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Gestalttherapie und Psychoanalyse anzuregen und zu einer gleichmäßigen Aufmerksamkeit für die Verbindungen und die Differenzen zwischen ihnen beizutragen. Wir wissen natürlich nicht, inwiefern unser damaliges Buch tatsächlich dazu beigetragen hat, dass sich die Situation in den Jahren seither deutlich verändert hat. Aber es hat vielleicht einen kleinen Beitrag zu jenen erfreulichen Konvergenzen geleistet, die sich seither – nicht nur im deutschsprachigen Raum – zwischen den neueren Entwicklungen in der Gestalttherapie einerseits und der Psychoanalyse andererseits ergeben haben.

      Die Konvergenzen zeigen sich nicht nur in vielen Bereichen und Aspekten der therapeutischen Theorien und Praxen, sondern auch in häufigeren und intensiveren persönlichen Kontakten zwischen Vertretern der beiden Richtungen. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen: Die neuere Psychoanalyse, insbesondere jene Strömungen, die sich »relational« bzw. »intersubjektiv« nennen, betonen inzwischen sehr viel stärker als früher die Bedeutung des aktuellen persönlichen Kontaktgeschehens zwischen Therapeut und Klient und legen sehr viel weniger Wert auf die Analyse der Übertragung. Sie nähert sich damit einer Position, die innerhalb der Gestalttherapie schon sehr viel länger vertreten wird (vgl. z. B. Staemmler 1993). Umgekehrt hat sich unter Gestalttherapeuten eine sehr viel größere Aufmerksamkeit für die entwicklungspsychologische Dimension entwickelt, wie sie in der Psychoanalyse schon sehr früh zu beobachten war.

      Zugleich begannen Psychoanalytiker, den noch vor 20 Jahren nahezu ausschließlich hervorgehobenen Stellenwert der frühen Kindheit für das spätere psychische Geschehen bei Erwachsenen zu relativieren und Entwicklungen im Jugend- und Erwachsenenalter stärker zu gewichten. Dieser neuere Blickwinkel »würdigt das Phänomen der Entwicklung als einen fortwährenden, lebenslangen Prozess, der nicht nur eine Vergangenheit hat, sondern auch in der Gegenwart existiert und sich auf eine Zukunft zubewegt« (Emde 2011, 779) und nähert sich damit gestalttherapeutischen Positionen deutlich an. Auf der anderen Seite hat die Gestalttherapie ihren früher übertrieben engen Fokus auf das Hier-und-Jetzt deutlich erweitert und schenkt der Zeitdimension als einem Kontinuum ausgiebigere Beachtung (vgl. z. B. Polster 1985; Staemmler 2001; 2011).

      Auch auf persönlicher Ebene hat sich einiges getan. So begegnen viele Gestalttherapeuten und Psychoanalytiker einander inzwischen mit Aufgeschlossenheit und Interesse; z. B. kooperieren sie nicht nur im Rahmen von Tagungen, Arbeits- und Supervisionsgruppen oder Buchprojekten, sondern lassen sich auch auf freundschaftliche Beziehungen ein. In einem Interview mit der italienischen Gestalttherapeutin Margherita Spagnuolo Lobb sagt die intersubjektive Psychoanalytikerin Donna Orange:

      In dieser Periode meines Lebens schreibe ich nicht nur für Psychoanalytiker, sondern für alle, die ich als Humanisten in der Psychotherapie definiere, zu denen ich besonders die Gestalttherapie rechne. Ich arbeite mit Personen wie Lynne (Jacobs), Frank (Staemmler), Dan (Bloom) und jetzt mit dir sowie anderen Gestalttherapeuten zusammen – Personen die ich sehr schätze –, und ich will nicht mehr exklusiv für Psychoanalytiker schreiben. (Orange & Spagnuolo Lobb 2010, 25)

      Wir können in diesem Zusammenhang auch von eigenen positiven Erfahrungen berichten: Bernd Bocian ist in Italien seit Jahren assoziiertes Mitglied der Genueser Gruppe der SIPRe (Italienische Vereinigung der relationalen Psychoanalyse), wo er u. a. an einer Intervisionsgruppe teilnimmt. Dort hat er die Erfahrung gemacht, dass sein ins Englische und ins Italienische übersetztes Buch »Fritz Perls in Berlin« (Bocian 2007; engl.: 2010; ital.: 2012) auch bei psychoanalytischen Kollegen auf Interesse stößt, was zu positiven Rezensionen in wichtigen psychoanalytischen Fachzeitschriften (Ricerca Psicoanalitica; Psicoterapia e Scienze Umane) geführt hat. Die italienischen Gestalttherapeuten der Gruppe von Margherita Spagnuolo Lobb stehen übrigens seit einigen Jahren in freundschaftlich-kritischem Austausch mit Daniel Stern von der Boston Change Process Study Group.

      Frank-M. Staemmler unterhält persönlichen Kontakt mit Bob Stolorow (vgl. z. B. Stolorow 2007a; Stolorow, Brandchaft & Atwood 1996) und ist befreundet mit Donna Orange (vgl. z. B. Orange 2004; 2011), zwei Psychoanalytikern der intersubjektiven Orientierung, die in entsprechenden Veröffentlichungen ihre weitgehende Übereinstimmung mit seinen Positionen, zum Beispiel zum Thema Empathie (Staemmler 2009), bekundet haben (vgl. Orange 2009; Stolorow 2007b).

      Als wir nun vor der Wahl standen, das Buch aus dem Jahr 2000 entweder einfach nur neu aufzulegen oder aber es zu überarbeiten, wurde uns klar, wie umfangreich und weitgehend die seither stattgefundenen Veränderungen sowohl innerhalb der Psychoanalyse als auch innerhalb der Gestalttherapie gewesen sind. Wir haben uns daher entschieden, einige zusätzliche Texte in das hiermit nunmehr unter verändertem Titel erscheinende Buch aufzunehmen, die schlaglichtartig die Konvergenzen der letzten Jahre beleuchten.

      Wir haben dabei weder den Anspruch, eine umfassende Bestandsaufnahme des aktuellen Diskussionsstandes zu leisten – es gibt erfreulicherweise schon sehr viel mehr Literatur zum Thema als wir in dieses Buch aufnehmen konnten –, noch die Absicht, die grundlegenden erkenntnistheoretischen Fragen zu behandeln, die sich aus den verschiedenen anthropologischen und philosophischen Grundannahmen beider Therapieverfahren ergeben. Das alles wäre sicher wünschenswert und interessant, kann aber nicht zugleich geschehen.

      Das Buch beginnt mit einem kurzen Beitrag von Martin Altmeyer, in dem dieser die »Wiederentdeckung der Beziehung« in der Psychoanalyse als einen Paradigmenwechsel würdigt und in ihrer Bedeutung für die Praxis charakterisiert. In dem darauf folgenden Text von Frank-M. Staemmler (»Kontakt als erste Wirklichkeit«) geht es gleichfalls um die grundlegende Bedeutung des unmittelbaren Kontakts sowie der intersubjektiven Dimension in der Psychotherapie; viele der dabei verwendeten Quellen werden heute sowohl von fortschrittlichen Gestalttherapeuten als auch von modernen Psychoanalytikern zur Begründung ihrer jeweiligen Positionen herangezogen.

      Es folgt ein umfangreicher Text von Bernd Bocian, der die historischen Entwicklungen detailliert nachzeichnet, in deren Verlauf die Gestalttherapie sich formiert hat. Er macht deutlich, dass die beiden Perls zwar durch die Verarbeitung unterschiedlicher Einflüsse und durch die Zusammenarbeit mit Paul Goodman in Amerika zum Entwurf eines eigenen Ansatzes kamen. Darin aber integrierten und bewahrten sie zugleich wertvolle Impulse, die der Freudianischen Psychoanalyse zu einem großen Teil durch die von ihren orthodoxen Vertretern praktizierte Ausgrenzung Andersdenkender verloren gegangen sind. Dies wird am Beispiel Wilhelm Reichs in besonderer Weise deutlich. Darum haben wir der Übersicht von Bernd Bocian einen Text von Werner Bock beigestellt, der sich eingehend mit der wichtigen Bedeutung des psychoanalytischen ›Dissidenten‹ Wilhelm Reich für die Entwicklung der Gestalttherapie befasst.

      Auf diese historisch orientierten Kapitel folgen drei Beiträge, die sich schwerpunktmäßig mit praktisch-therapeutischen Fragen befassen und dabei sowohl aus psychoanalytischen als auch aus gestalttherapeutischen Quellen schöpfen. Frank-M. Staemmler erläutert sein gestalttherapeutisches Verständnis von der Arbeit mit regressiven Prozessen, wobei er sich einerseits vom psychoanalytischen Regressionsbegriff abgrenzt, zugleich aber auch auf wichtige analytische Autoren und ihre Regressionskonzepte zurückgreift. In einem weiteren Beitrag setzt sich Frank-M. Staemmler kritisch mit dem Konzept der sogenannten frühen Störung und ihren theoretisch praktischen Implikationen auseinander. Lynne Jacobs, die die oben erwähnten Konvergenzen personifiziert und sich sowohl als Gestalttherapeutin als auch als intersubjektive Psychoanalytikerin versteht, versucht in ihrem Kapitel, Parallelen zwischen neueren Strömungen innerhalb der Psychoanalyse, nämlich Objektbeziehungstheorie und Intersubjektivitätstheorie, und gestalttherapeutischen Positionen aufzuzeigen.

      In einem weiteren Beitrag vertritt Bernd Bocian die Ansicht, dass es sich bei dem Entwurf der Gestalttherapie von Perls, Hefferline und Goodman (1951) um ein innovatives Projekt handelte, das die Tradition einer interaktiv verstandenen Psychoanalyse aufnahm und konsequent weiterführte. Zudem weist er auf die Potenziale hin, die sich für eine so kontextualisierte Gestalttherapie heute ergeben.

      Das Buch schließt mit einem Interview, das Frank-M. Staemmler mit Tilmann Moser über einige historische und aktuelle Themen geführt hat, die das Verhältnis zwischen Psychoanalyse und Gestalttherapie betreffen.

      Wir wünschen unseren Leserinnen und Lesern eine anregende Lektüre. Wenn Sie Feedback für uns haben, freuen wir uns; unsere E-Mail-Adressen finden Sie im Verzeichnis der Autoren. Rückmeldungen an die einzelnen Autoren leiten wir gerne an diese weiter.

      Abschließend

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