, da die Fehler der Kleidung und Ernährung meist schon im frühesten Alter begangen werden. Immerhin ließe sich manches darüber sagen, und es ist ja bekannt, daß die Diätvorschriften eine große Rolle in der ärztlichen Behandlung dieser Leiden spielen, eine allzu große; denn nicht alles, was säuft, bekommt Gicht, und nicht alles, was Gicht bekommt, säuft. Und mit dem Verbot gewisser Fleischsorten ist auch noch nicht viel getan. Da lohnt sich das Hochlagern der Füße und die Sorge für das Schuhwerk besser. Auf die Mittel und Wege, die Verbrennungsprozesse so anzuregen, daß möglichst wenig Reste übrigbleiben und die Asche rasch hinausbefördert wird, werde ich noch oft zu sprechen kommen.

      Die wichtigste der drei Aufgaben – sie sind alle wichtig – aber die wichtigste ist die, die erkrankten Gelenke wieder frei beweglich zu machen. Wenn man nun bedenkt, daß die beliebteste Behandlung von Gelenkentzündungen der Gipsverband oder irgend etwas ähnliches ist, dann möchte man fast die Geduld verlieren. Fast, man gewöhnt sich als Arzt an vieles. Das Ruhigstellen des Gelenks auf längere Zeit ist oft – man kann fast sagen – ein Verbrechen. Ab und zu hat es ja Sinn; bei bestimmten Erkrankungen – etwa tuberkulösen – ist es sogar notwendig. Meist aber ist es falsch. Sind Ablagerungen in den Gelenken, so können sie nie und nimmer durch Ruhe beseitigt werden, sie können auch nie und nimmer durch Trinkkuren aufgelöst werden, auch nicht, wenn man dem Objekt der Mißhandlung sämtliche Wässer der Welt durch die Nieren jagt, sie können nur durch rücksichtsloses, unter Umständen brutales Bewegen der Gelenke nach allen Richtungen, vor allem nach den schmerzhaften, zerrieben, abgebrochen, zermalmt werden. Drehen, Biegen, Strecken selbst beim größten Schmerz, selbst bei der höchsten Entzündung, das ist erstrebenswert. Vielleicht muß man einen Tag warten, vielleicht für Stunden das Gelenk feststellen, aber um das Bewegen kommt man nicht herum. Und man vergesse nicht, auch die gesunden Gelenke zu bewegen, sonst hat man auf einmal bei der Überschwemmung des Körpers mit abgelagerten Schlackenstoffen die schönste Entzündung in einem bisher gesunden Gelenk.

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