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Unschuldiger 165-Pfünder

       Mit Messer in die Ohnmacht

       Der große Bruch

       Zusammen gerauft – zusammengerauft

       Eros und wachsende Grausamkeit

       Hans Franks letzter Diebstahl

       »Kopf hoch, Herz stark«

       Das Urteil

       Gefesselt hinter Glas

       Der düstere Witwentitel

       Von Deserteuren und Denunzianten

       Gnädige Vergebung vom Täter

       Benutzte Literatur

       Abbildungen

       ZELLE MIT TÜRGUCKERL

       Meine Zelle, in die mich unser Oberst Lagerkommandant persönlich mit einer kleinen Anrede führte, ist verhältnismäßig groß und licht. Bayrische Heimatluft dringt von dem Tag und Nacht von mir halboffen gehaltenen Oberlichtfenster herab ein in den durch eine kapellenartige Runddecke gehobenen Raum. Als ich gestern das erste Frühstück (Malzkaffee) durch das Türguckerl gereicht bekam, war ich geradezu frohgemut. Zur Heimatluft gab es endlich wieder einmal das schwarze Brot unseres Landes mit der unserem Geschmack eben entsprechenden landläufigen Wurst. Ich habe dieses erste Stück Brot gestern in tiefer Ergriffenheit als ersten Heimatgruß geküsst. Das Brot war der Bote Bayerns, meines Landes, meines urdeutschen Landes, und gut war sein Charakter. Sein Geschmack war etwas »kriegerisch«, aber essen es nicht all meine deutschen Landsleute in unserem zerfetzten Vaterland? Und ich war also auch um dessen Willen froh, da ich wieder im Nahrungsschicksal ihnen gleich bin.

      Da sitzt er also in Zelle Nr. 15: Hans Frank, nein: Dr. Hans Frank, Doktor der Jurisprudenz, vom Führer abgesetzter Reichsleiter, aber bis Kriegsende im (hohlen) Amt verbliebener Reichsminister ohne Portefeuille, und im blutigen des Generalgouverneurs von Polen. 45 Jahre ist er alt. Abgenommen hat er. Auch an Haupthaar. Seine linke Hand zittert, Folge seiner zwei Selbstmordversuche nach seiner Verhaftung im Mai 1945. Seine Zähne sind ohne Befund. Er wiegt bei einer Größe von 1,76 Meter 83,44 Kilogramm. Sein Body-Maß-Index ist mit 27,1 – wie die Berechnung im Internet zeigt – für sein Alter nicht ganz perfekt. Aber: Mit einer gesunden und ausgewogenen Ernährung und regelmäßiger Bewegung kann Vater sein Gewicht langfristig reduzieren.

      Schwierig für den Zelleneinsitzer.

      Neben dem BMI stimmt es seit seiner Verhaftung auch mit seinem Hirn nicht mehr so ganz. Denn der kauende Liebhaber bayerischen Brotes weiß nun, dass Wirklichkeit werden kann, was er eher spöttisch zwei Jahre zuvor seinem Jugendfreund prophezeite: »Du wirst Professor, und mich wird man hängen. »Vater unser muss um seinen Kopf kämpfen. Von Schlössern, Burgen, Villen und gepanzerten Mercedes-Karossen, den Gemälden wie Leonardo da Vincis »Dame mit dem Hermelin«, den zwei Rembrandts, Raphaels »Bildnis eines unbekannten Jünglings«, seiner penibel zusammengestellten Bavarica-Bibliothek ist nicht viel geblieben: Meine ganze mir verbliebene Habe geht in einem kleinen Karton unter, wo ich die mir von den Amerikanern gegebenen Wäschestücke verwahre. Aber welche Bedeutung kommt ihnen zu: Nicht nur in Bezug auf ihre mir zur Verfügung gehaltene Existenz überhaupt, vor allem ihren Zustand betreffend. Meine Hemdjacken, Taschentücher, Socken und Unterhosen immer wieder waschen und trocknen zu können, ist eine wirkliche Frage.

       Hans Frank nach seinem Selbstmordversuch, Mai 1945.

      Seit seiner Verhaftung am 4. Mai 1945, vier Tage vor dem offiziellen Kriegsende, hat er keine Verbindung mehr zu seiner Familie.

      Will er die überhaupt?

      Mit dieser verfluchten, raffinierten, ihm heillos überlegenen Ehefrau Brigitte, die ihm sein Liebesleben vergällte?

      Mit dieser eitlen, selbstgefälligen und urfaulen ältesten Tochter Sigrid?

       Brigitte 1946, unter dem Bild ihres Hans, gemalt 1939 von H. Barrenscheen.

      Mit diesem verdrucksten, miserabel desinteressiert Latein paukenden ältesten Sohn Norman?

      Mit dieser ihn anhimmelnden und ihm zu süßlich tuenden nächsten Tochter Gitti?

      Diesem mit einer fiesen Hasenscharte geborenen zweiten Sohn Michel und diesem ewig stumm dreinglotzenden Niki, dem jüngsten Knaben, der ihm noch im Februar einfach seine Lesebrille zerbrochen hat, ihn dabei blöde von unten her anstarrte, und von dem er nicht mal sicher ist, ob diese rothaarige Hässlichkeit überhaupt sein Sohn ist?

      Oder mit seiner eigenen Mutter, Tochter eines Münchener Kolonialwarenhändlers mit popeligem Tante-Emma-Laden? Die war erst wieder in seinem Leben aufgetaucht, als er Karriere gemacht hatte, um auf seinem Schloss Kressendorf oder auf seiner Burg in Krakau als Königsmutter zu posieren.

      Oder mit seiner ewig nervenkranken, grauslig anzusehenden Schwester Lilli! Was hatte er doch mit ihr für Scherereien gehabt! Und wie peinlich, als die sich zu Amon Göth in dessen KZ-Lager Plaszow fahren ließ, um von den todesnahen Juden noch Schmuck ergattern wollte, indem sie ihnen vorgaukelte: »Ich bin die Schwester des mächtigen Generalgouverneurs – vielleicht könnte ich Ihnen ja helfen?« Oder mit seinem Vater, diesem aus der Anwaltskammer geflogenen Rechtsanwalt und Heiratsschwindler, der ihm doch tatsächlich am 15. März 1942 brieflich für seine Gebisserneuerungskur um die Zusendung von 15 Gramm Gold anbettelt und mit Heil Hitler unterschreibt? Woher nehmen und nicht … ach richtig, Brigitte konnte ja wirklich eines ihrer tausend Schmuckstücke hergeben, die sich in Polen so sehr vermehrt und schon zu Gerede in Berlin geführt hatten.

      Oh Herr, was für eine Familie habe ich da um mich!

      Selbst die große Liebe seines Lebens, Elisabeth Karoline Sophie, genannt Lilly, in die er sich schon als Kind verknallt hatte, und die 1942 wieder aufgetaucht war, konnte er in den letzten Monaten seiner Freiheit nicht mehr in himmeljauchzender Gier küssen, beschlafen und mit ihr die gemeinsame Zukunft gegen Brigitte planen.

      Über drei Monate saß er mit den letzten Getreuen in seinem neuen Amtssitz in Neuhaus am Schliersee. »Haus Bergfrieden«, früher ein Café, war ihm zugewiesen worden. Was für ein lausiger Ersatz für seinen Dienstsitz, den Wawel, die Burg in Krakau!

      Doch jetzt sein allerlausigster Umzug: in eine Zelle des Gefängnistrakts im Nürnberger Justizpalast.

      Allein.

      Als ich monatelang dieses Buch vorbereitete, versetzte ich mich immer rückhaltloser in seine wachsende Klaustrophobie. Tag und Nacht wird er von einem amerikanischen Wachtposten durch die Türluke beobachtet. Ganz für sich allein ist

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