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wurden zum Gegenstand eigener Fachbereiche. Visitenkarten mit der Aufschrift »Universalgelehrter« verschwanden aus den Brieftaschen der Wissenschaftler und wurden durch bescheidenere Klassifizierungen wie »Altorientalist«, »Ägyptologe« oder »Althistoriker« ersetzt.

      Und so ist heute »die Antike« im klassischen Sinn wieder überwiegend die Zeit der Griechen und der Römer – auch wenn in den historischen Wissenschaften von einer isolierten Betrachtung der einzelnen Kulturen zum Glück keine Rede sein kann und man sich gerne zu den Nachbardisziplinen hin öffnet. Nur kommt es auf eine sinnvolle Arbeitsteilung an. Wenn also primär Griechen und Römer die »Antike« konstituieren, so ist damit auch der geographische Rahmen vorgegeben. »Antike« ist dort, wo Griechen und Römer waren. Und da Griechen und Römer nicht nur in Griechenland und in Italien waren, ist der Raum ziemlich groß. Die Griechen hatten einen ausgeprägten Wandertrieb, besiedelten die Küsten Kleinasiens, Siziliens, Süditaliens, Südfrankreichs und sogar Spaniens. Die Römer wiederum hatten einen regen Eroberungstrieb, herrschten zu ihrer besten Zeit über ein Imperium, das sich von Spanien bis nach Syrien, von Nordafrika bis zu den Britischen Inseln erstreckte. Dazwischen gab es einen Alexander den Großen, der von Makedonien aus den gesamten Orient bis nach Indien unterwarf. Sich mit der Antike zu befassen heißt daher, in der Welt weit herumzukommen.

      Beschränkt man die Antike auf Griechen und Römer, so ergibt sich der zeitliche Rahmen aus dem Beginn der Griechischen und dem Ende der Römischen Geschichte.

      Am Anfang der Griechischen Geschichte steht die Insel Kreta. Hier etablierte sich in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. die »Minoische Kultur«, benannt nach dem sagenhaften König Minos. Die Minoer beherrschten das östliche Mittelmeer und bauten zu Hause opulente Paläste wie in Knossos oder Phaistos, die heute Ströme von Touristen anlocken. Die Kreter verfügten über eine Schrift, die man in der Wissenschaft »Linear A« nennt. Diese Bezeichnung legt den dringenden und zutreffenden Verdacht nahe, dass es auch eine Schrift namens »Linear B« gegeben hat. Diese wurde von den Mykenern benutzt, wie man – nach der Burg Mykene auf der nördlichen Peloponnes – jene kriegerische Kultur nennt, deren Glanzzeit zwischen 1400 und 1150 v. Chr. lag und die Homer in seinen Epen beschrieben hat – allerdings nicht in Linear B. »Homer«, wenn es denn überhaupt einen Dichter diesen Namens gegeben hat, benutzte die Buchstabenschrift, die die Griechen im frühen 8. Jh. v. Chr. von dem im heutigen Libanon beheimateten Handelsvolk der Phönizier übernommen und durch die Hinzufügung von Vokalen komplettiert hatten.

      Am Ende der Römischen Geschichte – und damit der Antike – steht das Ende Roms. Wäre die Sache so einfach, müssten sich die Gelehrten bis heute nicht darüber streiten, wo sie denn einen Schlussstrich hinter die Antike ziehen sollen. Aber geklärt werden muss die Frage, denn schließlich wollen auch die Mittelalter-Historiker wissen, wann die Antike endlich zu Ende ist und sie mit ihrer Geschichte beginnen dürfen. Nun ist es ohne Zweifel richtig, dass es das Römische Weltreich heute nicht mehr gibt, obwohl die Römer selbst auf dem Höhepunkt ihrer Macht der Meinung gewesen waren, ihr Imperium habe ein unbegrenztes Haltbarkeitsdatum – ein Irrtum, der auch aus späteren Epochen der Geschichte nicht ganz unbekannt ist.

      Favoritenstatus genießt bei der Suche nach passenden Zäsuren das Jahr 476 n. Chr. Damals wurde, im Strudel der großen germanischen Völkerwanderung und weiterer Krisen, der letzte weströmische Kaiser mit dem beziehungsreichen Namen Romulus Augustulus abgesetzt. Bis zu Karl dem Großen – und das waren immerhin 324 Jahre – gab es danach im Westen keinen Kaiser mehr. Im Osten aber konnte sich das Oströmische Reich, das man auch das Reich von Byzanz nennt, deutlich länger behaupten. Der letzte in Konstantinopel residierende Kaiser verließ erst 1453 den Palast am Bosporus, als es den Türken unter dem osmanischen Sultan Mehmed II. gelang, das heutige Istanbul zu stürmen. Bis 1453 kann man jedoch die Antike unmöglich dauern lassen, jedenfalls nicht überall. Denn im Westen war zu dieser Zeit sogar das Mittelalter schon fast vorüber. Also empfiehlt sich eine getrennte Betrachtung, ausgehend von dem Epochenjahr 395, als nach dem Tod des Kaisers Theodosius I. das Römische Reich in ein Westreich und ein Ostreich geteilt wurde, mit der Demarkationslinie auf dem Balkan.

      Im Angebot finden sich noch weitere Daten-Kandidaten für das Ende der Antike:

      Zum Beispiel das Jahr 312: Da besiegte der römische Kaiser Konstantin der Große in der »Schlacht an der Milvischen Brücke« seinen innenpolitischen Kontrahenten Maxentius, führte den Erfolg, jedenfalls nach christlicher Überlieferung, auf die Hilfe des Christengottes zurück und gab sich seitdem als großzügiger Förderer dieser Religion, deren Anhänger zuvor noch systematisch verfolgt worden waren. Aus dem römischen Rom wurde daraufhin – nicht sofort, aber dafür umso nachhaltiger – das christliche Rom. Zugleich war dies eine (wenn auch nicht die einzige) wichtige Weichenstellung für den Siegeszug der späteren Weltreligion.

      Oder das Jahr 565: Da starb der oströmische Kaiser Justinian, der den zunächst erfolgreichen, auf lange Sicht aber gescheiterten Versuch unternahm, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und das ehemalige Weströmische Reich, wo mit den germanischen Nachfolgestaaten eigentlich schon das Mittelalter begonnen hatte, zurückzugewinnen und zusammen mit Ostrom zu einem christlichen Universalreich zu formen.

      Historiker mit Sinn für Bildung werfen noch ein weiteres Datum in die Debatte. Sie sagen: Die Antike hörte 529 auf. Damals wurde, auf Anordnung Justinians, die berühmte Akademie in Athen, die einst von Platon gegründete Philosophen-Schule, geschlossen. Für freies Denken war im theokratischen Staat des christlichen Kaisers kein Platz. Jetzt wurde nicht mehr gedacht, sondern nur noch geglaubt. Diesen Vorgang halten nicht wenige Wissenschaftler, angesichts der vielen klugen Köpfe, die dort im Laufe der Zeit gelehrt hatten, für so gravierend, dass sie der nachfolgenden Zeit nicht mehr das Gütesiegel »Antike« anzuheften bereit sind.

      Die 10 originellsten Gründe, die für den Niedergang der römischen Zivilisation angeführt wurden

      1 Gicht

      2 Bleivergiftung

      3 Homosexualität

      4 Prostitution

      5 Regenmangel

      6 Kinderlosigkeit

      7 Staatsverdrossenheit

      8 Umweltzerstörung

      9 Überalterung

      10 Schlemmerei

      Man kann noch viele weitere Daten nennen. Doch geht der aktuelle Trend in der Forschung mit guten Gründen eher dahin, nicht nach einem festen Termin, nach einem bestimmten Ereignis zu suchen, wenn es darum geht, die Antike zu verabschieden und das Mittelalter zu begrüßen. Die Absetzung eines Kaisers oder die Schließung einer Bildungsinstitution sind zwar sichtbare und markante Zäsuren. Sie beseitigen aber nicht längerfristige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen.

      Daher geht man von einem fließenden Übergang aus, der sich an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten vollzog. Und man spricht auch nicht mehr vom »Untergang Roms«, sondern präziser von der »Transformation des Römischen Reiches«. Tatsächlich lässt sich die früher gern gepflegte Vorstellung nicht mehr aufrechterhalten, die Germanen seien wie Heuschreckenschwärme über das Römische Reich hinweggefegt und hätten alles kurz und klein geschlagen. Der Übergang von der Herrschaft der Römer zur Herrschaft der Germanen vollzog sich, wie entbehrungsreiche, gleichwohl verdienstvolle Forschungen gezeigt haben, in vielen Bereichen in eher ruhigen Bahnen. Schließlich blieben Imperium Romanum und römisches Kaisertum auch für die mittelalterlichen Herrscher vorbildhaft, wie das Beispiel Karls des Großen zeigt. Und nicht umsonst gab es bis 1806 in Mitteleuropa ein Deutsches Reich, dass sich offiziell »Heiliges Römisches Reich« (mit dem Zusatz »deutscher Nation«) nannte.

      Die Dinge müssen also differenziert betrachtet werden. Aber man hat natürlich auch gern Klarheit. Bei aller methodischen Behutsamkeit besteht auch ein Bedürfnis nach deutlichen Ansagen. Außerdem wollen sich Althistoriker und Mittelalterhistoriker nicht ständig über ihre Zuständigkeitsbereiche streiten müssen. So hat sich in der Geschichtswissenschaft als Konsens die Auffassung etabliert, die Antike bis etwa 500/550 dauern zu lassen. Jedenfalls im Westen. Denn im Osten gab es das beharrliche Byzantinische Reich, das bis 1453, wenn auch unter anderen Vorzeichen,

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