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er dazu gar nichts sagte, fand Michélle sehr beruhigend. Es war richtig gewesen, ihm zu vertrauen.

      Sie spürte, dass er ihr mit dieser Aufgabe einen spektakulären Erfolg ermöglichen wollte. Wenn sie den Fall lösen konnte. Wenn es nicht gelang, was eigentlich zu erwarten war, dann würde ihr niemand einen Vorwurf machen.

      Sie hatte sich vorgenommen, die Gespräche mit den Zeugen, falls möglich, jeweils direkt aufzunehmen. Dadurch konnte nichts mehr verloren gehen und sie sich in Ruhe darin vertiefen. Krüger oder ein Psychologe, je nachdem, würde ihr bei einer genaueren Analyse helfen können, wenn sie darum bat. Schriftliche Berichte, die sie natürlich trotzdem anfertigen würde, konnten da kaum mithalten.

      Oft war es schließlich nur ein Zittern in der Stimme, das verriet, dass etwas nicht stimmte. Manchmal schwadronierte jemand wortreich um ein Thema herum oder versuchte auf andere Art, ein Gespräch von einem bestimmten Punkt wegzubringen. Mehrmals nachfragen, um einen Zeugen wie bei einem Verhör unter Druck zu setzen, dürfte kaum möglich sein.

      Die alten Damen, denen sie wohl zwangsläufig begegnen würde, würden sie hochgeschlossen, zurückhaltend erleben, während sie den Herren durchaus auch optisch etwas bieten wollte. Das würde die Bereitschaft, sich mit ihr zu beschäftigen, mit Sicherheit deutlich erhöhen. Weshalb sollte sie das nicht versuchen? Es funktionierte schließlich wohl schon seit ewigen Zeiten. Und außerdem wollte sie sich ja damit weder persönlich bereichern noch jemandem schaden.

      So plante sie ihre Strategie in groben Zügen. Für Hintergrundinfos oder weitere Recherchen konnte sie jederzeit auf Sieber und Grünwald zurückgreifen. Wenn jemand noch etwas über die Sache wusste, dann sollte es auch herauszufinden sein. Davon war sie inzwischen überzeugt.

      Fraglich erschien ihr eher, dass der oder möglicherweise die Täter, überhaupt noch am Leben waren.

      Welche Jahrgänge sollte sie eingrenzen? Alle bis fünfundzwanzig? Das hieße, die jüngsten wären 1944 mindestens neunzehn gewesen. War das schon alt genug, um eine ganze Familie auszulöschen?

      Die wären heute bereits siebzig. Dann musste sie alle zwischen aktuell 70 und 100 Jahren befragen. Zwischen 20 und 50 waren Mörder, gemäß Statistik am aktivsten.

      Zumindest galt das heute. 1944 hatten die meisten jungen Männer in der Wehrmacht gedient. Sogar hinunter bis sechzehn. Nur die Alten und die nicht Wehrfähigen waren zu Hause.

      Man konnte sich damals auch nicht so frei bewegen wie heute. Eine eigene Meinung zu äußern, konnte rasch lebensgefährlich werden. Sogar in privater Umgebung.

      Ganz andere Verhältnisse. Was wusste sie darüber?

      Eigentlich nicht viel, wenn sie ehrlich war.

      4. Kapitel

      Carmela bezog am Montag einen freien Tag. Sie hatte in den zwei letzten Nächten so wenig geschlafen, dass sie beim gemeinsamen Frühstück kaum die Augen offenhalten konnte. Debora kümmerte sich liebevoll um sie, schickte sie jedoch schließlich ins Bett zurück.

      Sie schlief zwar ein, aber nach kurzer Zeit schreckte sie immer wieder hoch, weil sie von den Erlebnissen am Samstag träumte. Medikamente hatte sie bislang verweigert, sie dachte, auch so mit der Situation fertigzuwerden.

      „Du hast ein klassisches Trauma“, hatte Debora gesagt. „Du brauchst eine Therapie.“

      Noch bis letzten Samstag hätte Carmela ihr blindlings vertraut. Inzwischen quälte sie der Gedanke, ob Debora vielleicht doch diese Frau mit Absicht vom Dach gestoßen hatte. Aus blinder Eifersucht.

      Carmela hatte sich noch nie Gedanken gemacht, wie lange sie mit Debora zusammenbleiben wollte. Solange es gut funktionierte, weshalb sollte sie sich eine Andere suchen. Oder sie verliebte sich spontan, wie sie es auch schon erlebt hatte. Wenn allerdings Debora schon mordete, bloß um eine mögliche Konkurrentin loszuwerden, was würde denn passieren, wenn sie verlassen wurde?

      Vor allem irritierte sie, wie leicht Debora das alles wegsteckte. Sie hatte nur für einige Minuten die Fassung verloren, danach war sie wieder ganz normal.

      Heute Morgen hatte sie ihr von einer Handtasche erzählt, die sie am Samstag im Elsass gesehen und unbedingt haben wollte.

      Wie konnte sie, wenn sie an dieses Wochenende zurückdachte, auf eine Handtasche kommen?

      Verdrängte sie das Geschehene einfach oder war es ihr egal? Oder noch schlimmer: hatte sie erreicht, was sie wollte?

      ***

      Für Guerin begann der Montag mit Sichtung der ersten Ergebnisse der Spurensicherung, Claude kam schon bald darauf bei ihm vorbei, um ihm einen vorläufigen Bericht zu geben.

      „Du hast also keine Wespenstiche gefunden“, wiederholte Guerin. „Was bedeutet, dass die Aussage dieser Frau Doktor nicht untermauert wird.“

      „Aber es widerspricht ihr auch nicht direkt. Wespen können eine ängstliche Person in Panik versetzen, bevor sie tatsächlich gestochen wird“, wandte Claude ein.

      „Ja natürlich“, erwiderte Guerin. „Trotzdem, es hätte meine Zweifel verkleinert.“

      „Was lässt dich denn zweifeln?“, wollte Claude wissen.

      „Schwierig zu erklären! Ihre Mimik oder besser gesagt ihre fehlende Mimik. Ich hatte bei der Befragung das Gefühl, mit einer Puppe zu sprechen. Ich habe sie mit Absicht provoziert, die Wut war ihr leicht anzumerken. Jedoch, ob sie gelogen hat, keine Ahnung?“

      „Motiv?“, fragte Claude nach.

      „Eifersucht!“

      „Dafür hast du einen Anhaltspunkt, wenn du so schnell antwortest“, behauptete Claude.

      „Ja“.

      „Ich muss doch sehr bitten!“, sagte Claude.

      Guerin lachte kurz auf. „Wenn du gerade dabei bist, mich zu verhören, wollte ich doch wissen, wie du es angehen würdest.“

      Claude antwortete nicht, schüttelte nur den Kopf.

      „Alle, außer ihrer Lebenspartnerin haben ausgesagt, dass Frau Werthemann intensiv, mit eben dieser geflirtet hat. Sie war auch die Einzige, die allein gekommen ist“, erklärte Guerin.

      „Dann wäre es möglich, dass Frau Nagel das Wespennest gesehen und dann eiskalt die Gelegenheit ergriffen hat.“

      „Genau so. Übrigens haben die Wespen sonst keinen gestört, allzu aggressiv können sie daher nicht gewesen sein“, fügte Guerin an.

      Claude wirkte nachdenklich, schwieg jedoch.

      „Da fällt mir gerade noch ein, was ich schon den ganzen Morgen nachsehen wollte.“ Guerin angelte nach einem dünnen Hefter, der am Rand seines nicht besonders gut aufgeräumten Schreibtisches lag. „Letzte Woche ist doch dieser Motorradfahrer reingekommen …“

      Claude nickte. „Ja, ich weiß, welchen du meinst.“

      „Der hatte ein Papier in der Tasche.“ Er schob ihm das in Folie eingelegte Blatt hin.

      „Eine Rechnung“, stellte Claude emotionslos fest.

      „Ja, aber von wem?“

      „Von einem Piercingstudio. Stimmt, eine seiner Brustwarzen war offenbar frisch durchstochen und deshalb angeschwollen. Das habe ich doch in meinem Bericht so festgehalten. Also ist das keine große Neuigkeit oder worauf willst du hinaus?“ „Lies bitte den Briefkopf genauer!“

      „Frau Dr. med. dent. Debora Nagel …

      Ist doch kaum die Gleiche? Das wäre ja ein Riesenzufall!“, sagte Claude kopfschüttelnd.

      „Das muss die Gleiche sein“, antwortete Guerin. „Keine zweite Zahnärztin in Basel mit diesem Namen. Basel ist keine Millionenstadt und der Name Nagel ist dort auch nicht gerade häufig.“

      „Über

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