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hinaus haben wir Vorurteile an den Stellen, wo wir uns mit anderen Menschen vergleichen. Und das machen wir leider permanent. Indem ich akzeptiere, dass ein anderer Mensch eine (andere) Religion hat, sehr dünn ist oder sein Kind anders erzieht als ich, muss ich mir unweigerlich die Frage stellen, ob meine eigene Haltung die »richtige« ist. Dafür bleibt im Alltag oft keine Zeit. Da ist es leichter, die Eigenart eines anderen als schlecht zu bewerten, als zu hinterfragen, ob man sich selbst anders verhalten sollte.

      Wenn wir aber alle Vorurteile haben, gibt es dann keine wirklich toleranten Menschen? Ich glaube, dass es keinen Menschen gibt, der zu hundert Prozent tolerant ist. Aber das wäre auch nicht gut. Intoleranz kann nämlich tatsächlich wichtig sein. Wenn ich es beispielsweise nicht dulde, dass ein Kollege einen anderen mobbt. Und zusätzlich sollte Toleranz nie bedeuten, dass man sich selbst überall unterordnet und keine eigene Meinung mehr vertritt. Die Grenze zwischen Verständnis für andere zu haben und sich selbst zu verleugnen ist dabei manchmal fließend. Natürlich muss man nicht jeden Menschen und sein Verhalten leiden können. Aber tolerant sind wir dann, wenn wir uns über jemand anderen erst informiert haben, bevor wir ihn dauerhaft »abstempeln«. Wenn wir die Hintergründe für sein Verhalten kennen, können wir entscheiden, ob wir es nachvollziehbar und sogar akzeptabel finden oder eben nicht. Und vor allem sind wir dann tolerant, wenn wir nicht gleich ganze Personengruppen verurteilen, denn es wird kaum eine geben, wo ein Vorurteil wirklich auf jede Person zutrifft.

      Vorurteile können verletzend sein und sogar zu Diskriminierungen führen. Wenn zum Beispiel ein Mensch mit arabischem Aussehen eine Wohnung oder einen Job nicht bekommt, nur weil er »anders« aussieht und ihm der Vermieter oder Arbeitgeber deswegen per se nicht traut. Im schlimmsten Fall können Vorurteile sogar richtig gefährlich werden. Über die deutsche Geschichte muss ich an der Stelle wenig erzählen – hätte Hitler an seinen Vorurteilen gearbeitet, wären vermutlich Millionen von Menschen am Leben geblieben. Und vor einigen hundert Jahren wären viele Frauen nicht verbrannt worden, wenn man sie nicht aufgrund ihrer ausgezeichneten Kräuterkenntnisse für Hexen gehalten hätte. Auch heute sind Vorurteile überall dort gefährlich, wo sich Menschen aufgrund ihrer Voreingenommenheit radikalisieren. In vielen europäischen Ländern bekommen rechtsextreme Parteien immer mehr Zuwachs. Und egal, welche Ausprägungen Andersartigkeit hat – ob es sich um Herkunft, Religion oder sexuelle Orientierung handelt –, es wird propagiert, dass es nur ein Ideal gibt und kein Platz für Menschen ist, die jenseits dieser Norm stehen. Dabei wird oft mit den Ängsten der Menschen gespielt. Mit der Angst vor Andersartigkeit, die durch Vorurteile entsteht.

      Ziel dieses Buches ist es nicht, dass du vorurteilsfrei wirst – das wird vermutlich auch dem weltbesten Ratgeber nicht gelingen. Das Buch soll dich stattdessen stolz machen – stolz darauf, dass du genau wie jeder andere Mensch anders und einzigartig bist. Du sollst nicht stolz darauf sein, keine Vorurteile zu haben, aber stolz darauf, dass du anderen zunehmend offener begegnen kannst und dir deine Vorurteile zumindest immer häufiger bewusst werden. Wie das gelingt, möchte ich dir in diesem Buch zeigen. Es soll helfen, die eigenen Vorurteile zu erkennen. Das ist der erste Schritt, um sie zu verändern und auch mit anderen darüber zu sprechen, um mehr Akzeptanz untereinander zu schaffen.

      In den folgenden Kapiteln erzähle ich dir Geschichten und Fakten über Menschen, die häufig Vorurteilen ausgesetzt sind. Ich habe sie oder ihre Geschichten entweder durch meine Arbeit als Journalistin kennengelernt oder im Privatleben. Teilweise haben die Begegnungen auch meine eigenen Vorurteile abgebaut und mich umdenken lassen. Ich möchte dir zeigen, dass Wissen und Aufklärung die beste Waffe gegen gefährliche oder verletzende Vorurteile sind. Wenn dir diese Geschichten nur ab und zu einen Denkanstoß geben, dann wird es dir auch bei anderen Menschen leichter fallen, erst einmal hinter die Fassade zu schauen, bevor du ihnen mit Vorurteilen begegnest. Das lohnt sich zum einen für deine Mitmenschen. Denn das Schöne ist, dass auch einzelne kleine Situationen das Leben eines anderen verändern können. Wenn sich ein Schüler zum Beispiel einen beleidigenden Kommentar bei einem übergewichtigen Mitschüler spart oder ein Obdachloser mit Respekt behandelt wird. Aber es lohnt sich zum anderen auch für dich selbst: Du wirst überrascht sein, um wie viele positive Begegnungen dich das reicher macht.

      Wichtig ist mir dabei: Selbstverständlich sind diese Geschichten nur Beispiele aus meinen Erfahrungen und meiner Recherche. Ich möchte damit zeigen, dass nicht alle Menschen in die vorgefertigten Schubladen passen und dass viele Vorurteile ungerechtfertigt sind. Das heißt aber nicht, dass du vielleicht bei dem einen oder anderen Thema trotzdem einen Menschen kennst, der exakt dem Klischee entspricht.

      Außerdem zähle ich der Einfachheit halber in diesem Buch nur eine Geschlechtsform auf, das heißt, wenn ich von Studenten spreche, dann meine ich selbstverständlich Studentinnen und Studenten beziehungsweise alle Studierenden.

      Auch wenn es mir leidtut, dass das nötig ist: Viele Namen von Betroffenen habe ich in diesem Buch verändert, um sie zu schützen. Denn auch wenn ich mir Toleranz für sie wünsche, ist sie leider in den Köpfen vieler Menschen noch nicht vorhanden.

      Zum Ende dieses Buchanfangs noch ein Zitat von Albert Einstein: »Es ist leichter, einen Atomkern zu spalten, als ein Vorurteil.« Aber es ist nicht unmöglich. Auch wenn wir dazu keine Atomphysiker werden müssen: Lasst uns anfangen, unsere Energie sinnvoll zu nutzen, sonst fliegt sie uns irgendwann um die Ohren.

      Weißt du, was ein Kanake ist? Na klar, ein Schimpfwort für Türken. Steht sogar im Duden. Allerdings ist die Verwendung als Schimpfwort nur an zweiter Stelle genannt, denn zuerst steht die eigentliche Bedeutung, die eine ganz harmlose ist: Ein Kanake ist ein Ureinwohner der Südseeinseln. Das Wort entstammt vermutlich dem Hawaiianischen. Es wurde zunächst in verschiedenen europäischen Regionen positiv zweckentfremdet als Begriff für alle ausländisch aussehende Menschen und in Deutschland erst mit dem Anwerbeabkommen in den Siebzigerjahren im negativen Sinn für Gastarbeiter benutzt. So wie ein harmloses Wort zu einem Schimpfwort werden kann, kann ein friedvoller Mensch zu einer Projektionsfläche für Vorurteile und Ängste werden.

      Wir beurteilen Menschen auf den ersten Blick danach, wie sie aussehen. Wie eingangs beschrieben, ist das soweit normal. Schwierig ist dennoch für »anders« beziehungsweise »fremd« aussehende Menschen, was diese Ausgrenzung mit ihnen macht: Sie gehören von vornherein nicht dazu. Sie werden nicht als Deutsche wahrgenommen, ob sie hier geboren sind oder nicht. Nur in zwei Dingen sind sie für unsere Gesellschaft selbstverständlich: Wenn sie günstig ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen oder zum Wohlbefinden der restlichen Bevölkerung beitragen. Denn ihre Dienstleistungen werden gern in Anspruch genommen: Italiener sind gut genug, um uns eine leckere Pizza zu backen, Russen, um unseren Kindern Klavierunterricht zu geben, Chinesen, um uns Akupunkturnadeln zu setzen, Thailänder, um uns den Rücken zu kneten, Polen, um unsere Alten zu pflegen, Bulgaren, um unser Obst zu ernten, und Türken, um uns billig die Waschmaschine zu reparieren und selbstverständlich den geliebten Döner zu servieren. Wir brauchen sie, um unsere Gesellschaft am Laufen zu halten – und besonders oft brauchen wir sie, um die weniger schönen Aufgaben erledigen zu lassen oder möglichst günstig an Dinge zu kommen, für die ein »Deutscher« mehr Geld verlangen würde. Sie sind jedoch alle nicht gut genug, um losgelöst von ihrer Herkunft als gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Ob es ein türkischer, russischer oder italienischer Nachname ist: Er erschwert seinem Träger die Ausbildungs-, Arbeits- oder Wohnungssuche bereits, bevor das Gegenüber ihn überhaupt kennengelernt hat. Der Stempel »nicht deutsch« ist innerhalb von Sekunden aufgedrückt, aber nur extrem mühsam wieder zu entfernen.

      Jede Gruppe von Menschen, die nach Deutschland eingewandert ist, ebenso wie jeder Einzelne, hat eine ganz persönliche Einwanderungsgeschichte. Beispielhaft für die vielen verschiedenen Nationen möchte ich in diesem Kapitel besonders auf Menschen mit türkischstämmigem Hintergrund eingehen, da ich mich während eines Auslandssemesters in der Türkei sowie in den Jahren davor und danach besonders damit beschäftigt habe. Darüber hinaus sind viele von ihnen Muslime, und das führt in Deutschland ganz besonders zu Ausgrenzung und Vorurteilen.

      In der Bundesrepublik leben drei Millionen Türken (beziehungsweise

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