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      Es ist so wie im Leben: wir wissen nicht warum und wieso und wir haben keinen Plan – aber wir ziehen das jetzt erstmal durch. Möglicherweise bis zum Ende. Aber das ist natürlich für jeden woanders.

      Es fühlt sich ein bisschen so an wie beim ersten Mal: Du willst das unbedingt - und Du hast überhaupt keine Ahnung wie das gehen soll. Wie das gut gehen soll… Für alle Beteiligten. Für die allermeisten ist das eine ihrer ersten von vielen großen Enttäuschungen. Das kann man dann nun natürlich solange wiederholen bis es das ein oder andere Mal auch ganz schön ist – bloß: das Leben an sich lässt sich nicht wiederholen. Eigentlich, oder?

      Die Landschaften, die ich bisher gesehen habe wiederholen sich nie. Sie sind immer wieder ganz neu. Nur, was ich bisher von den Menschen so mitgekriegt habe, unterscheidet sich nicht wirklich von dem, was ich, der Beobachter, schon kenne. Und du weißt ja, ich beobachte ganz besonders genau mit meinem linken Auge – dem Zielauge des Jägers! Denn das Beobachten ist nun mal viel aufschlussreicher und interessanter als einfach nur leben… Leben an sich ist eigentlich ganz einfach….

      Manche suchen, wenn sie erkannt haben, dass sie dieselbe Sprache sprechen irgendwie nach Anschluss, damit sie das Gefühl haben, sich in der Fremde besser aufgehoben zu fühlen. Zuhause interessiert sich niemand für Niemanden, weil da all die anderen immer so grau aussehen.

      Was mir besonders aufgefallen ist, sind Lehrer oder Lehrerinnen, ob jünger oder älter, mit ihren vom vielen Palavern verunstalteten Schwabbelköpfchen, Bierbäuchen, unrasierten Beinen und Hängetitten. Sie sind anscheinend die Spezies Mensch, die eigentlich verzweifelt sich selbst – und vielleicht die Welt, aber nur vielleicht… - zu verstehen versucht, indem sie andere belehren. Warum lassen sie sie nicht einfach ihren Weg gehen?

      Aber mir waren Menschen, die auf Alles eine Antwort haben, immer schon suspekt, vor allem wenn sie Nichts ausstrahlen.

      Ich denke, ich gehe weiterhin alleine diesen Weg. Vielleicht wird er irgendwann meiner auch wenn er mich von meiner Idee, einen Roman schreiben zu wollen abbringen sollte. Wir werden sehen.

      Ab morgen werde ich erstmal kürzere Etappen laufen, mir mehr Zeit gönnen für meine Spezialreise und immer mal wieder Pause machen.

      Angeblich soll das ja das Ziel sein – also der Weg…

      Bis bald LG.

      Es gibt Momente, die noch im Augenblick des Geschehens zu erbarmungslosen Eiszapfen gefrieren und sich gemein und unerbittlich in dein Herz bohren.

      Durch die Gemeinde ging ein Raunen der Empörung, seine Mutter schlug vor Entsetzen die Hände vors Gesicht. Das Allerschlimmste aber war sein Vater. Der stand nur regungslos da, starrte ihn an, verzog keine Miene und sagte keinen Ton. Für ihn war das ein Angriff auf seinen Gott, auf sein Leben.

      Reinen Herzens also ging er zum Rabbi und zwang ihn, seinen Sohn mit einem Bann zu belegen und aus der Gemeinde zu verstoßen.

      Der strenge Rabbi hätte es nochmal mit einem geduldigen Gespräch versucht, aber die regelmäßig großzügigen Spenden von Joshua Goldmayer verlangten ihren Tribut…

      Wenn Kinder sich nicht gegen ihre Eltern wehren, verkommen sie zu deren Eigentum und degenerieren auch ansonsten zu verängstigten Jasagern und Befehlsempfängern, in denen ein tiefer Groll das Innerste zernagt. Nur wenige Väter oder Mütter haben die Kraft und die Größe eine eigenständige Entwicklung ihrer Kinder zu akzeptieren und zu unterstützen. So spielt man also lieber immer und immer wieder die altbewährten Spielchen der Macht.

      Nun also, dreiundvierzig Jahre nach diesem eisigen Moment, stand er mit frisch rasierter Glatze und einer großen Sonnenbrille etwa achtzig Meter entfernt von der Begräbniszeremonie auf dem kleinen jüdischen Friedhof seines Heimatstädtchens. Dreiundvierzig Jahre und achtzig Meter entfernt von dem Mann, der einmal sein Vater hätte werden sollen..

      Er war sich nicht sicher, ob er Abschied nehmen oder sich einfach nur vergewissern wollte, dass er endlich aus seinem Leben verschwunden war.

      Plötzlich, wie von Geisterhand bewegt, drehte sich seine Mutter langsam um und blickte hilflos suchend in seine Richtung als spürte sie seine Anwesenheit.

      Er fühlte diesen alten Eiszapfen… und eine plötzliche Hitze stieg in ihm auf…

      Mit einer Mischung aus Scham, Peinlichkeit und sowas wie Angst verschwand er schnellen Schrittes ohne sich noch einmal umzusehen.

      Er, als einstmals mächtiger und verhandlungssicherer Geheimvertreter von Goldman Sachs, der Weltbank schlechthin, er, Dr. Irvin D. Goldmayer, hatte das Gefühl, dass sein Lebensweg mehr einer wackeligen Hängebrücke als einer soliden Steintreppe glich, wovon er eigentlich bisher immer überzeugt war.

      Bot aber nicht gerade die ständig notwendige Aufmerksamkeit und Vorsicht beim Beschreiten eines schwankenden Pfades die bessere Gelegenheit, im Hier und Jetzt anzukommen als das vorhersehbare Voranschreiten auf vorhersehbaren Stufen?! Das hatte er sich doch nun mal vorgenommen: das Hier und Jetzt – weg und raus aus der Vergangenheit!

      Kann man dann noch Mensch sein? Also, so ganz ohne Vergangenheit?!

      Mit diesen und anderen verwirrenden Gedanken versuchte er seinen hartnäckigen Eiszapfen zum Schmelzen zu bringen.

      Wie in einer Art Wachschlaf wählte er diese Handynummer, die er für solche Situationen unter „R“, wie Reset abgespeichert hatte.

      „ Hallo Becky! Ich bin`s! Hast du Zeit…?!“

      „ Goldy?! - Goldy, bist du das…?! - Mein Gott – so lange Nichts von dir gehört! Jetzt ist grad schlecht… Wie wär`s in zwei Stunden? Das volle Programm?...“

      „Ja, Becky, das volle Programm! Also, bis gleich! Und nenn mich nicht immer Goldy!“

      Vollkommen leer und erschöpft ließ er sich mit Klamotten und Schuhen aufs Bett fallen und fand - wie immer keine Ruhe…

      Diese Müdigkeit… Wenn nur nicht immer diese dauernde Müdigkeit wäre… Alles war so unendlich anstrengend… Selbst ein einzelner Gedanke!!!

      Weil hinter jedem einzelnen Gedanken immer noch tausend andere standen... Er konnte sich nicht erinnern, dass es jemals anders gewesen sein könnte. Er musste immer alles genau sehen, genau hören, genau wahrnehmen. Die Situation genau analysieren, alle möglichen Folgen bedenken, dafür sorgen, dass alles in Ordnung war.

      Stets und ständig bemüht, Konflikte zu vermeiden, niemanden unnötig sein Gesicht verlieren zu lassen. Dabei reichte es niemals aus. Egal was er erreichte, egal was er bewirkte, egal wie viele Auszeichnungen, Ehrungen, persönliche Dankschreiben… Es reichte einfach nicht. Er reichte einfach nicht! Das war nicht das Hamsterrad, in dem sich die normalen Menschen abmühten, in dem Glauben dadurch ihren Arsch retten zu können.

      Das war sein ganz persönlicher Fahrstuhl, der nur nach unten fuhr. Nach unten – bis ins Herz der Hölle…

      Becky war dann manchmal so etwas wie ein Not-Stopp, um das Verglühen seines Hirns irgendwie noch ein bisschen hinauszuzögern.

      Er tauschte seinen Brioni-Anzug gegen Jeans und Kapuzenpulli, kaufte unterwegs eine weiße Rose und eine eisgekühlte Flasche Dom Pérignion und drückte pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt drei Mal kurz auf die Klingel mit dem in goldener Schreibschrift eingravierten Namen:

      Dr. Rebecca Richter

      Institut für Persönlichkeitsentwicklung

      Eine wohlgebaute Dame mittleren Alters mit flaschenglasgrünen Augen, einem naturrotblonden Bürstenhaarschnitt und – na, sagen wir… - in einer ArtKostüm“…, öffnete die Tür.Sie musterte ihn kurz mit etwas zusammengekniffenen Augen und raunte leise: „ Aahhh, böööser, böööser Goldy… Goldy sieht gaanz, gaanz schlecht aus. Das ist der Beweis, dass Goldy gaanz, gaanz böse ist…!

      Komm rein Goldy... Wir müssen uns eine gaanz, gaanz schöööne Strafe ausdenken…“

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