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war es nicht mehr schwer für mich, allein in Kanada zu sein und ich konnte damit einigermaßen gut umgehen. Dies hängt ganz von deinem „mind set“ ab, das heißt, wie du selbst deine Gedanken im Voraus einstellst. Man ist danach nicht mehr enttäuscht, wenn man sich Dinge vorher gedanklich klar gemacht hat. Ich wusste ja, dass ich meine Eltern für über zehn Monate nicht mehr treffen würde. Also war ich nicht wirklich traurig, dass ich sie nicht sah in dieser Zeit, weil ich mich ja mental darauf einstellen konnte.

      6.

      Welche Gefühle haben Dich während des langen Fluges nach Vancouver begleitet? Waren es eher Gefühle von Abenteuerlust und Neugierde auf ein anderes Land oder hattest Du auch Gefühle von Einsamkeit oder Angst vor dem Neuen und Unbekannten?

      Es war mehr Neugierde. Etwas tat aber richtig weh: Meine „Ma“ brachte mich zum Flughafen. Es ging ihr sehr nah, dass ich nun so lange von zu Hause weg sein würde; und dies ging mir dann ebenfalls unter die Haut. Es hat mir richtig leid für sie getan. Im Flugzeug lernte ich eine kanadische Lehrerin kennen. Ich konnte mich mit ihr prima unterhalten. Das hat mich abgelenkt bei meinem „Trennungsflug“, so dass ich die Reise gut überstanden habe.

      7.

      Was hast Du nach Deiner Ankunft gemacht? Welche Organisation hast Du aufgesucht? Wer oder was hat Dir die ersten zwei Wochen weitergeholfen? Wo hast Du in dieser Zeit übernachtet? Womit hast Du Dich beschäftigt?

      Ich war zunächst mit der oben schon erwähnten Organisation unterwegs. Diese hatte ein Hostel in Vancouver reserviert. Am folgenden Tag gab es eine Einführung für mich und einige andere Teilnehmer, die auch auf Reisen waren. Mir wurde aber danach sehr schnell klar: Das hilft mir jetzt nicht mehr weiter.

      Ich hatte aber noch eine andere Sache, sozusagen einen Joker, im Gepäck: die Organisation von „wwoof“ („willing workers on organic farms“){7}. Sie besteht eigentlich nur aus einem Katalog, in dem circa 1000 Bio-Farmen zusammen geschlossen sind. Das „wwoof“-Konzept sieht etwa so aus: Man arbeitet täglich fünf Stunden an fünf Tagen der Woche auf der Farm. Dafür bekommt man kein Geld, hat aber Kost und Logis frei. Das Tolle daran ist, dass man bei dieser Gelegenheit viele Leute treffen kann, die sich auf die gleiche Art und Weise im Land durchschlagen.

      Die ersten zehn Tage verbrachte ich also in dem Hostel in Vancouver. Abends ging ich meist mit einigen Mitbewohnern in der Stadt aus. Wegen meiner begrenzten Englisch-Kenntnisse traute ich mich nicht, mich bei einer richtigen Arbeit zu bewerben. Daher erschien mir nach einigen Tagen die Idee von „wwoof“ sehr attraktiv und so wollte ich ein „wwoofer“ werden (das sind Leute, die auf einer Bio-Farm nach diesem „wwoof“-Konzept arbeiten – Anm. d. Verf.).

      8.

      Du hast Dir bald eine Arbeit gesucht, weil Deine finanziellen Vorräte in Kanada schnell abgeschmolzen sind. Wo hast Du als erstes gearbeitet? Wie hast Du die Arbeit empfunden? Hast Du bald Kontakt zu anderen jungen Leuten bekommen? Hast Du Dich einsam gefühlt oder war es eine gute Zeit? Wie lange hast Du auf der Farm gearbeitet?

      Meine erste „wwoof“-Farm lag auf Vancouver Island. Von meiner Arbeit auf der Münchner Messe und durch Ersparnisse hatte ich 3.500 Euro dabei, mein Opa hat mir weitere 500 Euro dazu gegeben, als er hörte, dass ich nach Kanada gehen würde. Er hat dies wohl als eine Art Fürsorge verstanden und wollte, dass es mir gut gehe bei meinem Unternehmen.

      Auf dieser Farm habe ich nur etwa drei Wochen verbracht. Es ist ja auch gar nicht erwünscht, recht viel länger an einem Ort zu bleiben, damit die Leute möglichst weit herumkommen in Kanada. Auf dem Hof waren wir fünf „wwoofer“. Wir mussten Unkraut mit der Hand jäten, das heißt, mit ihren Wurzeln rausziehen. Einmal in der Woche wurde dann das Biogemüse – vor allem Broccoli, Blumenkohl und Karotten - auf einem Wochenmarkt verkauft. Auf der Farm habe ich Andi, einen Schweizer, kennengelernt. Er ging schon nach kurzer Zeit auf eine andere Farm und einige Tage später bin ich ihm dorthin nachgefolgt.

      Diese Farm war ein wirklicher Glücksgriff. Der Hof lag auf einer benachbarten Insel von Vancouver Island. Er gehörte Linda, einer Kanadierin. Sie war 51 Jahre alt, eine Art von „Alt-Hippi“ und lebte mit ihrer Tochter und mit ihren beiden Hunden dort alleine. Das Grundstück lag am Meer, ihr Haus war vermietet. Andi und ich wohnten in einer Garage, die als Hostel ausgebaut war. Wir waren die einzigen beiden „wwoofer“-Gäste und waren deshalb so etwas wie „Mädchen für alles“.

      In besonderer Erinnerung ist mir ein Abend geblieben. Linda fuhr mit ihrem Cabrio zu ihrem Freund Brian, der etwa 50 Kilometer entfernt ebenfalls auf der Insel lebte. Andi, ich und die beiden Hunde durften mitkommen. Wir fuhren bei prächtigem Sternenhimmel und mit offenem Dach auf einer Schotterpiste durch den Urwald. Linda hatte die Musik von Pink Floyd auf volle Lautstärke gedreht. Plötzlich reichte sie einen Joint herum und jeder von uns dreien rauchte einige kräftige Züge. Linda war „high“ davon und Andi und ich wohl auch ein bisschen. Vielleicht war dies gut so, denn sonst wäre uns das Herz vor lauter Angst in die Hose gerutscht, als Linda mit hoher Geschwindigkeit durch den Wald rauschte und die Bäume ganz nahe an uns vorbei flogen.

      Ansonsten war die Farmbesitzerin eine sehr fürsorgliche Mutter, ein wirklich guter Mensch mit einer etwas naiv-netten Art. Bei ihrer Tochter jedoch war sie kritisch und streng, gerade was Haschisch betraf. Für mich war der Aufenthalt auf ihrer Farm eine wirklich gute Erfahrung. Diese war meine zweite von insgesamt drei „wwoof“-Farmen.

      9.

      Du hast während Deiner Zeit in Kanada noch ein weiteres Vorhaben umgesetzt: Mit dem Flugzeug bist Du für 14 Tage in die USA geflogen, um bei der „School of Lost Borders“ eine echte „Visionssuche“ zu machen. Kannst Du dazu Deine Motive und Erlebnisse etwas näher beschreiben?

      Während der Zeit auf der Farm von Linda ist in mir die Idee gereift, selbst eine Visionssuche zu machen. Dies hatte ich mir schon in Deutschland vorgenommen, nachdem ich den Film „Erwachsenwerden in der Wildnis – Visionssuche mit Jugendlichen“{8} angesehen hatte, den Du mir zum 18. Geburtstag geschenkt hattest.

      Außerdem hatte mein Vater ein Jahr zuvor ebenfalls eine Visionssuche gemacht und mir von seinen Erlebnissen erzählt. Dies hatte mich neugierig gemacht, obwohl ich das ganze Ritual zunächst eher für einen Schwachsinn gehalten hatte. Dennoch fand ich die Idee eines nicht-destruktiven Initiationsrituals mehr und mehr interessant.

      Nachdem ich nun bereits mehrere Wochen in Kanada war, spürte ich so etwas wie eine geistige Lücke in mir und darum fing ich an, nach einem spirituellen Hintergrund zu suchen. Mir wurde immer mehr bewusst, dass die Initiationsrituale der Indiander, der Urvölker in diesem Lande, doch einen Sinn haben müssen und dass dies auch für unsere heutige westliche Gesellschaft von Bedeutung sein könnte. Dies wollte ich jetzt herausfinden. Möglicherweise konnte dieses alte Ritual mir ebenfalls Hilfe bei der Bewältigung meines Hauptproblems geben – dem mangelnden Selbstbewusstsein in Bezug auf andere Menschen, die ich auf eine höhere Stufe stellte. Wenn ich etwa eine Frau besonders attraktiv empfand, dann hatte ich Angst, sie anzusprechen und dies nur, weil ich sie vorher als etwas „Höheres“ als mich eingestuft hatte. Damit stand ich mir oft selbst im Weg.

      Die Visionssuche sollte ein erster Schritt dazu sein, mich mit diesem Grundthema auseinander zu setzten. Das Video hatte mich sehr angesprochen. Irgendwie empfand ich die Situation der Teilnehmer in dem Film wie eine Ur-Gruppentherapie: Sie mussten ihr Problem öffentlich vor der Gruppe erzählen, die anderen Mitglieder oder die Leiter gaben danach ein Feedback dazu.

      Ich hatte also die Sehnsucht und die Illusion, bei den Indianern in Kanada eine große Zahl von Anbietern von Visionssuchen zu finden, da doch in diesem Land noch viele ursprüngliche Stämme beheimatet sind. Warum sollte ich nicht die Visionssuche genau da machen, wo sie noch am ehesten meiner Vorstellung entsprechend begangen werden konnte. Möglicherweise könnte ich auch einen Kontakt zu einem echten Medizinmann bekommen. Im Internet auf der Farm von Linda fand ich aber nichts Brauchbares dazu. Da erinnerte ich mich an das Video, das ja von der „School of Lost Borders“ in Kalifornien, USA, handelte. Und hier fand ich ein konkretes

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