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Staunen, Stolz in mir. Was ist denn daran „gut“ gewesen? Was meint er mit „gut“? Ist es „gut“, wenn ich gut „spiele“? Ist es mein So-Tun-als-ob, was gut ist? Ist gut, wenn ich gar nicht dabei bin? Je weniger ich, desto besser? Irgendwie ist er auch nicht dabei gewesen. Er nicht dabei. Ich nicht dabei. Wir waren zusammen nicht bei dem, was wir taten. Das scheint er „gut“ gefunden zu haben.

      Wir fahren zu der besonders netten Dame. Ein kleines Örtchen an der Weinstraße. Dorfidylle. Metzger, Bäcker, Kindergarten. Ein neu gebautes Mehrfamilienhaus am Dorfeingang, Durchgangsstraße. Klingelschilder ohne Namen. Ein neutrales, eher dunkles Treppenhaus, in den unteren Etagen je vier Einzimmerwohnungen pro Etage, wie ich später weiß. Wir gehen das Treppenhaus hinauf, bis ganz nach oben, mir ist es sehr unangenehm, vor ihm zu gehen. Er will, dass ich vor ihm gehe. Angst spüre ich nicht, es ist Unbehagen. Es ist mir unbehaglich, so gar nicht dabei zu sein. Im Dachgeschoss öffnet sich eine Tür zu einer großen Maisonette-Wohnung mit Dachterrasse, die ich durch die Tür hindurch sehe. Porzellanleoparden links und rechts. Sie sitzen so unbeweglich und stoisch, als wachten sie über die Einhaltung der Abwesenheit der Anwesenden. So kalt und glatt ihr Leib, so kalt und glatt soll sich hier das Leben vollziehen. Vollzug? Ja. Leben? Irgendwie schon. Lebendig? Eher nicht. Kalt? Ja. Glatt? Ich weiß es nicht.

      Die Wohnung ist eingerichtet wie eine aufgeplüschte Puderdose mit Luxusquasten. Die nette Dame spricht sachlich mit mir, sie taxiert mich mit wenigen zielsicheren Blicken, versiert im Geschäft schätzt sie mich ein, dann erst bittet sie mich in die Puderdose, bedankt sich bei dem mich begleitenden Herrn, indem sie ihm eine Zimmernummer und einen Namen nennt. Ohne ein Wort der Verabschiedung hastet er förmlich ein Stockwerk tiefer. Er kann hasten, er ist ja nicht dabei. Eine Türklingel höre ich noch. In der Puderdose findet ein Vorstellungsgespräch auf dem Plüschsofa im Plüschkissen vor dem Plüschteppich statt, ein pudriges. Ich werde eingewiesen in die Puder-Modalitäten des Hauses: Die Dame stellt eine der Wohnungen für jeweils eine Stunde zur Verfügung, Reinigung inklusive. Sie stellt den Kontakt zu den netten Herren her. Sie bekommt pro Stunde von mir hundert Mark. Ich bekomme für die normalen Regelleistungen dreihundert Mark von dem jeweiligen netten Herrn. Alles extra kostet extra. Für die Vermittlung eines Abends, einer Nacht oder sonstiger Veranstaltungen gibt es Sondertarife. Wenn die Herren einen Hausbesuch erbeten, bekommt sie für die Vermittlung ebenfalls hundert Mark. Ich möge ihr mein Zeitfenster nennen. Sie ruft mich an, sobald sie einen Kontakt für mich vereinbart hat. Falls sie in Erfahrung bringen sollte, dass ich mit durch sie vermittelten netten Herren Kontakt habe, ohne ihr ihren Anteil zu entrichten, wäre ich raus aus dem Geschäft. Sie habe Kontakte. Sie erführe alles. Ich bin eingeschüchtert. Die Frau mit den roten Stiefeln nimmt das Angebot an. In die Wohnung unten links käme in zehn Minuten der erste nette Herr. Nebelartige Unwirklichkeit. Die Wohnung riecht statt ein- äußerst ausladend. Rieche nur ich das? Ekelhafter Gestank.

      Im Café, ich mit meinen roten Schuhen, der Blick des Mannes auf mir. Sein verbindend-verbündeter wissender Blick sagt: „Ich weiß, wer du bist. Ich sehe, was für eine Frau du bist. Du bist käuflich.“ – „Ehrbare“ Frau versus „entehrte“ Frau. Als gäbe es diese Dualität.

      Ein männlicher Blick, der die Frau in ihrer Ehre sieht, achtet mit dem gebührenden Respekt auf den Abstand, den die Frau braucht und den die Situation und die Umstände gebieten. Sieht ein Mann eine Frau als nicht im Stande ihrer „Ehre“ an, kann er sich den Respekt vor ihr sparen, braucht er folglich nicht auf die Wahrung des angemessenen Abstands zu achten. So einfach! Distanzlos kann er der Frau begegnen, zu schnell, zu nah, zu direkt. Auf diese Weise kann schnell „zur Sache“ gekommen werden, ohne „viel drum herum“. Und nur so kann Geld gegeben werden für etwas, was in jedem anderen Zusammenhang geschenkt wird.

      Dieser männliche Blick ist komplex. Er besitzt drei Ebenen: Die eine Ebene bezieht sich auf die Weiblichkeit: „Du bist attraktiv für mich, begehrenswert.“ Diese Ebene kann stolz machen, sie anerkennt die Weiblichkeit der Frau. Eine zweite Ebene bezieht sich auf das Brauchen: „Du hast etwas, was ich brauche.“ Diese Ebene kann in der Frau ihr Bedürfnis des Gebrauchtwerdens ansprechen. Diese beiden Ebenen sind und bleiben dem Bewusstsein meist zugänglich. Sie wirken stärkend auf die Prostituierte. Es kann sich gut anfühlen, begehrt und gebraucht zu werden. Da jede Prostituierte ein „Davor“ hat, ist ihr begehrt und gebraucht und damit gewollt zu sein häufig besonders wichtig. Balsam auf vorhandene Verwundungen? Nur vermeintlich! Denn nicht sie ist gemeint – ihr Körper! Die dritte und verdeckte Ebene bezieht sich auf die Ehre der Prostituierten beziehungsweise auf deren vermeintliche Abwesenheit: „Du bist eine entehrte Frau, ich kann dir Geld geben, um Sex zu bekommen. Du bist käuflich.“ Auf dieser Ebene und in dieser Weise angesehen zu werden, schwächt und verletzt eine Frau – wenn es denn wahrgenommen würde. Deshalb wird die Wahrnehmung dieser dritten Ebene, anders als die der ersten beiden Ebenen, meist dem Bewusstsein entzogen und ins Unbewusste „verstaut“, so schnell als möglich!

      Ausgleich ist in menschlichen Beziehungen zentral, Beziehung wird hergestellt durch fortlaufende Ausgleichsprozesse. Dem Wesen von Paarbeziehungen liegt zugrunde, dass der und die Eine etwas hat, was die und der Andere braucht. In einer gelingenden Paarbeziehung geben und nehmen beide gerne. Dies ist ein Ausgleich im Guten, welcher wechselseitig geschieht, aus Liebe, in gegenseitiger Zugehörigkeit, Bindung und Verbindlichkeit. Zum Ausgleich, zum Geben und Nehmen, zählt in der Paarbeziehung zentral die Sexualität – neben vielem anderen auch. Darüber hinaus ist sie auch und zuvörderst Geschenk. In der Prostitution hingegen fehlen diese immateriellen Werte: keine Zugehörigkeit, keine Bindung, keine innere Verbindung. Dem tiefen Ausgleichsbedürfnis folgend, geschieht hier etwas anderes: In der Prostitution erfolgt der zwischenmenschliche Ausgleich für Sexualität durch Materielles, durch Geld. Es ist jedoch ein destruktiver Ausgleich. Denn Geld für etwas zu bekommen, was im sonst gängigen gesellschaftlichen Kontext ohne den Austausch von Geld erfolgt, beschämt und entehrt. Materielles, also Geld, soll die Abwesenheit von Immateriellem, also zum Beispiel Liebe und Bindung, ausgleichen. Gefährlich!

      Nur den sogenannten „Entehrten“, den nicht „ehrbaren“ Frauen, kann Geld gegeben werden für etwas, was eigentlich nur geschenkt werden kann. Nur hier scheint es angebracht, ohne Skrupel.

      Man stelle sich ein verliebtes Paar vor. Die erste lang ersehnte gemeinsame Liebesnacht. Beide sind im Taumel ihrer Gefühle, ihrer Körper, ihres Glückes. Wie wäre es: Der Mann würde danach seinen Geldbeutel nehmen, ein paar Scheine auf das Kopfkissen der Frau legen. Die Frau wäre zunächst sicher fassungslos, sicher auch empört und tief getroffen. Denn es würde sie beschämen, es würde ihre Ehre verletzen. Die Beziehung wäre vorbei.

      Ein weiteres alltägliches Beispiel: Wer auf der Straße freundlich von einem suchenden Menschen nach dem Weg zum Bahnhof gefragt wird, gibt – unserer gesellschaftlichen Konvention folgend – gerne Auskunft. Der fragende Mensch bedankt sich höflich als Ausgleich, ich antworte „Gerne“, freue mich, dass ich habe helfen können. Gäbe mir der Mensch, nachdem er von mir eine Auskunft erhalten hat, ein Geldstück in die Hand, würde ich mich beschämt fühlen, ich nähme es nicht an.

      Welche Wirkung Geld im Ausgleich zwischen Menschen hat, ob es als angemessen wahrgenommen wird oder beschämt, hängt in großen Teilen zum einen von der An- oder Abwesenheit von Bindung und Zugehörigkeit, zum anderen von der jeweiligen Konvention ab.

      Die Tragweite des Ausgleichs lässt sich auch noch an folgendem Beispiel ermessen: Man lädt Freunde zum Essen ein, kocht für sie, bedient sie beim Essen und achtet darauf, dass sie alles haben, was sie brauchen. Wir alle fühlen uns wohl. Als Gastgeber bekommen wir kein Geld dafür, dass wir unseren Freunden die Teller aufdecken, ihnen die Schüsseln reichen und am Ende das Geschirr abräumen. Eine groteske Vorstellung, wenn die Freunde dann dafür ihr Portemonnaie zücken und Geld auf den Tisch legen würden. Denn zwischen uns besteht eine Bindung, eine Form der Verbindlichkeit und Zugehörigkeit. Wir sind nicht austauschbar. Im Restaurant hingegen bin ich mit der Bedienung nicht befreundet. Wir haben weder Bindung noch Zugehörigkeit, wir haben Achtung voreinander und teilen die gesellschaftliche Konvention, am Ende Trinkgeld zu geben. Hier beschämt das Geld nicht.

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