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schlagen ließen, und noblen Restaurants, die einen wundervollen Duft nach Gebäck und Kaffee in die Straße sandten, hinter uns bringen müssen, um zum Hauptquartier der Preisrichter zu gelangen. Man könnte sich jetzt fragen, warum wir uns nicht auf dem geraden Weg, also von unserem südlich gelegenen Standpunkt nach Norden hin, genähert hatten. Ganz einfach! Auch mit einer Lizenz war es uns nicht erlaubt in das Wohngebiet der Elite vorzudringen oder gar hindurch zu reisen. Deshalb hatten wir auch den anderen Weg nehmen müssen, den vom Südtor in Richtung nördlich gelegenes Meer und dann um die Luxusvillen herum in Richtung Osten.

      Die Zeit schien sich zu verlangsamen, als wir schließlich den Fuß des Hochhauses erreichten. Ich warf meiner Mutter einen zuversichtlichen Blick zu, während sie vor dem Eingang Leo noch einmal fest an sich drückte. Sie warf nervös ihre offenen glatten kastanienbraunen Haare nach hinten, die sie sonst immer in einem Knoten am unteren Teil des Kopfes trug, brachte gerade einmal ein schwaches Zucken mit den Mundwinkeln zustande, das seine zuversichtliche Wirkung weit verfehlte, und trat mit entschlossener Miene durch die silberne Eingangstür, die von einem in eine schwarze Robe gekleideten Mann bewacht wurde, der uns allerdings keines Blickes würdigte. Ich sah zu meiner Schwester hinab, die verängstigt die schier unendlich lange Glaswand über uns hinaufsah. Ich brachte es zusammen, ihr ein aufmunterndes Lächeln zu schenken und sagte besänftigend: „Keine Sorge Dora. Alles wird gut!“

      Zwar hatte ich keine Ahnung, ob das stimmte, doch der Gedanke an ein Happy End ließ einen Funken Hoffnung in meiner Brust entstehen, den auch die kalte Fassade des Gebäudes nicht löschen konnte. Und schnell folgte ich meiner Mutter, dahin, wo ihre zierliche Gestalt vor ein paar Atemzügen verschwunden war, hinein in die Höhle der Löwen.

      Kapitel 4

      Der Eingangsbereich, der sich mir eröffnete, schimmerte in einem fahlen Grün, was die silbrig gläserne Front hinter mir nur noch schauriger erscheinen ließ. Vor einem beigen Wandteppich, auf dem das Wappen der Preisrichter, eine grüne Schlange mit silberner Zunge und über diesem der gebogen stehende Spruch Cognitio potentiae dat, also Wissen verleiht Macht, in silbernen Lettern zu sehen war, befand sich ein großer Empfangstresen, hinter dem eine jüngere ziemlich hübsche Frau mit streng zurückgebundenen schwarzen Haaren in Minirock und Bluse gekleidet stand. Ihr kalter Blick verminderte dabei die Anzahl der Punkte, die sie bei einem Schönheitswettbewerb bekommen hätte, nur geringfügig, auch wenn er für einen Betrachter wie mich unangenehm war. Zielstrebig und ohne ein Zögern gab meine Mutter der Empfangsdame ihr Meldeformular und die Frau nahm dieses energisch in Augenschein. Da ihrer Meinung nach schließlich alles in Ordnung zu sein schien, zeigte sie uns mit einem Kopfnicken an,ihr zu folgen. Sie bog links des Tresens in einen Gang, der, von der Ausrichtung des Hauptgebäudes des Diamond Towers gesehen, in westliche Richtung verlief und, so schien es mir, bis in die Unendlichkeit reichte. Er hatte den gleichen Bodenbelag, wie der Eingangsbereich, ein blank polierter grauer Steinboden mit grünem Schimmer, der auch den Wänden einen kühlen Ton verlieh, und nachdem wir eine Zeit lang durch den schier endlosen Flur gegangen waren, konnte ich in dem fahlen Licht einiger kreisrunder Deckenleuchten eine Veränderung erkennen: wo vorher weiße Wände gewesen waren, prangte nun eine mit kunstvollen Schnitzereien geschmückte dunkle Holzwand und an der Decke konnte ich bunte handgemalte Bilder erkennen, verziert und umrandet von vielen Schnörkeln, die ähnlich wie an der Mauer auch Tierköpfe ausbildeten, wobei auch der Boden an einer bestimmten Stelle urplötzlich in nahezu ebenholzfarbenes Parket übergegangen war und jetzt kleine Kronleuchter für das gewisse Ambiente in der Düsternis sorgten, was der ganzen Atmosphäre in diesem vielleicht drei Meter breiten Gang zumindest eine wärmere Note verlieh. Nach einem mir stundenlang vorkommenden Marsch entlang verschlossener Türen sah ich vor uns am Ende der Allee aus toten Bäumen ein Portal aufragen, dessen schwere hölzerne offenstehende Torflügel bis zur Decke ragten. Ohne zu zögern betrat die voranschreitende Empfangsdame den Raum, der sich hinter dem Tor eröffnete. Ich folgte ihr, Doras dünne Hand in der meinen, meine Mutter im Schlepptau und öffnete erstaunt den Mund. Der Saal, der sich vor mir auftat, überwältigte mich in seiner Schönheit: der wiederum grünlich schimmernde Boden, die hohe, über mehrere Stockwerke gehende, hellgraue Steindecke, die vier hellgrauen Säulen, die diese stützten, die mir gegenüberliegenden stockwerkhohen, oben abgerundeten, in verschiedengroße Segmente aufgeteilten Fenster, die von samtenen grünen Vorhängen verhängt waren und eine hölzerne Tribüne, die vor mehreren aus Holz bestehenden Bänken, gegenüber der Eingangstür am Ende des Saales stand. Über der Tribüne hing als samtenes grünes Banner das Wappen der Preisrichter und in den Boden vor der Tribüne war die Flagge von Stones eingelassen worden, eine Schlange auf dem Hintergrund von einem hellgrauen, roten, schwarzen, cremefarbenen und dunkelgrauen Streifen, der die jeweilige Schicht von Stones symbolisierte. Während meine Schwester und ich noch am Staunen gewesen waren, hatte sich meine Mutter mit meinem Bruder schon auf einer der hinteren Bänke niedergelassen und winkte uns ungeduldig zu sich. Jetzt erst nahm ich die vielen anderen Familien wahr, die sich schon im Raum befanden. Gleich neben uns saß ein junges Ehepaar mit einem Kind, das nach der Kleidung zu schließen wohl aus Ardesia, dem Viertel der 3. Schicht, kam, was mir ein Blick auf die Stirn der beiden und damit auf ihren Preis bestätigte. Man könnte sich jetzt vielleicht fragen, warum das Ehepaar aus Ardesia zusammen mit uns aus Limestone die Zeremonie für ihr Kind hatte. Das war so, weil diese nur freitags stattfand und so keine Zeit war, auf die Trennung zwischen den einzelnen Schichten zu achten. Und trotzdem kam es sehr selten vor, dass sich ein Mitglied der zweiten oder gar ersten Schicht zu der Zeremonie für das gemeine Volk herabließ. Stattdessen erreichten diese mit viel Geld, dass ein Sondertermin für ihre Sprösslinge festgelegt wurde. Entweder war das Ehepaar knapp bei Kasse oder sie störten sich nicht daran, die Zeremonie mit der vierten und fünften Schicht zu teilen. Wir saßen rechts vom zentralen Gang, der zur Tribüne führte, und schnell merkte ich, warum meine Mutter gerade diese Seite ausgewählt hatte. Auf der linken Seite nämlich hatten sich auffällig viele Familien aus Coalman niedergelassen, dem Viertel der fünften Schicht, während auf unserer Seite fast nur Limestoner, unter denen auch einige mir bekannte Gesichter waren, und vereinzelt ein paar Ardesianer saßen. Meine Mutter hatte diese Seite gewählt, weil sie nicht noch tiefer sinken und ihren letzten Funken Stolz behalten wollte. Es machte mich traurig, dass alle Menschen auch ohne das Zutun der Politik, zu der auch die Preisrichter zählten, die Grenzen der Schichten aufrecht hielten.

      Während ich in Gedanken gewesen war, war mir gar nicht aufgefallen, dass das allgemeine Geplauder aufgehört hatte und durch gespanntes Schweigen ersetzt worden war. Nun waren alle Augen nach vorne gerichtet, auf die Tribüne, so dachte ich zuerst. Bei genauerem Hinschauen erkannte ich, dass alle die unscheinbare Holztür rechts von dieser betrachteten. Sie musste zum Besprechungszimmer der Preisrichter führen. Von dem mit silbernen Beschlägen und mit einem silbernen Knauf bewehrten dunklen beweglichen Wandelement war ein grüner Teppich bis zur Tribüne ausgerollt worden. Ich war so in Gedanken gewesen, dass mir dieser überhaupt nicht aufgefallen war. Ohne Vorwarnung öffnete sich plötzlich die Tür und wie auf Kommando erhob sich der ganze Saal. Fanfaren ertönten von einem Balkon zu meiner Rechten, schon schritten in wallenden grünen Gewändern die Preisrichter in die steinerne Halle. Unter ihnen waren sowohl Frauen als auch Männer, alle im mittleren Alter oder älter. Sie nahmen auf den 20 Plätzen auf der leicht gebogenen, in zwei Reihen aufgeteilten Tribüne, die deshalb so konzipiert war, damit auch die Äußersten einen guten Blick auf die Flagge von Stones auf dem Boden hatten, Platz, wobei mir auffiel, dass die Älteren die vorderen Sitze für sich beanspruchten. In der Mitte saß ein Mann mit grauen Haaren und grünen, stechenden Augen, der oberste Preisrichter. Er unterschied sich von den Anderen darin, dass er eine schwere silberne Kette trug, in deren einzelnen ovalen Gliedern jeweils ein grüner Stein, wahrscheinlich ein Smaragd, funkelte, sodass ich diesen sogar über mehrere Bankreihen hinweg bestens erkennen konnte, und die so gut zum samtenen Umhang mit den silbernen Nähten passte. Mit einem Ring, der ebenfalls silbern mit grünem Stein war, klopfte der ältere Mann auf das dunkle Holz der Tribüne und die Leute im Saal ließen sich augenblicklich wieder auf den Bänken nieder. Dann sprach er: „Wir haben uns heute hier versammelt, um die Preise der hier anwesenden Kinder zu bestimmen.“

      Seine Stimme war kalt und Eissplitter schienen die Luft vor unseren Augen wie seine Worte das Schweigen im Raum zu durchschneiden, er legte so viel Autorität in das Gesprochenen, dass nicht einmal mehr ein Kinderweinen zu hören

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