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ihm von der Krankenhausleitung im Fall des Todes unseres Sohnes eine finanzielle Entschädigung angeboten worden war, offenbar um zu verhindern, dass offenkundige ärztliche Fehler an die Öffentlichkeit gelangten.

      Aber die enorme Lebenskraft unseres Sohnes siegte; allerdings war das Kind schwer traumatisiert. Mein kleiner Lucas brüllte Tag und Nacht und er schlief monatelang nie länger als zwanzig Minuten am Stück. Mein damaliger Mann spielte nach wie vor als Geiger in Eisenstadt, er war also die meiste Zeit nicht zu Hause, und ich musste mit meinem Sohn allein zurechtkommen. Ich war froh, auch nur irgendwie vegetieren zu können. Daran jedoch, auch etwas für mich zu machen, meine Kräfte nach Schwangerschaft und Geburt sowie nach der entsetzlichen Krankenhausperiode wieder aufzubauen und mir von jemandem helfen zu lassen, daran dachte ich nicht. Ganz im Gegenteil, mit meinem »angeborenen«, und – wie ich heute sagen würde, krankhaften – Perfektionismus ausgestattet, betrachtete ich es als Versagen, mich nicht als GUTE MUTTER allein (weil der Mann ja arbeitet!) um mein Kind zu kümmern. Es kam mir nicht einmal in den Sinn, jemanden – nicht einmal meinen damaligen Mann – um Hilfe zu bitten, um mich einmal ausschlafen zu können.

      Erst im Alter von drei Jahren schaffte es mein Sohn durchzuschlafen. Zuerst eine Nacht in der Woche, dann zwei, irgendwann war der Spuk vorbei. Meine Gesundheit hatte jedoch schwer gelitten, genauso meine Ehe, was wiederum dazu führte, dass mein Sohn sich zu einem anstrengenden und hyperaktiven Kind entwickelte. Mein Körper begann sich zu melden und ich wurde in regelmäßigen Abständen ohnmächtig. Der Zusammenbruch, der meinen ganzen Körper lahmlegte, dauerte einige Minuten, dann konnte ich wieder zur Tagesordnung übergehen. Ich besuchte meinen Hausarzt, der sämtliche notwendigen Untersuchungen durchführte und feststellte, dass ich kerngesund war. Damals wusste ich es noch nicht; heute bin ich davon überzeugt, dass es sich bereits zu jener Zeit um ernst zu nehmende Symptome handelte, die nach einer Umstellung der Lebensweise förmlich schrien. Ich wusste noch nichts vom anderen Zugang der Traditionellen Chinesischen Medizin; ich verließ mich auf meinen damaligen netten Hausarzt und machte weiter wie bisher.

      Meinen Mann verließ ich nicht, obwohl ich längst wusste, dass unsere Ehe unwiderruflich kaputt war. Ich hetzte von einer Tätigkeit zur anderen, weil unsere viel zu große und teure Wohnung mit riesigem Kristallluster und Stuckdecken, die eigentlich niemand wollte, irgendwie finanziert werden musste. So investierte ich meine ganze Energie in Projekte, die wenig bis keinen Erfolg versprachen. Und vor allem: Ich tat NICHTS für mich. Keine Zeit, keine Energie. Kein Geld. (Seit wann braucht man Geld, um auf einer Parkbank zu sitzen und sich zu entspannen? Seit wann braucht man Geld, um laufen zu gehen oder in der Früh Übungen zu machen?) Der Teufelskreis schloss sich und ich war mittendrin.

      Es gab aber noch etwas Gravierendes, das mein Leben in seinen Grundfesten erschütterte. Als ich nach Österreich kam, wurde ich – so hatte ich es zumindest empfunden – meines schwer erarbeiteten Berufsstatus und der gewohnten Exklusivität »beraubt«. Anders als damals in der Tschechoslowakei, wo Geisteswissenschaftler hoch angesehen waren und sozusagen zur geistigen Elite des Landes zählten, wurde ich in meinem neuen Leben in Österreich – auch durch die Eltern meines damaligen Mannes – mit der Überzeugung konfrontiert, dass es sich bei den Geisteswissenschaften um nutzlose, weil brotlose Berufe handle, die eigentlich niemand brauche. Da ich neu im Land war, glaubte ich das auch. Es war tatsächlich außerordentlich schwierig, sich in Wien zu etablieren. Erst nach drei Jahren konnte ich die erste, allerdings nur befristete Anstellung ergattern. Ein weiterer schwerer Rückschlag ergab sich dadurch, dass meine tschechische Dissertation aufgrund der damaligen Gesetze in Österreich nicht anerkannt wurde und ich eine neue verfassen musste.

      Hier eine kurze Zusammenfassung der Folgen, welche die Übersiedlung nach Österreich mit sich brachte: Von einer erfolgreichen Studentin und einem hoffnungsvollen wissenschaftlichen Nachwuchstalent mutierte ich zu einer Mutter mit krankem Kind, zur Ehefrau, deren Ehe ein reines Desaster war, zur Musikhistorikerin, deren bisheriger akademischer Werdegang komplett in Frage gestellt und zurück auf null gestellt wurde. Damals konnte ich noch nicht ahnen, dass es mir gelingen würde, eine neue, harmonische Familie zu gründen und auch beruflich Fuß zu fassen. Am schlimmsten war für mich damals die schockierende Tatsache, dass die ganze Familie, vor allem aber meine Mutter und meine Schwiegermutter von mir erwarteten, dass ich meinen beruflichen Ehrgeiz über Bord werfen und mich nur mehr meinem Sohn und dem Haushalt widmen würde. Vor allem von meiner Mutter fühlte ich mich verraten. Wozu die lange Ausbildung, wozu das ganze Studium? Erschwerend war, dass ich mich doch ohne meinen akademischen Status als ein NICHTS betrachtete.

      Ich entschied mich – was denn sonst – beides zu betreiben, und zwar so, dass mir niemand hätte vorwerfen können, mich zu wenig um mein Kind zu kümmern. Überall perfekt zu sein, überall herausragende »Leistungen« zu bringen, darin war ich mehr als gut geübt. Je schwieriger, desto besser. Ohne es zu merken, hatte ich mir unbewusst die »besten« Bedingungen für meinen Leistungswahn geschaffen. Ich wollte in einem fremden Land, in dem ich keine Familie und keine Freunde hatte und dessen Sprache ich noch nicht ausreichend beherrschte, Fuß in einem geisteswissenschaftlichen Beruf fassen, in dem es bereits für gebürtige Österreicher, von Frauen ganz zu schweigen, schwer genug war meinem Sohn ein schönes Zuhause und ein harmonisches Familienleben bieten, und zwar mit einem Mann, zu dem ich kein Vertrauen hatte und mit dem ich todunglücklich war. Geld verdienen musste und wollte ich freilich auch. Ich arbeitete emsig an meinen musikwissenschaftlichen Aufträgen. Als gefragte Geigerin und Bratschistin auf freiberuflicher Basis in zahlreichen Wiener Orchestern spielend, musste ich regelmäßig üben. Ich gab Violin- und Klavierunterricht, versorgte meinen Sohn, unsere 160 m2 große Wohnung und einen Garten in Klosterneuburg bei Wien. Nach und nach gelang es mir tatsächlich, in die hermetisch verschlossenen Kreise der Wiener Musikforschung einzudringen. Der Preis dafür war allerdings hoch, denn ich bezahlte meine Verbissenheit mit meiner Gesundheit.

      Nach sieben langen Jahren war meine erste Ehe endgültig vorbei. Heute würde ich sagen, sie dauerte sieben Jahre zu lang. Aus purem, falsch verstandenem Verantwortungsgefühl meinem Sohn gegenüber hatte ich mich nie getraut, meinen Mann zu verlassen. Auch wusste ich nicht, wohin ich gehen sollte; mir fehlte eine finanzielle Absicherung, ein fixes Einkommen. Auf die Hilfe meiner Eltern konnte ich nicht zählen, denn sie waren der Meinung, dass meine Ehekatastrophe ausschließlich meine Schuld war. Um sie zu schonen, hatte ich ihnen nie Einzelheiten meines tristen Ehelebens erzählt, mit dem Resultat, dass sie davon eine komplett verzerrte Vorstellung hatten. Auch hatte ich kein Selbstvertrauen, die Situation als alleinerziehende Mutter in Österreich, damals noch ohne die österreichische Staatsbürgerschaft, zu bewältigen.

      Doch dann tat mir mein damaliger Mann den Gefallen, dass er sich in eine andere Frau verliebte – allerdings zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, sodass er von einem Tag auf den anderen und ohne jede Vorankündigung die Familie verließ. Ich saß mit 15.000 Schilling Fixkosten, einem hyperaktiven Kind, dafür aber ohne regelmäßiges Einkommen in unserer Wohnung mit den Stuckdecken und überlegte, wie das Leben weitergehen sollte. Zu meiner Überraschung sollte ich aber schon bald feststellen, dass ein Leben ohne einen Mann, den man nicht mehr liebt und mit dem man nichts anderes als Streit und emotionellen Stress erlebt, plötzlich viel EINFACHER UND SCHÖNER wurde. Die Zeit, die ich früher mit kräfteraubenden Auseinandersetzungen verbrachte, nutzte ich nun dafür, meine österreichische Dissertation ernsthaft voranzutreiben. Ich leitete ein Ensemble auf historischen Instrumenten, mit dem ich nicht nur eine preisgekrönte CD-Aufnahme einspielte, sondern auch zahlreiche erfolgreiche Konzerte und Auftritte im Tschechischen Fernsehen absolvierte.

      Verluste

      Bald nach der Scheidung, offenbar als Belohnung dafür, dass ich – auch hier, aber diesmal Gott sei Dank, mit verbissener Konsequenz – jeglichen Rosenkrieg vermied und mich ausschließlich um mein Kind und »meine Geschäfte« kümmerte, gelang es mir, neben diesen beruflichen Erfolgen auch mein seelisches Gleichgewicht wiederzugewinnen.

      Mit fünfunddreißig Jahren bekam ich ein Buch in die Hände, das mein Leben für immer verändern sollte, »Wenn Frauen zu sehr lieben. Die heimliche Sucht, gebraucht zu werden« von Robin Norwood. Ich würde dieses Buch als Pflichtfach in den Schulen einführen, denn Frauen, die zu viel lieben und ihr Leben für egoistische, unreife Männer opfern, gibt es beängstigend viele. Kurz

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