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uns noch alle in die Luft«). Die deutsche Rechnung lautet schnell: Türken = Muslime = Islamisten = Gefahr für Deutschland. Darüber hinaus werden sie für ungebildet und rückständig gehalten. Aber woher kommen diese Vorurteile?

      Wir vergessen gerne, dass es Menschen aus der Arbeiterschicht waren, die beim Anwerbeabkommen in den Sechziger- und Siebzigerjahren nach Deutschland geholt wurden. Damals sind Türken und Italiener nicht von allein gekommen, die Deutschen wollten sie haben. Die hiesige Wirtschaft boomte, und es gab nicht genug Deutsche, die in den Fabriken arbeiten konnten oder wollten. Also holte man Türken und Italiener hierher. Angefordert wurden aber nicht die Studierten, sondern jene, die für wenig Geld viel wegschaffen konnten. Wichtigstes Kriterium war dabei, dass die sogenannten »Gastarbeiter« (überwiegend männlich) gesund und kräftig waren. Dass sie bereits eine Ausbildung hatten, war ausdrücklich nicht erwünscht, sodass einige Türken auf der Istanbuler Verbindungsstelle lieber verschwiegen, wenn sie doch eine Ausbildung hatten. Die meisten waren tatsächlich aber nicht besonders gebildet. Die Deutschen wollten damals billige Arbeitskräfte, die keine Fragen stellen, und heute werden als Migranten gut ausgebildete Menschen erwartet, die sich in die Gesellschaft einfügen, als wären sie schon immer Deutsche gewesen. Das lässt sich nur schwer damit rechtfertigen, dass die Gastarbeiter nach ein paar Jahren, wenn sie Deutschland genug zu Reichtum verholfen hatten, wieder nach Hause zurückkehren sollten. Die Hälfte von ihnen ging tatsächlich zurück, die andere Hälfte blieb – aber nicht nur, weil sie das unbedingt wollten, sondern auch, weil ihre Arbeitskraft weiter benötigt wurde. So etwas wie Integrationskonzepte gab es trotzdem weiterhin nicht. Integration musste also quasi von selbst laufen; die Ungebildeten mussten sich vielerorts allein um Bildung und Anschluss bemühen.

      Eine der größten Schwierigkeiten bei der Integration war für Türkischstämmige mit Sicherheit die deutsche Sprache. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Türkisch ist so schwer! Deutsch und Türkisch sind vom Aufbau der Sprachen sehr unterschiedlich. Das ist wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum du möglicherweise nicht besonders viele Wörter auf Türkisch kennst. Wie viele »Deutsche« gehen in eine italienische Pizzeria und begrüßen mit einem »Ciao« oder »Buon Giorno« und bedanken sich mit einem »Grazie«? Und selbst wenn sie das nicht tun, wüssten sie vermutlich wenigstens, wie das geht. Aber obwohl Türkischstämmige mit Abstand den größten Anteil der Migranten in Deutschland darstellen und obwohl viele von uns zumindest hin und wieder einen Döner essen, wissen die meisten nicht, was guten Tag (iyi günler) oder danke (teşekkürler) heißt. Das liegt zumindest zum Teil sicher auch daran, dass die türkische Sprache für uns einfach nicht eingängig ist. Versuche mal, dir zu ergründen, was yakışıklı (gutaussehend) oder çilek (Erdbeere) heißt. Da kommt man ohne Wörterbuch nicht weit. Im Englischen, Französischen, Italienischen oder Spanischen können wir uns viele Wörter irgendwie herleiten, im Türkischen geht das nur selten.

      Umgekehrt geht es vielen Türken, die versuchen, Deutsch zu lernen. Im Türkischen werden alle möglichen Wörter, Fälle oder Pronomen nicht etwa als eigenes Wort in einen Satz gebaut, sondern als Endung an ein Wort drangehängt. So kann es zum Beispiel sein, dass ein deutscher Satz plus Nebensatz im Türkischen nur durch ein einziges Wort ausgedrückt wird. Das längste Wort der Welt ist übrigens ein Türkisches – es hat 75 Zeichen:

      Muvaffakiyetsizleştiricileştiriveremeyebileceklerimizdenmişsinizcesinesiniz.

      Übersetzt heißt das so viel wie: »Sie scheinen einer dieser Menschen zu sein, die wir nicht in jemanden verwandeln können, der jemanden erfolglos macht« – was auch immer das im übertragenen Sinne heißen mag; der Satz stammt aus einer fiktiven Geschichte. Weil man sich türkische Sätze eher zusammenpuzzelt als einfach Vokabeln zu lernen, kam es mir immer so vor, als würde ich Mathe anstatt einer Sprache lernen. Für Türken wiederum ist es schwer, dass sie sich viel mehr Begriffe merken müssen. Während die türkische Sprache über 150 000 Wörter verfügt, gibt es in der deutschen über 500 000. Hinzu kommt, dass Türken Wörter lernen müssen für Dinge, die es in ihrer Sprache überhaupt nicht gibt. Kein Wunder, dass sie Probleme haben, den richtigen Artikel zu benutzen, wenn es im Türkischen gar keine Artikel gibt und auch Verben deutlich sparsamer verwendet werden. »Die Mutter ist krank« heißt »Anne hasta«. Punkt. Vor dem Hintergrund muss ich sagen, dass ich schon gleich viel mehr Respekt vor den Türken habe, die überhaupt Deutsch können.

      Was passieren kann, wenn man die deutsche Sprache nicht richtig lernt, möchte ich dir anhand der Geschichte von Mehmet erzählen. Ich habe ihn während meiner Arbeit in einem Internationalen Begegnungszentrum kennengelernt. Mehmet war das, was ich als »Checker-Typ« bezeichnen würde. So »Ey jo, voll cool drauf und so«. Netter Typ, etwas zu lässig, aber im Herzen eine gute Seele. Seine Rechtschreibung und auch der korrekte deutsche Sprachgebrauch ließen ehrlich gesagt sehr zu wünschen übrig, was ihm in seinem Studium der Sozialen Arbeit manches Mal im Weg stand. Dass er es aber überhaupt geschafft hat, ein Studium zu beginnen, war ein hartes Stück Arbeit.

      Zu Hause hat Mehmet mit seiner Mutter immer nur Türkisch gesprochen. Sein Vater hat sich bemüht, Deutsch mit ihm zu reden, aber leider war das Deutsch des Vaters auch nicht sehr gut. Die Folge: Mehmet hat schlechtes Deutsch gelernt. Mein Türkischlehrer an der Uni (selbst türkischstämmig) hat mir einmal gesagt, dass Kleinkinder lieber gar kein Deutsch lernen sollten als schlechtes Deutsch. Er hielt es für schlauer, ihnen zuerst die türkische Sprache richtig beizubringen, damit sie ein Gefühl für Sprache entwickeln und wenigstens ein Sprachsystem fehlerfrei beherrschen. Wenn sie eine Sprache können, dann lernen sie danach auch leichter eine andere. Denn was man einmal falsch gelernt hat, lässt sich später nur schwer wieder vergessen oder durch Richtiges ersetzen.

      So ist die sprachliche Barriere auch Mehmet zum Verhängnis geworden. Da die Familie in einem Brennpunkt von Köln wohnte, war er überwiegend mit anderen Migrantenkindern im Kindergarten, die alle entweder ihre Muttersprache oder schlechtes Deutsch sprachen. In der Grundschule wurde es nicht besser. Mehmet hatte Probleme, beim Unterrichtsstoff mitzukommen, weil er oft gar nicht richtig verstand, worum es ging. Auch wenn er schon als kleines Kind mit Onkel Emre in seinem Laden Gemüse gezählt hatte, scheiterte er daran, die Textaufgaben im Matheunterricht zu verstehen. Seine Lehrerin schaute leider nicht genau genug hin und sah deswegen nicht, dass Mehmet nicht dumm war, sondern nur sprachliche Probleme hatte. Deswegen bekam er von ihr nach der Grundschule eine Empfehlung für die Hauptschule. Mehmets Vater wusste, dass sein Sohn dadurch in Deutschland keine besonders guten Karrierechancen haben würde und sprach mit der Lehrerin. Doch die bügelte ihn ab: Er könne froh sein, dass Mehmet keine Förderschulempfehlung bekommen habe.

      Also ging Mehmet zur Hauptschule. Als er in der sechsten Klasse war, lernte er in einem Jugendzentrum den Sozialarbeiter Jan kennen. Mehmet und Jan verstanden sich sofort, und Jan entdeckte, dass in Mehmet viel mehr steckte als der »begriffsstutzige kleine Türkenjunge«. Also übte er mit ihm bis zum Umfallen deutsche Vokabeln und Grammatik. Durch Jans Einsatz wechselte Mehmet nach der Erprobungsstufe auf eine Gesamtschule und schaffte dort sogar später sein Abitur. Nach seinem großen Vorbild Jan wollte auch Mehmet Sozialarbeiter werden, da er selbst erfahren hatte, wie viel man im Leben Einzelner bewegen kann.

      So wie Mehmet geht es vielen jungen Menschen mit Migrationshintergrund. Die erste Generation, die nach Deutschland gekommen ist, hat sich mit der Sprache schwergetan, und die folgenden Generationen haben einen falschen Sprachgebrauch übernommen. Die Väter in der ersten Generation lernten oft auf der Arbeit noch mehr oder weniger gut Deutsch, aber die Frauen, die zu Hause blieben und damit erste Ansprechpersonen für die Kinder waren, lernten es kaum. Sie blieben im fremden Land in einer Community mit anderen türkischstämmigen Frauen und konnten dort auch sehr gut ohne Deutschkenntnisse zurechtkommen. Das mögen wir vielleicht verwerflich finden, weil das nach außen deutlich macht: »Ich möchte mich nicht integrieren.« Ich halte es persönlich auch für schwierig, wenn einige bis heute nicht mal zielsicher »Hallo«, »Bitte«, »Danke« und »Auf Wiedersehen« sagen können. So viel sollte nach teilweise fünfzig Jahren in Deutschland schon drin sein. Aber das Ganze ist keine typisch türkische Eigenschaft: Auf Mallorca leben zum Beispiel etwa 30 000 gemeldete Deutsche, und es wird geschätzt, dass es noch einmal so viele gibt, die sich aus steuerlichen Gründen dort nicht gemeldet haben. Damit sind Deutsche

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