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Home Girl. Alex Wheatle
Читать онлайн.Название Home Girl
Год выпуска 0
isbn 9783956143731
Автор произведения Alex Wheatle
Издательство Bookwire
»Ungelogen«, erwiderte ich, »der kann schon ganz schön arschgesichtig sein. Macht voll auf Mann-im-Haus. Erinnert mich ein bisschen an Rafi. Rafi wollte mir auch Vorschriften machen. Aber ich hab keine Angst vor Tony und ich glaub auch nicht, dass er ein Fummler ist. Er ist schön unten geblieben, als ich geduscht hab. Und ich mag Sharyna und Pablo, kann mich um die beiden kümmern. Vielleicht fragen mich Tony und Colleen ja, ob ich babysitten will, wenn sie mal in den Urlaub wollen? Wo wohnen denn diese Hamiltons?«
»Spenge-on-Leaf«, erwiderte Louise. »In einem tollen Haus.«
»Spenge-on-Leaf«, wiederholte ich. »Das ist doch, wo die Reichen wohnen. Kim hat mir erzählt, sie ist mal mit einem von da zusammen gewesen. Sie dachte, er ist zwanzig …«
»Du sollst nicht immer alles glauben, was Kim dir erzählt«, sagte Louise.
»Willst du sagen, dass sie lügt?«
»Äh, nein … egal, die Hamiltons wohnen an einem Hang und haben eine wunderschöne Aussicht.«
»Eine wunderschöne Aussicht«, wiederholte ich. »Wenn ich eine schöne Aussicht will, guck ich mir Postkarten an.«
»Hmmm.«
»Du sollst nicht hmmm machen, wenn ich was sage«, sagte ich. »Im Heim war so ein Junge aus Swim Lanka. Schöne schwarze Haare hatte der. Früher hatte er in einem Haus am Strand gewohnt, aber so wie er’s erzählt hat, war’s wohl eher eine Hütte – zum Kacken musste er nach draußen. Still war der. Würdest du nicht glauben, was der für eine Scheiße hinter sich hatte. Die schöne Aussicht hat ihm nicht viel geholfen. Tatsächlich hat sie seiner kleinen Cousine sogar das Leben gekostet. Er hat mir ein Bild von ihr gezeigt – sie hatte …«
»Das ist was anderes.« Louise schnitt mir wieder das Wort ab.
»Diese Hamiltons …«, fragte ich. »Was sind die von Beruf?«
»Tim, Mr Hamilton, ist Architekt. Er hat Aufträge im ganzen Land und darüber hinaus. Seine Frau Susan arbeitet ehrenamtlich im Jugendzentrum in der South Smeckenham Road und hat viel Erfahrung im Umgang mit Kindern jeden Alters. Sie ist jetzt seit fast einem Jahr in der Kindernothilfe.«
»Was macht ein Architekt?«, fragte ich.
»Er entwirft Gebäude.«
»Er entwirft Gebäude? Dann sind die weiß, richtig? Ich hab noch nie gesehen, dass Schwarze Gebäude entwerfen – nicht mal im Fernsehen.«
»Äh, ja, die sind weiß. Die Goldings sind als Übergangslösung wunderbar, aber meinst du nicht, es wäre auf lange Sicht passender, wenn du bei deinesgleichen unterkommst?«
»Kommt drauf an, ob sie okay sind«, erwiderte ich. »Ein Architekt und eine aus der Jugendhilfe? Klingt nicht so cool.«
Louise bedachte mich mit einem ihrer echt-jetzt-Blicke.
»Also dann, Miss Brisset«, schmunzelte sie, »was wäre deiner Meinung nach denn cool?«
Ich dachte drüber nach. Die Kellnerin kam mit unserem Essen.
»Danke«, lächelte Louise.
Ich schnappte mir meine Cola und pumpte das halbe Glas ab, bevor ich antwortete. »Wieso kannst du mich nicht bei interessanten Leuten unterbringen?«, fragte ich. »Mir ist scheißegal, was die für eine Farbe haben. Grime DJs, Wrestler, Clowns, Schauspieler, Sänger, Dancehall Queens … oder bei der Frau, die neulich bei Big Brother so abgedreht ist. Die braucht jemanden, der sich um sie kümmert.«
»Du brauchst jemanden, der sich um dich kümmert, Naomi.«
»Das kann ich schon selbst!«, erwiderte ich mit erhobener Stimme.
Ich nahm meinen Pie in Angriff. »Hab ich das nicht schon gemacht, bevor ihr in mein Leben geplatzt seid, mir alle möglichen langweiligen Vorschriften diktiert und mich in sämtliche Postleitzahlenbezirke geschickt habt?«, fragte ich.
Kopfschüttelnd stocherte Louise in ihrem Salat.
Als Louise aufgegessen hatte, beugte sie sich zu mir vor und senkte die Stimme auf ein Flüstern. »Du weißt ja, was zu dieser Zeit im Jahr bevorsteht …«
»Natürlich. Der April. Ich hab ja noch alle Klöße im Gulasch, Louise. Darf ich noch eine Cola?«
»Nein, du hast genug gehabt. Wenn du so alt bist wie ich, hast du keine Zähne mehr.«
»Das ist ja wohl noch mindestens ein Jahrtausend hin.«
»Naomi! Versuch ausnahmsweise mal, kurz ernst zu bleiben. Du weißt, wovon ich rede.«
Ich dachte an Mum. Das Bad in unserer alten Wohnung platzte mir in den Erinnerungsschädel. Es war schrecklich. Ich wollte nicht über sie reden. Zog mich nur total runter.
»Es ist jetzt fast vier Jahre her«, sagte ich. »Kommt mir vor, als wär’s erst gestern passiert.«
Louise setzte ihren schönsten besorgten Sozialarbeiter-Blick auf.
»Möchtest du nicht was machen, um dich an sie zu erinnern?«
»Was soll ich denn machen?«. Wieder hob ich die Stimme. »Sie ist tot. Wir haben sie verbrannt. Ich kann keine Blumen an eine … wie nennt man das? Das Ding, das aussieht wie eine alte Kanne.«
»Eine Urne«, half mir Louise auf die Sprünge.
»Ich kann keine Blumen an eine Urne legen«, wiederholte ich. »Das ist einfach total verkehrt. Ich kann immer noch nicht glauben, dass Mums Asche da wirklich reinpasst. Ich meine, so wie meine Mum gebaut war, hätte sie bei Ashburtons Next Topmodel keine Chance gehabt.«
Louise legte sich die Hand auf den Mund, um sich das Schmunzeln zu verkneifen, aber ich hatte gar nicht witzig sein wollen.
»Ich werde nicht schlau aus dir, Louise«, sagte ich. »Hast du nicht immer gesagt, ich soll versuchen, zu vergessen, was mit meiner Mum passiert ist, und an die Zukunft denken? Jetzt erzählst du mir, ich muss mich an sie erinnern. Entscheide dich, verdammt noch mal! Ich krieg schon Kopfschmerzen davon!«
»Ich dachte nur, vielleicht willst du …«
»Nein, will ich nicht. Kannst du knicken. Ich will mich nicht an sie erinnern.«
So meine ich das gar nicht. Ich denke jeden Tag an sie. Aber weil ich sowieso rund um die Uhr an sie denke, muss ich auch ständig dran denken, wie sie gestorben ist. Alles war rot.
»Okay, ich verstehe, was du sagen willst«, sagte Louise. Sie streckte die Hand aus und drückte mir die Schulter. Sie hatte immer noch ihre »Sozialarbeiterin auf Fortbildungskurs«-Miene drauf. »Gibt dir Colleen Essen, das dir schmeckt?«, fragte sie.
»Ja, wir waren gestern einkaufen«, erwiderte ich. »Hab auch probiert, was die Schwarzen essen. Macht satt. Ich hatte so eine hartes Bananending und so was Kartoffeliges.«
»Hat man dir eine Alternative angeboten? Oder dich gefragt, was du möchtest?«
»Ja, Colleen ist spitze. Sie hat mir meine Cottage-Pies und Kartoffelpüree gekauft. Und Perlen für meine Haare. Sie hatte heute nur noch keine Zeit, sie reinzumachen.«
Wieder begutachtete Louise meine Frisur. »Ach was?«
»Das kann ich nicht einfach so lassen«, sagte ich. »Irgendwie muss das noch aufgeglamt werden. Die Perlen müssen auf jeden Fall noch rein, bevor ich wieder in die Einrichtung schiebe.«
»Ist das eine gute Idee?«, fragte Louise.
»Glaub mir, wenn Kim das sieht, will sie ne Wiederholung an sich selbst. Aber wer soll das machen? Die wohnt bei keinen Schwarzen, nur ich! Nats kann ihr vielleicht Zöpfchen machen. Nats würde alles für Kim machen.«
Louise schüttelte den Kopf. Sie trank von ihrem Wasser und sah mich streng an. »Also, Miss Brisset«, sagte sie. »Mr Holman. Hat er dich wirklich belästigt?«
Ich ließ mir Zeit mit der Antwort.