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Fotoapparate evoziert. Doch dank Lederstrumpf wissen wir nun, dass ein einfaches gorgeous wirklich alles sagt. Keine Frage, dass uns fortan irgendwelche Akropolen, Colosseen oder ägyptische Pyramiden nur noch ein müdes Gähnen entlocken werden.

      Uns begegnen geballt weitere Formen der Armut und Bettelei. Kriegsveteranen und Landminenopfer mit fehlenden Beinen, Armen und Augen. Erschütternde Zeugnisse der Terrorjahre, die hinter Kambodscha liegen. Pol Pot und die Roten Khmer sind so noch immer gegenwärtig. Das Schweizer Ehepaar ist zu Recht stolz auf seinen Landsmann Dr. Beat Richner, der mit Spendengeldern in Siem Reap das bisher einzige funktionierende Krankenhaus Kambodschas aufgezogen hat. Unsere Schweizer, die sich bisher hauptsächlich durch strohtrockene Sauertöpfigkeit hervorgetan haben, geben den Bettlern mal hier mal da 20 Baht oder einen Dollar. Ähnlich die Münchnerin Clara, die ihre Lernfähigkeit unter Beweis stellt, indem sie heute geschlossene Pumps mit Turboabsätzen statt hochhackiger Kamikazesandaletten trägt und munter weiterhin einer Gämse gleich jede Tempelsteilwand hinauf- und hinabturnt, während ihr Freund Thomas mit schreckensbleichem Gesicht und »Ich kann gar nicht hinsehen«-murmelnd an einem schattigen Plätzchen auf sie wartet. Sie hat schon am Vorabend ihre Finanzreserven in Eindollarscheine umgetauscht und gibt und gibt und gibt, unsere Einwände fegt sie beiseite. Tausende Arme und Stummel greifen nach ihr. Die Situation wird letztlich pervers, als sie, mit einem Dollarschein wedelnd, von bettelnden Kindern umringt dasteht und uns zuruft: »Wem soll ich denn nun den letzten Schein geben?« Wir verzichten auf politisch korrekte Ökotourismus-Pädagogik, spielen Schicksal und deuten willkürlich auf ein Mädchen.

      Während Carsten zunächst noch eher bereit war, Geld zu geben, nun zusehends abstumpft und garstigerweise den kreischenden Bettlern auf ihr »One Dollah!« ein freches, ihrem Pidgin-Englisch angeglichenes »No have!« antwortet, verläuft bei mir der Prozess anders herum. Ich entstumpfe langsam, weiß, dass ich es nicht tun sollte. Vernünftiger wäre es, von den Erwachsenen T-Shirts oder Postkarten, die fast nichts kosten, in Massen zu kaufen. Das fördert – im Gegensatz zu Almosen. Trotzdem gebe ich zaghaft mal 20 Baht, mal nur zehn. Doch wo anfangen und wo aufhören? Gewiss gar nicht anfangen bei dem Angebot, das uns gleich mehrere Polizisten zukommen lassen: Sie wollen uns ihre Dienstmarken andrehen. »Nice souvenir!« Für nur fünf Dollar das Stück. Und man versichert uns, dass der Verlust der Marke für den Polizisten kein Problem sei. »I have quinze à la maison.« Nun sehen diese Marken wirklich hübsch und dank der Schrift auch exotisch aus, doch weniger hübsch und exotisch stellen wir uns vor, was passiert, wenn wir an der Grenze gefilzt werden und die Dinger im Gepäck haben. Garantiert wurde irgendwann in den letzten Wochen ein kambodschanischer Bulle ermordet und ohne Dienstmarke aufgefunden. Da sitzt man schneller in der Todeszelle, als einem lieb ist. Ry klärt uns auf, dass die Polizei seit zig Monaten keine Gehälter mehr ausgezahlt bekommen hat. Immerhin sind wir dankbar, dass die Bullen uns nur ihre Dienstmarken verscherbeln wollen, und uns nicht, wie der Reiseführer eindringlich warnt, einfach mit vorgehaltener Dienstwaffe ausrauben.

      Für Ry muss der Tag bisher die Hölle gewesen sein. Angestachelt von uns schwarzen Schafen und der individuell herumkugelnden Berlinerin, haben plötzlich alle (ausgenommen die immer sauertöpfischer dreinblickenden Schweizer) mit zahllosen Sonderwünschen, äußerst flexibler Zeiteinteilung und Extrastopps an nicht vorgesehenen Sehenswürdigkeiten den Plan völlig auf den Kopf gestellt. Doch nun, wo Ry uns schon mal so schön zusammen hat, bugsiert er uns kurzerhand in den Bus. Heute Abend entkommen wir dem Sonnenuntergang nicht. Ry karrt uns zum Phnom (»Das Phnom bei uns in Kambodschah isse Berg!«) Bakheng. Schon finden wir uns mitten in einem Gewusel von Bussen, Taxen und Mopeds, die einen endlosen Strom an (hauptsächlich japanischen) Touristen am Fuße des Phnom abladen. Für Gutbetuchte stehen für 15 Dollar pro Person Elefanten bereit, auf deren Rücken der Aufstieg bequem zu bewältigen ist. Die dicke Berlinerin verweigert erstmals komplett die Gefolgschaft und verzieht sich samt Videokamera zu den Getränkebuden am Parkplatz. Ry erbarmt sich unseres greisen Alleinreisenden und führt ihn auf dem Elefantentrampelpfad zum Gipfel. Der alte Mann trotzt tapfer der Hitze und den Strapazen und macht entgegen anders lautender Wetten keine Sekunde schlapp. Schweißgebadet, kurzatmig und der Optik nach kurz vorm Herzstillstand zwar, aber er hält durch. Völlig schweißgebadet sind auch wir Fußvolk, die wir den »kurzen« Weg nach oben wählen und eine beinahe senkrechte Steilwand aus losem Geröll hochklettern müssen. Mitten im Geröll haben sich erschwerend bettelnde Minenopfer mit bloßen Bein- und Armstümpfen postiert. Heilfroh, endlich oben zu sein und den Sonnenuntergang genießen zu können, eröffnet sich dem Kletterer eine weitere Hürde: Auf dem Berggipfel befindet sich eine Tempelpyramide, die es noch zu erklimmen gilt, um den ultimativen Blick zu haben. Ich sage nur: »Steiltreppe, alle fünf Meter ein Stüfchen.« Oben tobt das Leben. Sundown auf Phnom Bakheng scheint der angesagte Event zu sein. Wir wähnen uns in einem polaren Land oder dem Epizentum einer ansteckenden Pandemie. Japaner über Japaner in den abenteuerlichsten Verhüllungen, damit kein Sonnenstrahl die empfindliche Haut berührt, dazu Mund-, Augen- und Sonstwas-Schutz. Vor allem die Damen tragen die wildesten Aufbauten rings um den Kopf, die sie wie futuristische Stahlschweißerinnen aussehen lassen, um sich vor der Sonne zu schützen. Wir finden letztlich noch ein japanerfreies Steinchen und warten freudig erregt auf das Naturschauspiel.

      Das Münchner Pärchen gesellt sich zu uns. Clara hat unten am Berg bei einer Bude zwei Getränke erworben. Eine Dose einheimisches, durchaus leckeres Angkor-Bier und eine Dose, die eine uns unbekannte, nicht sehr vertrauenserweckende Frucht ziert. Die Gute wollte mal was anderes ausprobieren. Der hohe Bogen, in dem sie dann den ersten Schluck wieder ausspuckt, lässt keine Zweifel zu: Die Geschmacksrichtung »Unbekannte, nicht sehr vertrauenserweckende Frucht« ist nicht der Bringer. Noch sind 20 Minuten vor Sonnenuntergang.

      »Ich brauche was zu trinken«, beschließt Clara. »Will noch jemand was?«

      »Wie? Woher willst du denn jetzt was anderes herbekommen?«, frage ich verwundert.

      »Na, ich geh schnell wieder runter und kauf was Neues«, antwortet sie mit einer Seelenruhe, als sei es auch nur ansatzweise realistisch, in einer Viertelstunde die Tempelsteiltreppe plus senkrechte Geröllwand lebend runter- und vor allem wieder raufzukommen. Noch dazu in offenen Pumps.

      »Soll ich dir ’ne Cola mitbringen?«, fragt sie, dann stöckelt sie auch schon los, und ihr Freund Thomas wird wieder kreidebleich, murmelt Verzweifeltes. Noch während wir ihm tröstend die Schulter tätscheln und gut gemeinte Phrasen wie »Wir helfen dir schon mit dem Papierkram, den so eine Leichenüberführung mit sich bringt« von uns geben, tanzt eine Coladose vor meiner Nase.

      »Hier, ist noch gut kalt.« Die Gute benötigte nicht einmal zehn Minuten für die Getränkeaktion, inklusive Dollarnotenverteilen an die Bettler. »Ach, manchmal brauche ich einfach ein bisschen Bewegung«, sagt sie und transpiriert nicht einmal.

      Die Sonne senkt sich beeindruckend über ebensolche Landschaft, schnell ein Foto geknipst, dann heißt es auch schon Aufbruch. Denn alle wollen noch bei Licht den Abstieg machen, und wir müssen ihn daher vor allen anderen schaffen. Wir gehören zu den Ersten, der staufreie Rückweg gelingt. Abgekämpft wie wir sind, hält Ry uns für willenlos genug und karrt uns wieder zu einem Souvenirsupermarkt. Da er wirklich eine Seele von Mensch ist, geradezu masochistisch alle Programmänderungen akzeptiert hat und immer noch ein überzeugend ehrliches Dauerlächeln aufgesetzt hat, spielen wir ausnahmsweise mit und heucheln Interesse. Die Schweizer kaufen eine Kleinigkeit, damit Ry seine Provision kassieren kann, doch dann schlagen sie gnadenlos zu.

      »Was sind denn das für Elefanten gewesen?«, fragt der Schweizer. »Afrikanische oder indische?« Eine ebenso überflüssige wie dumme Frage mitten in Südostasien.

      Ry versteht zunächst auch nicht, doch schließlich antwortet er: »Elefanten sinn kambodschanis. Unn warum?! Sinn aus Kambodschah.«

      »Ja, das schon«, vertieft der Schweizer sinnloserweise die Diskussion. »Mir ist klar, dass die hier leben. Aber sind es nun von der Rasse her afrikanische oder indische?«

      »Kambodschanise«, beharrt Ry mit verzweifeltem Lächeln.

      »Es gibt keine kambodschanischen Elefanten!«, doziert der Schweizer rechthaberisch und deutlich angesäuert. Er führt die verschiedenen Merkmale der beiden Elefantenrassen an. Als Ry dann zugibt, dass die kambodschanischen Elefanten auch kleine Ohren haben, gibt

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