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antwortete mir nicht. Sie ließ ihre Blicke wieder hinter der großen dunklen Sonnenbrille verschwinden und über die scheinbar endlose Weite des Sees wandern.

      Emma, meine liebe gute Emma, hatte eine Art an sich, die ich gleichzeitig liebte und hasste.

      Sie konnte einem das Gefühl geben, den größten Fehler seines Lebens gemacht zu haben. In ihrer Nähe fühlte ich mich eigentlich sehr wohl. Logisch, sie war meine beste Freundin. Doch zugleich kam ich mir manchmal so unendlich dumm in ihrer Gegenwart vor. Weil sie mir, ohne es selbst zu wollen, immer wieder das Gefühl gab, ein besserer Mensch zu sein als ich es war. Weil sie nie das Verlangen verspürte, mich wegen irgendetwas anzulügen. Weil sie, egal was es war, immer die Wahrheit sagte.

      Ich hatte sie schon öfter angelogen, weil mir die Wahrheit zu unbequem oder zu anstrengend erschien. Sie hatte mich immer durchschaut und es mich wissen lassen. Ich war in ihrer Gegenwart eine schlechte Lügnerin. Emma wollte immer die Wahrheit hören, weil sie der Meinung war, einen Anspruch darauf zu haben, nicht angelogen zu werden. Einfach deshalb, weil sie selbst ein grundehrlicher Mensch war.

      Ich holte noch einmal tief Luft.

      „Okay“, sagte ich schließlich. „Jonah hat Recht. Tom war Samstagnacht bei mir.“

      Jetzt war es raus. Doch Emma reagierte keineswegs mit Erstaunen oder Freudentaumel. Auch Erschrecken konnte ich nicht in ihrem Gesicht sehen. Noch nicht einmal das kleinste Bisschen Neid. Meine innere Prinzessin verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte. Ich muss zugeben, ich hatte schon etwas mehr erwartet. Immerhin kam es nicht alle Tage vor, dass ich den heißesten Typen der ganzen Schule in meinem Bett liegen hatte. Jedes andere Mädchen hätte wenigstens Neid gezeigt oder zumindest nachgefragt: „Was? Du? Wieso?“

      Aber nicht Emma.

      Emma saß da, schaute über den See und ließ die Füße ins Wasser baumeln.

      „Und?“

      Ich zuckte zusammen, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass Emma doch noch einmal mit mir sprechen würde an diesem Nachmittag.

      „Was – und?“, fragte ich.

      „Wie war es - mit Mister Genial?“ Emma nahm die Sonnenbrille ab und sah mich mit ihrem verschwörerischen Grinsen und ihren strahlenden blauen Augen an. Ich atmete erleichtert auf. Sie war nicht mehr sauer.

      „Naja, es war okay“, antwortete ich, griff aus lauter Verlegenheit mit beiden Händen nach meinen langen braunen Haaren und drehte sie zu einem Zopf, der sich allerdings sofort wieder auflöste, als ich ihn losließ.

      „Nur okay?“

      „Er schnarcht fürchterlich und stinkt morgens schrecklich aus dem Mund“, erklärte ich.

      Emma lachte leise. „Und sonst?“ Ich wusste genau, worauf sie hinaus wollte.

      „Keine Ahnung. Nicht anders als sonst“, sagte ich.

      „Habt ihr wenigstens verhütet?“ Emma legte ihren verantwortungsvollen Blick auf.

      Ich kam mir plötzlich vor wie bei einem Verhör.

      „Ja, selbstverständlich“, antwortete ich trotzdem pflichtbewusst.

      Einen kurzen Augenblick herrschte wieder Schweigen zwischen uns und ich erzählte schnell die Story mit den vermeintlichen „Erdbeerbonbons“, die Emma erwartungsgemäß zum Lachen brachte.

      Irgendwann kamen noch ein paar andere aus unserer Clique zum Bootsanleger. Mit einem Blick gab ich Emma zu verstehen, dass wir das Thema nun lieber beenden wollten.

      „Und wie geht es nun weiter mit euch?“, flüsterte sie mir noch schnell zu.

      Meine Antwort war ein kurzes Schulterzucken, das in mir ein eigenartig trauriges Gefühl hinterließ.

      Kapitel 7

      Ich wusste nicht, wie es mit Tom und mir weitergehen würde.

      Ich wusste nicht, was da zwischen uns war.

      Ich wusste noch nicht einmal, ob überhaupt etwas zwischen uns war.

      Bis zum Montag hatte er nicht auf meine Nachricht geantwortet.

      Die Angst, die sich in meinem Herzen breit zu machen versuchte, überspielte ich mit Erklärungen.

      Vielleicht hatte ihm jemand das Handy geklaut.

      (Möglich)

      Oder er besaß nur eine Prepaidkarte, die zufälligerweise gerade jetzt leer war. (Unwahrscheinlich)

      Er war mit seinen Eltern in einen spontanen Wochenendurlaub gefahren.

      (Möglich)

      Was es auch sein mochte, ich wollte es spätestens am Montag in der Schule heraus bekommen.

      Doch das hatte ich mir eindeutig viel zu leicht vorgestellt. Ich merkte recht bald, dass ich nicht einfach zu ihm hingehen und sagen konnte: „Hey, Tom, lass uns über uns und unsere gemeinsame Nacht reden.“ Irgendwie kam ich nicht an ihn ran. Ständig war er von seinen Fußballkumpels und den Mannschaftsgroupies umzingelt. Wenn ich in seiner Nähe war, versuchte ich, Blickkontakt mit ihm aufzunehmen, doch auch das gelang mir nicht. Ich konnte zu ihm hinstarren, ihm gewisse Blicke zuwerfen – es schien beinahe so, als wäre ich für ihn in keiner Weise existent.

      Meine innere Prinzessin zog sich in die letzte Ecke meiner Seele zurück und vergrub heulend den Kopf in den Armen.

      Emma war sofort aufgefallen, dass mit mir etwas nicht stimmte. Doch anstatt blöde Fragen hinsichtlich meines vermeintlichen One-Night-Standes zu stellen, nahm sie mich wortlos in den Arm und drückte mich fest an ihr großes ehrliches Freundinnenherz.

      „Er ist so ein blöder Idiot“, murmelte ich in ihre Blümchenbluse.

      „Ach komm, Mila. Vielleicht ist es ihm nur peinlich vor seinen Freunden. Jungs sind manchmal so. Pass auf, heute Nachmittag schickt er dir ´ne nette kleine Nachricht“, meinte Emma tröstend. Doch ich ahnte, dass sie sich selbst nicht glaubte. Eigentlich wusste sie schon ganz genau – oder vermutete es zumindest – was Sache war. Nur ich schien mir immer noch einzureden, dass es für Toms abweisende Haltung einen guten Grund geben würde.

      Okay, Tom beachtete mich nicht, obwohl wir eine ganze Nacht miteinander verbracht hatten. Und trotzdem fühlte ich mich den ganzen Tag über irgendwie von irgendwem beobachtet. Ich brauchte auch gar nicht lange überlegen, wer derjenige war. Denn ich entdeckte ihn immer in meiner Nähe.

      „Ey, stalkst du mich etwa?“, fuhr ich Jonah an, als er mir zum vielleicht hundertsten Mal beinahe zufällig über den Weg gelaufen war.

      Jonah war ein eher schüchterner Junge aus meinem Kurs. Soweit ich wusste, hatte er kaum Freunde – jedenfalls keine interessanten. Eher die Streber, die Leser, die Musiker, die Schauspieler – keiner der Sportler gehörte dazu. Dabei war er nicht mal hässlich. Im Gegenteil. Jonah war schlank, fast schon schmal. Mit seinen blauen Augen schaute er meist witzig und charmant in die Welt. Auf seinem Kopf trug er stets eine „MyBoshi“, unter der vereinzelt nur noch ein paar seiner Haare heraus schauten – ich glaube, er besaß hunderte dieser bunten Häkelmützen. „Oben ohne“ hatte ich ihn bisher nie gesehen. Deshalb hätte ich auch nicht sicher sagen können, welche Haarfarbe oder Frisur genau er trug.

      Als mir das in den Sinn kam, wurde mir mit Erschrecken wieder bewusst, dass er am Samstag alles von mir gesehen hatte. Er konnte unter Umständen sogar die Farbe meiner Schamhaare benennen, wenn ihn jemand zufälligerweise danach fragen würde.

      „Wieso sollte ich dich denn stalken? Anscheinend bist du völlig uninteressant, wenn ich mir Tom so ansehe“, entgegnete Jonah gelassen mit einem Grinsen und wies mit dem Kopf in die Richtung, in der Tom stand.

      „Kümmere dich um deinen eigenen Kram“, blaffte ich ihn an und ging schnell weiter.

      Für alle anderen war Toms Verhalten völlig normal, doch für drei Menschen – für

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