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Die Abgrenzung der Religion von Denken und Handeln bleibt somit auch im späteren Werk erhalten. Sie wird jedoch gedanklich vertieft. Religion ist der Eintritt des höheren Selbstbewusstseins in das niedere. Jenes wird als Bewusstsein schlechthinniger Abhängigkeit bezeichnet. Gemeint [70]ist damit eine Art SelbsterfassungSelbsterfassung des Menschen. Er wird sich seiner eigenen Endlichkeit inne und stellt dies dar, wobei die religiösen Darstellungsformen geschichtlich bedingt sind.

      In seiner DogmatikDogmatik ordnet SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst das Christentum in die Religionsgeschichte einUmformung der Prolegomena der Dogmatik. Es ist eine monotheistische Religion, die sich dadurch von anderen unterscheidet, dass alles in ihr durch die von Jesus von Nazareth vollbrachte ErlösungErlösung, Erlösungswerk bestimmt ist. Das christlich-religiöse Bewusstsein ist auf Jesus Christus bezogen. Die Aufgabe der Dogmatik ist es, die Bestimmtheit des christlichen Bewusstseins in der Rede darzustellen. Sie ist keine spekulative Wissenschaft, sie beschreibt Religion als eine Angelegenheit des Menschen. In der GlaubenslehreGlaubenslehre Schleiermachers ersetzt der ReligionsbegriffReligionsbegriff die Lehre von der Heiligen Schrift. Hatten die altprotestantischen Theologen in den Prolegomena ihrer Dogmatiken das SchriftprinzipSchriftprinzip als Erkenntnisquelle der dogmatischen Aussagen abgehandelt, so tritt nun die Religion an diese Funktionsstelle. Die Glaubenslehre beschreibt das durch Jesus Christus bestimmte religiöse Bewusstsein des Christen in seinem systematischen Zusammenhang. Schon SemlerSemler, Johann Salomo hatte die theologischen Lehrsysteme als geschichtlich bedingt und partikular eingestuft. Dem folgt Schleiermacher, indem er die Dogmatik den historischen Disziplinen der Theologie zuordnet. Die Glaubenslehre beschreibt die zu dem gegenwärtigen Zeitpunkt in der evangelischen KircheKircheevangelische geltende Lehre, die geschichtlich wandelbar ist.

      Im Zentrum der DogmatikDogmatik steht die Lehre von Jesus Christus, die ChristologieChristologieChristologie. Den Nazarener versteht SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst als Urbild des Glaubens. Bereits die Einleitung zur GlaubenslehreGlaubenslehre entwickelt die Grundzüge der Urbild-Christologie. Wenn die Religion in dem Eintritt des höheren SelbstbewusstseinsSelbstbewusstsein in das niedere besteht, so ist der Gedanke eines Höchstmaßes denkbar. Es besteht in der durchgängigen und dauerhaften Herrschaft des höheren über das niedere Selbstbewusstsein. Die materiale Durchführung der Christologie in der Glaubenslehre nimmt diese Strukturbeschreibung der Religion auf und überträgt sie auf Jesus Christus. Er ist das Urbild der FrömmigkeitFrömmigkeit. In dem IndividuumIndividuum Jesus von Nazareth ist es geschichtliche Wirklichkeit geworden. Mit seiner Urbild-Christologie und der Behauptung der Realisierung des Urbildes in Jesus hat Schleiermacher Glaube und GeschichteGlaube und Geschichte wieder zusammengeführt. Das seit der AufklärungAufklärung virulente Problem hat in seiner Christologie eine neue Lösung erfahren. Der Glaube [71]als Bestimmtsein durch Christus ist auf den geschichtlichen ErlöserErlöser bezogen. Er ist der Stifter eines neuen Gesamtlebens, das sich in der Geschichte in Gestalt der Kirche verwirklicht.

      Literatur

      Hermann Fischer: Friedrich Daniel Ernst SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, München 2001.

      Kurt Nowak:SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst. Leben, Werk und Wirkung, Göttingen 2001.

      Friedrich SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), hrsg. v. Günter Meckenstock, Berlin/New York 1999.

      Friedrich SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Der christliche Glaube. 2. Auflage (1830/31). Studienausgabe, 2 Bde., hrsg. v. Rolf Schäfer, Berlin/New York 2008.

      Arnulf von Scheliha: Friedrich SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen KircheKircheevangelische im Zusammenhange dargestellt, in: Christian Danz (Hrsg.): Kanon der Theologie. 45 Schlüsseltexte im Portrait, Darmstadt 32012, S. 245–254.

      Markus Schröder: Die kritische Identität des neuzeitlichen Christentums. SchleiermachersSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst Wesensbestimmung der christlichen ReligionReligionchristliche, Tübingen 1996.

      Aufgaben

      1 Informieren Sie sich in dem Beitrag von Arnulf von Scheliha über den Aufbau der GlaubenslehreGlaubenslehre von SchleiermacherSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst.

      2 Lesen Sie die Einleitung der zweiten Auflage der GlaubenslehreGlaubenslehreSchleiermachersSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, und versuchen Sie, seine Aussagen zur Religion in Thesen zusammenzufassen.

      3 Worin unterscheidet sich das Religionsverständnis SchleiermachersSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst von dem KantsKant, Immanuel? Benennen Sie wichtige Unterschiede in einem kurzen Essay.

      c. Die historische TheologieTheologiehistorische von Ferdinand Christian BaurBaur, Ferdinand Christian und David Friedrich StraußStrauß, David Friedrich

      SchleiermachersSchleiermacher, Friedrich Daniel Ernst Zusammenführung von Glaube und GeschichteGlaube und Geschichte in Jesus Christus ist nicht unwidersprochen geblieben. Die Tübinger Theologen Ferdinand Christian BaurFerdinand Christian Baur (1792–1860) und David Friedrich StraußStrauß, David Friedrich setzten seinem Programm einer VersöhnungVersöhnung, Versöhnungswerk von moderner Wissenschaft und christlichem Glauben das Projekt einer wissenschaftlichen Theologie entgegen. Auch sie knüpfen an die ErkenntniskritikErkenntniskritikKantsKant, Immanuel und deren Weiterführung in der klassischen Deutschen Philosophie an. Auf unterschiedliche Weise beziehen sich beide auf die Philosophien Friedrich Wilhelm Joseph SchellingsSchelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1775–1854) und Georg Wilhelm Fried[72]rich HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich. In seinem Frühwerk Symbolik und Mythologie, oder die Naturreligion des Altertums, dessen erster Band 1824 erschien, skizzierte BaurBaur das Programm einer wissenschaftlichen Theologie. Religion versteht er hier noch im Anschluss an Schleiermacher als eine Bestimmung des Bewusstseins. Theologie ist kritische GeschichtswissenschaftGeschichtswissenschaft, Geschichtsforschung, und ihr Gegenstand ist, wie es mit deutlicher Anspielung auf Schellings Philosophie um 1800 heißt, die Geschichte als Offenbarung Gottes. Eine solche Geschichtskonzeption ist nicht ohne Philosophie möglich. Dem Tübinger Theologen geht es darum, Theologie, Philosophie und Geschichte zu vermitteln. Die Geschichte ist der Ort, an dem sich die Idee realisiert. Allerdings hält Baur zugleich an der Differenz von Unendlichem und Endlichem, Natur und Geist fest. Eine Einheit von Urbild und Geschichte, wie sie Schleiermacher in seiner ChristologieChristologie behauptet hatte, kann es somit nicht geben.

      Baur unterscheidet damit wieder zwischen Glaube und GeschichteGlaube und Geschichte. Die Aufgabe einer wissenschaftlichen Theologie besteht in der vorurteilslosen Rekonstruktion der Quellen der christlichen ReligionReligionchristliche mit den Mitteln der GeschichtswissenschaftGeschichtswissenschaft, Geschichtsforschung. Die Schüler des Tübinger Theologen Eduard ZellerZeller, Eduard (1814–1908) und vor allem David Friedrich StraußDavid Friedrich StraußStrauß, David Friedrich haben an das Programm ihres Lehrers angeknüpft. Letzterer veröffentlichte im Jahre 1835 den ersten Band seines Leben[s] Jesu, kritisch bearbeitet. Das Buch löste ein Erdbeben in der theologischen Landschaft aus und beendete die akademische Karriere seines Verfassers. Strauß trennt strikt zwischen empirischer Geschichte und überzeitlicher WahrheitWahrheit der Religion. Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidung plädiert er für eine wissenschaftliche Theologie ohne Voraussetzungen. Die historische Kritikhistorische Kritik ist vorbehaltlos, und das meint, ohne theologische Rücksichten auf die neutestamentlichen Urkunden anzuwenden. Da der Tübinger Theologe jedoch Geschichte und Idee unterscheidet, bleibt die Wahrheit des Christentums von der Kritik der evangelischen Geschichte unberührt.

      Auf der Grundlage dieses Theorieprogramms hat StraußStrauß, David Friedrich die Geschichte Jesu, wie sie von den neutestamentlichen Autoren berichtet wird, einer kritischen Analyse unterworfen. Seine Bilanz fällt deutlich negativ aus. Den neutestamentlichen Evangelien liegen keine geschichtlichen Ereignisse zugrunde. Der chronologische Ablauf der Wirksamkeit Jesu ist in seinen Grundzügen vielmehr nach dem Vorbild des Alten Testaments gestaltet. Die [73]Vorstellung eines MessiasMessias wird von den frühen Gemeinden

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