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und vorsichtig sind, viel dabei lernen.

      [58]Aus Kunst und Alterthum.

      Sechsten Bandes erstes Heft.

      1827.

      382. Das Erste und Letzte, was vom Genie gefordert wird, ist Wahrheitsliebe.

      383. Wer gegen sich selbst und andere wahr ist und bleibt, besitzt die schönste Eigenschaft der größten Talente.

      (Brocardicon.)

      384. Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen; darum scheint es eine Thorheit, sie wieder durch Worte vermitteln zu wollen. Doch indem wir uns darin bemühen, findet sich für den Verstand so mancher Gewinn, der dem ausübenden Vermögen auch wieder zu Gute kommt.

      (Verhältniß, Neigung, Liebe, Leidenschaft, Gewohnheit.)

      385. Die Liebe, deren Gewalt die Jugend empfindet, ziemt nicht dem Alten, so wie alles, was Productivität voraussetzt. Daß dies sich mit den Jahren erhält, ist ein seltner Fall.

      386. Alle Ganz- und Halbpoeten machen uns mit der Liebe dergestalt bekannt, daß sie müßte trivial geworden sein, wenn sie sich nicht naturgemäß in voller Kraft und Glanz immer wieder erneute.

      387. Der Mensch, abgesehen von der Herrschaft, in [59]welcher die Passion ihn fesselt, ist noch von manchen nothwendigen Verhältnissen gebunden. Wer diese nicht kennt oder in Liebe umwandeln will, der muß unglücklich werden.

      388. Alle Liebe bezieht sich auf Gegenwart; was mir in der Gegenwart angenehm ist, sich abwesend mir immer darstellt, den Wunsch des erneuerten Gegenwärtigseins immerfort erregt, bei Erfüllung dieses Wunsches von einem lebhaften Entzücken, bei Fortsetzung dieses Glücks von einer immer gleichen Anmuth begleitet wird, das eigentlich lieben wir, und hieraus folgt, daß wir alles lieben können, was zu unserer Gegenwart gelangen kann; ja um das Letzte auszusprechen: die Liebe des Göttlichen strebt immer darnach, sich das Höchste zu vergegenwärtigen.

      389. Ganz nahe daran steht die Neigung, aus der nicht selten Liebe sich entwickelt. Sie bezieht sich auf ein reines Verhältniß, das in allem der Liebe gleicht, nur nicht in der nothwendigen Forderung einer fortgesetzten Gegenwart.

      390. Diese Neigung kann nach vielen Seiten gerichtet sein, sich auf manche Personen und Gegenstände beziehen, und sie ist es eigentlich, die den Menschen, wenn er sie sich zu erhalten weiß, in einer schönen Folge glücklich macht. Es ist einer eignen Betrachtung werth, daß die Gewohnheit sich vollkommen an die Stelle der Liebesleidenschaft setzen kann: sie fordert nicht sowohl eine anmuthige als bequeme Gegenwart; alsdann aber ist sie unüberwindlich. Es gehört viel dazu, ein gewohntes Verhältniß aufzuheben; es besteht gegen alles Widerwärtige; Mißvergnügen, Unwillen, Zorn vermögen nichts gegen dasselbe; ja es überdauert die Verachtung, den Haß. Ich [60]weiß nicht, ob es einem Romanschreiber geglückt ist, dergleichen vollkommen darzustellen, auch müßte er es nur beiläufig, episodisch unternehmen; denn er würde immer bei einer genauen Entwicklung mit manchen Unwahrscheinlichkeiten zu kämpfen haben.

      [61]Aus den Heften zur Morphologie.

      Ersten Bandes viertes Heft.

      1822.

      391. Das Höchste, was wir von Gott und der Natur erhalten haben, ist das Leben, die rotirende Bewegung der Monas um sich selbst, welche weder Rast noch Ruhe kennt; der Trieb, das Leben zu hegen und zu pflegen, ist einem jeden unverwüstlich eingeboren, die Eigenthümlichkeit desselben jedoch bleibt uns und andern ein Geheimniß.

      392. Die zweite Gunst der von oben wirkenden Wesen ist das Erlebte, das Gewahrwerden, das Eingreifen der lebendig-beweglichen Monas in die Umgebungen der Außenwelt, wodurch sie sich erst selbst als innerlich Gränzenloses, als äußerlich Begränztes gewahr wird. Über dieses Erlebte können wir, obgleich Anlage, Aufmerksamkeit und Glück dazu gehört, in uns selbst klar werden; andern bleibt aber auch dieß immer ein Geheimniß.

      393. Als Drittes entwickelt sich nun dasjenige, was wir als Handlung und That, als Wort und Schrift gegen die Außenwelt richten; dieses gehört derselben mehr an als uns selbst, so wie sie sich darüber auch eher verständigen kann, als wir es selbst vermögen; jedoch fühlt sie, daß sie, um recht klar darüber zu werden, auch von unserm Erlebten soviel als möglich zu erfahren habe. Weßhalb man auch auf Jugendanfänge, Stufen der Bildung, Lebenseinzelnheiten, Anekdoten und dergleichen höchst begierig ist.

      394. Dieser Wirkung nach außen folgt unmittelbar eine [62]Rückwirkung, es sei nun, daß Liebe uns zu fördern suche oder Haß uns zu hindern wisse. Dieser Conflict bleibt sich im Leben ziemlich gleich, indem ja der Mensch sich gleich bleibt und eben so alles dasjenige, was Zuneigung oder Abneigung an seiner Art zu sein empfinden muß.

      395. Was Freunde mit und für uns thun, ist auch ein Erlebtes; denn es stärkt und fördert unsere Persönlichkeit. Was Feinde gegen uns unternehmen, erleben wir nicht, wir erfahren’s nur, lehnen’s ab und schützen uns dagegen wie gegen Frost, Sturm, Regen und Schlossenwetter oder sonst äußere Übel, die zu erwarten sind.

      396. Man mag nicht mit jedem leben, und so kann man auch nicht für jeden leben; wer das recht einsieht, wird seine Freunde höchlich zu schätzen wissen, seine Feinde nicht hassen noch verfolgen; vielmehr erlangt der Mensch nicht leicht einen größeren Vortheil, als wenn er die Vorzüge seiner Widersacher gewahr werden kann: dieß gibt ihm ein entschiedenes Übergewicht über sie.

      397. Gehen wir in die Geschichte zurück, so finden wir überall Persönlichkeiten, mit denen wir uns vertrügen, andere, mit denen wir uns gewiß in Widerstreit befänden.

      398. Das Wichtigste bleibt jedoch das Gleichzeitige, weil es sich in uns am reinsten abspiegelt, wir uns in ihm.

      399. Cato ward in seinem Alter gerichtlich angeklagt, da er denn in seiner Vertheidigungsrede hauptsächlich hervorhob, man könne sich vor niemand vertheidigen als vor denen, mit denen man gelebt habe. Und er hat vollkommen Recht: wie will eine Jury aus Prämissen urtheilen, die ihr ganz abgehen? wie will sie sich über Motive berathen, die schon längst hinter ihr liegen?

      400. Das Erlebte weiß jeder zu schätzen, am meisten der [63]Denkende und Nachsinnende im Alter; er fühlt mit Zuversicht und Behaglichkeit, daß ihm das niemand rauben kann.

      401. So ruhen meine Naturstudien auf der reinen Basis des Erlebten; wer kann mir nehmen, daß ich 1749 geboren bin, daß ich (um vieles zu überspringen) mich aus Erxlebens Naturlehre erster Ausgabe treulich unterrichtet, daß ich den Zuwachs der übrigen Editionen, die sich durch Lichtenbergs Aufmerksamkeit gränzenlos anhäuften, nicht etwa im Druck zuerst gesehen, sondern jede neue Entdeckung im Fortschreiten sogleich vernommen und erfahren; daß ich, Schritt für Schritt folgend, die großen Entdeckungen der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag wie einen Wunderstern nach dem andern vor mir aufgehen sehe? Wer kann mir die heimliche Freude nehmen, wenn ich mir bewußt bin, durch fortwährendes aufmerksames Bestreben mancher großen weltüberraschenden Entdeckung selbst so nahe gekommen zu sein, daß ihre Erscheinung gleichsam aus meinem eignen Innern hervorbrach und ich nun die wenigen Schritte klar vor mir liegen sah, welche zu wagen ich in düsterer Forschung versäumt hatte?

      402. Wer die Entdeckung der Luftballone mit erlebt hat, wird ein Zeugniß geben, welche Weltbewegung daraus entstand, welcher Antheil die Luftschiffer begleitete, welche Sehnsucht in soviel tausend Gemüthern hervordrang, an solchen längst vorausgesetzten, vorausgesagten, immer geglaubten und immer unglaublichen, gefahrvollen Wanderungen theilzunehmen, wie frisch und umständlich jeder einzelne glückliche Versuch die Zeitungen füllte, zu Tagesheften und Kupfern Anlaß gab, welchen zarten [64]Antheil man an den unglücklichen Opfern solcher Versuche genommen. Dieß ist unmöglich selbst in der Erinnerung wieder herzustellen, so wenig, als wie lebhaft man sich für einen vor dreißig Jahren ausgebrochenen, höchst bedeutenden Krieg interessirte.

      403. Die schönste Metempsychose ist die, wenn wir uns im andern wieder auftreten sehn.

      404. Professor Zaupers Deutsche Poetik aus Goethe, so wie der Nachtrag zu derselben, Wien 1822, darf dem Dichter wohl einen angenehmen Eindruck machen; es ist ihm, als wenn er an Spiegeln vorbeiginge und

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