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noch in der Nähe sein, sie hören und zurückkommen.

      Die Kinder huschten geduckt durchs Dorf zwischen den brennenden Häusern hindurch und suchten nach Überlebenden. Aber sie fanden nur weitere Tote. Da von den fremden Reitern nichts zu hören war, auch kein Pferdegetrappel, trauten sie sich jetzt auch, laut zu rufen.

      Doch es antwortete ihnen niemand.

      Als sie den Pfad erreichten, den ihr Vater mit ihrem Nachbarn am Morgen genommen hatte, um auf der anderen Lichtung zu pflügen, fanden sie ihn und auch den Nachbarn. Der Nachbar war tot, doch ihr Vater lebte noch. Drei Pfeile steckten vorn in seiner Brust und zwei in seinem Rücken. Aber er atmete noch schnell und flach und stöhnte leise. Blut lief aus seinen Mundwinkeln. Sie knieten sich neben ihn und Gudrun stich sanft mit der Hand über seinen Kopf. Das hätte sie sich früher nie getraut.

      Plötzlich schlug er sie Augen auf.

      „Wasser“, stöhnte er leise.

      Gudrun rannte zum Bach und schöpfte mit zusammengelegten Händen etwas Wasser, mit dem sie zurückgelaufen kam. Sie hielt ihm die Hände an den Mund. Viel Wasser war es nicht – eben nur eine Handvoll. Aber es reichte aus, um ihren Vater wieder so weit zu beleben, dass er sich etwas aufrichten und mühsam sprechen konnte.

      „Was ist mit eurer Mutter und eurer Schwester Inge?“

      „Wir haben sie nicht gefunden. Vielleicht waren sie noch im Haus, als es verbrannte“, sagte Astolf.

      „Das Dorf gibt es auch nicht mehr und außer uns hat auch niemand überlebt.“

      „Hört zu, ihr beiden.“

      Ihr Vater konnte nur noch mühsam sprechen und machte immer wieder längere Pausen.

      Gudrun rannte noch einmal los, um ihm etwas Wasser zu holen.

      „Ihr habt jetzt nur noch euch. Haltet zusammen!“

      Er machte wieder eine Pause.

      „Euer Onkel Radolf hat mir bei seinem letzten Besuch bei uns in die Hand versprochen, euch zu sich zu nehmen, wenn eurer Mutter und mir etwas zustoßen sollte. Das ist jetzt der Fall. Versucht zu ihm zu gelangen oder ihm eine Botschaft zu schicken.“

      „Wir sollen in die Römerstadt?“ protestierte Astolf.

      Es waren zwar Jahrhunderte vergangen, aber bei den Cheruskern waren die Geschichten über die Schlacht im Teutoburger Wald nicht vergessen. Er hatte sie alle oft, und in den unterschiedlichsten Ausschmückungen, während der langen Winterabenden am Feuer in der Halle gehört, und war stolz auf sein Volk und seine eigene Herkunft gewesen.

      „Ja, denn er ist jetzt euer nächster lebender Verwandter. Er wird sich um euch kümmern. Hier könnt ihr nicht bleiben.“

      Leise stöhnend sank der Vater wieder auf den Boden zurück. Gudrun kniete neben ihm, legte den Kopf auf seine Schulter und weinte leise. Er legte den Arm um sie und hielt sie fest.

      „Astolf, gib mir deine Hand“

      Seine Worte kamen jetzt nur noch sehr langsam und mit großen Abständen.

      Astolf kniete sich ebenfalls neben ihn und ergriff seine Hand.

      „Versprich mir, dass du auf deine Schwester aufpassen wirst und dass ihr zu Radolf gehen werdet.“

      „Ja Vater, ich verspreche es.“

      Astolf war zwar nicht wohl bei dem Gedanken, so weit fort in die Fremde gehen zu müssen, aber er erkannte, dass es der letzte Wunsch seines sterbenden Vaters war. Also gab der sein Versprechen.

      Ihr Vater seufzte noch einmal und verlor wieder das Bewusstsein, das er auch nicht wiedererlangte. Kurz nach seinen letzten Worten hörte sein Atmen auf.

      Als Astolf sein Ohr an sein Herz legte, konnte er keinen Herzschlag mehr hören.

      Ihr Vater war tot.

      Sie suchten die Reste des Dorfes nach Dingen ab, die sie vielleicht gebrauchen konnten.

      Am Bach fanden sie in einem Brenneselbusch neben dem toten Körper von Gudruns bester Freundin Astrid einen kleinen Kupferkessel. Sie war wohl Wasser holen gewesen, als die Fremden sie gesehen und mit Pfeilen getötet hatten.

      Neben dem Backhaus fanden sie einen geplatzten Sack mit Gerstenkörnern und etwas verstreutes Mehl. Sie sammelten die Gerstenkörner in Gudruns Korb und das Mehl in ein Leinentuch, das Astolf aus dem Hemd eines der Toten geschnitten hatte. Es war zwar etwas mit Sand vermischt, aber besser als gar nichts.

      Gudrun nahm Astrids Rehlederumhang an sich und Astolf den Hirschlederumhang eines anderen Toten. Sonst gab es nichts mehr im Dorf, was ihnen nützlich sein konnte. Alles, was irgendwie brauchbar war, hatten die Fremden entweder mitgenommen oder es war verbrannt.

      „Wir können die Toten doch nicht hier so liegenlassen“, jammerte Gudrun.

      „Wir haben nichts gefunden, womit wir sie beerdigen könnten“.

      Astolf hatte eine Idee. Er war an den Winterabenden, wenn alle zusammensaßen und sich Geschichten aus der Vergangenheit erzählten, immer ein aufmerksamer Zuhörer gewesen und hatte besonders Erzählungen aus der Vergangenheit geradezu in sich aufgesogen.

      „Heute beerdigen wir unsere Toten, aber unsere Vorfahren haben vor Hunderten von Jahren ihre Toten verbrannt. Holz liegt hier genug herum. Wir bauen einen Scheiterhaufen, legen so viele der Toten darauf, wie wir können, und verbrennen sie, damit keine wilden Tiere ihre Körper fressen können.“

      FeuerbestattungEs wurde eine anstrengende Arbeit. Erst trugen sie Brennholz zusammen und schichteten es auf einen sehr großen Haufen, dann zerrten sie so viele der Toten hinauf, wie sie drauflegen konnten. Vor allen Dingen ihren Vater, ihren Nachbarn und Gudruns Freundin Astrid.

      Als Astolf mit einem brennenden Scheit von einem der immer noch schwelenden Häuser den Holzstoß anzünden wollte, unterbrach ihn Gudrun:

      „Was ist, wenn die Fremden den Rauch des Feuers sehen und zurückkommen?“

      Astolf deutete in die Runde und nach oben: „Die Häuser qualmen immer noch und über unserem Dorf steht eine gewaltige Qualm Wolke. Ich glaube nicht, dass sie den Rauch dieses Feuers von dem anderen unterscheiden werden.“

      Sie verbrannten so viele der Toten, wie sie konnten. Die anderen legten sie, soweit sie diese überhaupt finden konnten, in einer Reihe neben das Feuer. Dann bleiben sie eine Weile neben dem brennenden Feuer mit gesenkten Köpfen stehen und nahmen Abschied. Gudrun weinte wieder und Astolf stand mit grimmigem Gesicht neben ihr. Anschließend verließen sie den Ort, der einmal ihr Zuhause gewesen war.

      Die Nacht verbrachten sie, ohne etwas zu essen, in ihrer kleinen Höhle im Windbruch. Hunger verspürte keiner von beiden. Auch schlafen konnten sie nicht. Astolf hatte seinen ersten Menschen getötet und ihm war bei der Erinnerung übel. Auch wenn er ein Feind gewesen war, spürte er doch ein Würgen in der Kehle. Die Gedanken abschütteln und an etwas Anderes denken konnte er aber auch nicht. Ständig sah er den toten Fremden mit dem Pfeil im Nacken vor seinem geistigen Auge.

      Auch Gudrun war von den Ereignissen im Dorf und unter der Eiche völlig verstört und wimmerte ständig leise vor sich hin. Sie hatten sich aneinander festgehalten und waren irgendwann in einen kurzen unruhigen schlafähnlichen Dämmerzustand gefallen.

      Am Morgen hatten sie die beiden kleinen Brote mit einigen Blaubeeren hinuntergewürgt. Gudrun weinte unentwegt, bis sie keine Tränen mehr hatte.

      „Wie sollen wir in die Römerstadt kommen?“, fragte sie schließlich, als die Weinkrämpfe nachließen, ihren Bruder.

      „Vater hat mir, als Onkel Radolf im vorigen Jahr zu Besuch gekommen war, gesagt, dass sie weit im Westen an einem sehr großen Fluss liegt. Wir müssen zuerst nach Süden gehen, bis wir an einen Fluss kommen und dem Verlauf dieses Flusses dann flussabwärts folgen, bis wir zu

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