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Ein persönliches Gespräch mit seinem großen Vorbild war mehr, als er zu hoffen gewagt hatte.

      »Ich will den Klinikbetrieb auch von dieser Seite kennenlernen, weil ich der Meinung bin, dass es wichtig ist, die Abläufe und Problematiken zu kennen.«

      »Guter Ansatz. Sie haben also vor, später in einer Klinik zu arbeiten?«

      »Ja, das strebe ich an. Am liebsten in einer Spezialklinik wie dieser hier. Deshalb war ich auch so hartnäckig«, wiederholte er den Begriff, den der Arzt vorhin verwendet hatte.

      »Wie weit sind Sie schon mit dem Studium?«

      »Ich hoffe, in zwei Jahren fertig zu sein.«

      »Bewerben Sie sich zeitgerecht bei mir. Gute, engagierte Assistenzärzte kann ich immer gebrauchen.« Der Professor nickte ihm zu und wandte sich zum Gehen, doch an der Tür drehte er sich noch einmal um. »Hätten Sie Lust, an der täglichen Visite teilzunehmen?«

      Mario strahlte. »Selbstverständlich! Das wäre unheimlich interessant!«

      Doktor Willnauer lächelte über seinen Eifer. »Ich regle das mit Schwester Verena.«

      Als sich die Tür hinter ihm schloss, blieb Mario einen Moment regungslos stehen, dann fuhr er sich mit der Hand über das Gesicht. Der Professor war tatsächlich so wie sein Ruf: nicht nur eine fachliche Kapazität, sondern auch menschlich.

      Als er am Abend mit seinen Freunden darüber sprach, strahlte Sonja vor Stolz über das ganze Gesicht.

      »Das ist toll! Ja, so ist mein Papa!« Sie beugte sich vor und drückte spontan Marios Arm. »So ein Zufall, dass du dich ausgerechnet in der Klinik meines Vaters beworben hattest.« Ihre Hand auf seiner Haut löste ein Kribbeln aus, das auch nicht aufhörte, als sie sie längst wieder zurückgezogen hatte.

      »Vor allem, weil das ja schon lange war, bevor wir dich überhaupt kennengelernt hatten«, ergänzte Carolin, ihre beste Freundin und Mitbewohnerin. Sie war vor drei Monaten in die Wohnung neben Mario und Oliver eingezogen, Sonja kurze Zeit später.

      »Ich bewundere ihn sehr«, gab Mario zu. »Seine Fachartikel und Publikationen habe ich alle verschlungen.«

      »Ja, er ist sehr angesehen. Deshalb gibt es lange Wartelisten für die Patientinnen. Er überlegt schon eine Weile, die Klinik um einen Anbau zu erweitern, aber ...« Sie schlug die Hand vor den Mund. »Ups, das hätte ich gar nicht ausplaudern dürfen. Vergesst das ganz schnell wieder, okay?« Hektisch strich sie über das Fell der dreifarbigen Katze, die zusammengerollt auf ihrem Schoss schlief. Kitty streckte sich und drehte sich auf den Rücken, um sich den Bauch kraulen zu lassen. Ihr Bruder Tiger sprang vom Sofa und setzte sich vor Sonja hin. »Du kannst doch nicht schon wieder hungrig sein?«

      »Das ist bei ihm ein Dauerzustand«, lachte Oliver.

      »Aber er sieht auch schon deutlich rundlicher aus als vor zwei Wochen, als wir ihn aus dem Tierheim holten«, lobte Carolin den kleinen Kater. »Komm, du Süßer, ich geb dir etwas in deinen Napf, damit du bald groß und stark wirst!«

      Als sie sich wieder zu ihren Freunden gesetzt hatte, fragte Mario: »Wie geht es dir? Bist du noch immer so erledigt?«

      Sie schüttelte den Kopf. »Nein, langsam gewöhne ich mich daran. Ich nutze die Mittagspause jetzt bewusst zum Entspannen, und bin dann auch noch bei den letzten Patienten des Tages fit.« Bis vor Kurzem hatte sie nur halbtags als Assistentin eines Tierarztes gearbeitet. Obwohl sie ihren Job liebte, war ihr die Umstellung anfangs schwergefallen, nach einer zweistündigen Pause auch noch am Nachmittag in der Praxis zu stehen.

      »Für mich ist es ungewohnt, nach der Arbeit in eine leere Wohnung zu kommen«, merkte Sonja an.

      »Vor allem, weil niemand da ist, der dich bekocht, nehme ich an«, neckte Carolin. Ihre Freundin widersprach nicht.

      »Ja, das auch. Jetzt wird mir erst bewusst, wie sehr ich verwöhnt wurde. Aber ich bin ja bereits dabei, das zu ändern.« Sie griff hinter sich auf das Board. »Seht mal. Meine neue Bibel.«

      »Lecker und schnell. Kochen für Anfänger«, las Oliver den Titel laut vor. »Das klingt gut. Schon etwas ausprobiert?«

      »Ja, einiges. Die Pasta mit Thunfisch und Gemüse war echt lecker, oder?«, wandte sie sich Beifall heischend an Carolin.

      »Sag jetzt ja nichts Falsches«, warnte Mario sie zwinkernd.

      »Es war wirklich gut, da brauche ich gar nichts zu beschönigen. Und außerdem sehr angenehm, mich nach einem langen Tag nur noch an den Tisch zu setzen.« Sie lächelte ihrer Freundin zu. »Du bist eine tolle Mitbewohnerin!«

      »Du könntest es dir doch mal ausleihen«, schlug Mario seinem Freund vor, der interessiert in dem Kochbuch blätterte. »Ich hätte auch nichts dagegen, wenn du mal den Küchendienst übernehmen würdest.«

      »Oh, echt?«, fragte Oliver überrascht zurück. »Du hast noch nie was gesagt. Oder doch, und ich habe es ignoriert?«

      »Du bist bisher allem, was nur irgendwie mit dem Kochen zu tun hat, so vehement ausgewichen, dass ich es mir verkniffen habe. Ich koche ja gerne, aber gerade jetzt, wenn ich in der Klinik den ganzen Tag auf den Beinen bin, wäre es schon fein, wenn du das mal übernehmen würdest.«

      Die beiden Frauen verfolgten das Gespräch amüsiert. »Ihr klingt wie ein altes Ehepaar.« Sonja grinste.

      »Immerhin leben wir schon seit fünf Jahren gemeinsam hier und es passt gut. Wir haben Arbeitsteilung. Ich putze, er kocht«, meinte Oliver zufrieden. »Wir sind ja ohnehin fast jeden Abend zu Hause.«

      »Das kenne ich von meinem Bruder ganz anders«, stellte Sonja fest, der schon aufgefallen war, dass Mario das Studium sehr viel ernster nahm. Fast immer hatte er ein Fachbuch in Reichweite.

      »Ich will so schnell wie möglich fertig werden. Es dauert mir ohnehin schon fast zu lange.«

      »Obwohl du wahnsinnig fleißig bist und fast jede Prüfung beim ersten Mal schaffst«, stellte Oliver anerkennend fest. »Das muss dir erst einmal jemand nachmachen!«

      Spontan legte Sonja ihre Hand auf seine Schulter und drückte sie leicht. »Ich finde es toll, dass du so ehrgeizig bist! Ich konnte mich gleich gar nicht aufraffen, zur Uni zu gehen, und Tom hängt schon ewig in seinem Maschinenbau-Studium herum und es ist kein Ende in Sicht. Papa wird langsam ungeduldig.«

      Mario konnte ihren Worten beinahe nicht folgen, so sehr lenkten ihn die Gefühle ab, die ihre Hand bei ihm hervorrief. Seine Konzentration wanderte zu den wenigen Quadratzentimetern, wo ihre Wärme durch sein Shirt drang, und beinahe hätte er vor Wohlgefühl die Augen geschlossen. Dann fing er sich wieder und beugte sich nach vorne, um nach seinem Glas zu greifen. Dabei verloren sie den Kontakt und gleichzeitig fand er auch seinen Verstand wieder. Er richtete die Aufmerksamkeit darauf, wie der fruchtige Rotwein durch seine Kehle rann. ›Nur nichts anmerken lassen‹, hämmerte es in seinem Kopf, während sich auch eine gewisse untere Körperregion langsam wieder entspannte, die sich spontan mit Blut gefüllt hatte. Obwohl es ihm beinahe Angst machte, wie heftig er auf ihre Nähe reagierte, konnte er sich nicht dazu überwinden, mehr Distanz zwischen sich und Sonja zu bringen. Wenigstens diese von ihrer Seite ganz unbefangenen Kontakte durfte er heimlich genießen, auch wenn es ein bittersüßes Gefühl war, das schon an Masochismus grenzte. Was half es, von einer Frau zu träumen, die unerreichbar war? Mario zwang sich dazu, wieder dem Gespräch der anderen zu folgen, das sich mittlerweile um Carolins Auto drehte. Der alte Kombi machte beim Bremsen seltsame Geräusche und Oliver bestand darauf, damit in die Werkstatt seines Vaters zu fahren.

      »Es wäre leichtsinnig, damit zu warten. Bis du wieder Geld auf dem Konto hast, ist vielleicht noch mehr kaputt oder du hast sogar einen Unfall. Ich strecke dir das Geld für Ersatzteile vor, wenn du welche brauchst. Papa soll sich den Wagen ansehen, damit ich wieder ruhig schlafen kann.«

      Obwohl es ihr unangenehm war, von Oliver Geld anzunehmen, sah Carolin doch ein, dass er recht hatte. »Okay, danke. Soll ich mitkommen, oder willst du lieber allein fahren?«

      »Du kannst gerne dabei sein. Papa freut sich, dich

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