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Des Kaisers Waisenknabe. E.R. Greulich
Читать онлайн.Название Des Kaisers Waisenknabe
Год выпуска 0
isbn 9783847686774
Автор произведения E.R. Greulich
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
E.R. Greulich
Des Kaisers Waisenknabe
Kindheitserinnerungen
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Epilog
Der Kaiser ist ein lieber Mann,
er wohnet in Berlin,
und wär' es nicht so weit von hier,
dann ging' ich heut' noch hin.
Wir sangen das aus voller Kehle,
denn Kinder glauben gern,
und die Melodie war so herzig.
Dass der Besungene
ein bisschen sehr anders
zu betrachten sein könnte,
das merkten wir erst später.
ERSTES KAPITEL
Geschichtsbücher vermitteln Geschichte,
Biografien gelebtes Leben.
Keiner wird gefragt, ob er geboren werden will, und auch Rudolf hatte sich darein fügen müssen. Als er das Licht der Welt erblickte, zeigte der Kalender den sechsten Oktober des Jahres 1909. Licht der Welt klingt poetisch, der Ankömmling benahm sich eher prosaisch. So viel Hell stach ihm in die Augen, also kniff er sie zu und schrie. Das zeigt, wie subjektiv der Winzling die Dinge nahm. Denn objektiv gesehen, gaben sich die Umstände recht leidlich. Eine glückliche Mutter, ein sonniger Oktobertag, eine warme Stube, und selbst die Hebamme wusste nichts zu bemängeln. Zudem befand sich das Heim des Neugeborenen in der wunderschönen Stadt Berlin, in der Jahnstraße, nahe der Hasenheide, kurz vor der Grenze zu Rixdorf, das später Neukölln hieß.
Auch an der Wahl der Eltern hatte man Rudolf nicht beteiligt, wie es ja überhaupt höchst undemokratisch zugeht bei der Geburt eines Erdenbürgers. Erdenbürger! Welche Übertreibung für ein Menschlein, dessen Daseinsstatus damals bestenfalls als Untertan bezeichnet werden konnte. Was manch einem lebenslang anhängt. Ob es auch bei Rudolf der Fall sein würde, das dürfte vielleicht am Ende herausgefunden worden sein,
Vorerst lebte er noch im warmen Nest des Fühlens und Träumens, vom Denken nicht gequält, und was wir in den Anfangskapiteln erfahren, ist Ergebnis von Erinnern und erzählt bekommen, also rekonstruiert vom späteren, wie wir hoffen wollen, auch reiferen Helden des Romans. Dessen Trachten, Sinnen und Handeln dürfte besser zu begreifen sein, wird uns zur Kenntnis gebracht, von welchen Eltern ward er gezeugt, wie war es mit deren Eltern bestellt. Zur Entschuldigung des Autors sei gesagt, nicht einmal die kleine Schwester des Romans, die Novelle, kommt ohne eine Exposition aus, und bei einem ordentlichen Stück ist es nicht anders.
Die Mutter Martha war keine auffallend hübsche Person, ihre Schönheit hatte, wie meist bei gescheiten Frauen, etwas Verinnerlichtes. Aschblond, mittelgroß und zartgliedrig, war sie für die damalige Zeit recht selbstsicher, ihre Ausdrucksweise verriet überdurchschnittliche Bildung für ein Mädchen aus dem Arbeiterstand. Sie hatte das Lyzeum besucht. Der Vater Julius Saupt, ein rechtschaffener Sattlergeselle, meinte, die höhere Schulbildung schulde er der Martha, ältere der beiden Töchter und intelligenter als die hübsche Erna. Hier wird der Geschichtsbewanderte die Stirn runzeln: Tochter eines Arbeiters besucht das Lyzeum? Abermals Stirnrunzeln, wenn gesagt werden muss, der Sozialdemokrat Saupt habe von Bismarcks Sozialistengesetz profitiert. Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich leicht. Julius hatte eine kleine Erbschaft gemacht, und die Gesinnungsfreunde drängten ihn, mit den ins Haus gefallenen Talern eine Destille zu kaufen. Er folgte dem Rat. Damit hatte er eine feste Kundschaft und die Partei ein festes Lokal, äußerlich nicht von anderen Berliner Budiken zu unterscheiden. Von der Neugier nach dem Leben seiner Großeltern getrieben, hatte der halbwüchsige Rudolf später einmal die Gegend aufgesucht. Er fand jene Kneipe so, wie vom Vater beschrieben. Neben der Eingangstür im Schaufenster ein Tönnchen und zu den grünen Zweiliterflaschen mit Patentverschluss der Hinweis: "Bier in Siphons auch außer dem Hause!" Damit kein Zweifel aufkomme, dass Schnaps ebenfalls vorhanden, stand quer über dem Schaufenster in weißen Buchstaben: "Destillation". Auf den Schildern links und rechts des Etablissements fehlte nicht das Angebot: "Weinbrände & Liqueure