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gern von zu Hause ausziehen, aber ich schaffe es nicht«, »Ich ertrage es nicht, wenn mein Vater mir sagt, was ich tun soll«. Die klinische Evidenz der 1950er bis 1970er entstand rund um dieses Erleben. Es herrschte das Bedürfnis, das Ich auszuweiten, ihm größere Würde zu verleihen, ein Bedürfnis nach Unabhängigkeit.

      Der Erlebenshintergrund, vor dem sich dieses Bedürfnis herausbildete, war solider, als er es in unseren Tagen ist: Zweierbeziehungen waren von längerer Dauer (wenngleich oft durch gesellschaftliche Normen zusammengehalten), und die Beziehungen innerhalb der Familie waren auf jeden Fall stabiler.

      Die Antworten der TherapeutInnen lauteten: »Sie haben das Recht, frei zu sein, das Recht, Ihr Potenzial zu entwickeln«, »Ich bin ich und Sie sind Sie …«. Kurz gesagt, unterstützt wurden Selbstregulierung und das Lösen aus Bindungen, ohne sich darum zu kümmern, was an der Kontaktgrenze mit dem/der Anderen passierte.

      • 1970 bis 1990:

      Für diese Jahre war die »technologische Gesellschaft« kennzeichnend, wie Galimberti (1999) sie nannte, eben weil sie die Maschine auf einen Sockel hob. Gleichzeitig gab sich die Gesellschaft der Illusion hin, man könne die menschlichen Gefühle und vor allem den Schmerz kontrollieren. Die Beziehungen des oikòs6 betrachtete sie als »groben Fehler«, als Hemmnis für die Produktivität, die dagegen als einzig verlässlicher Wert angesehen wurde. Liebe und Schmerz, zwei Emotionen, die in Wirklichkeit untrennbar miteinander verbunden sind, galten in dieser Zeit als unvereinbar.

      Wenn man sie als Produkt der »narzisstischen Gesellschaft« sieht, könnte man die »technologische Gesellschaft« als »borderline« definieren. Diese Generation stand einerseits unter dem großen Druck erfolgreicher Eltern, die wollten, dass ihre Kinder »Götter« waren wie sie selbst. Andererseits litt sie unter einem Mangel an Unterstützung für die eigenen Wünsche und ihre Versuche, in dieser Welt jemand zu sein. Das Kind von Göttern macht keine Fehler! Diese Generation, die einerseits mit der Illusion aufwuchs, etwas Besonderes zu sein, und die andererseits das Gefühl verstecken musste, dass sie nur bluffte, entwickelte eine borderlineartige Beziehungsmodalität: ambivalent, unzufrieden und unfähig, sich selbst abzugrenzen, um die eigenen Werte zu bekräftigen. Die Flucht der Jungen in »künstliche Paradiese«, ihr Ärger über ihre Eltern als Repräsentanten von Werten, die wenig mit ihrem Menschsein zu tun hatten, bereitete den Boden für die Verbreitung von Drogen, ermöglichte jedoch auch wichtige Gruppenerfahrungen. Es war kein Zufall, dass in diesen zwanzig Jahren in der Psychotherapie ein besonderes Interesse an Gruppen bestand: Die Gruppe wurde als ein mögliches (und manchmal als das einzig mögliche) Heilmittel betrachtet.

      Die Sätze der Patienten und Patientinnen in den 1970ern und 1980ern könnten zum Beispiel lauten: »Ich habe mich in eine Kollegin verliebt, ich habe eine Affäre mit ihr, meine Frau weiß von nichts und ich bin mir nicht sicher, ob ich es ihr sagen soll oder nicht«, »Meine Eltern nörgeln immer an mir herum. Wenn ich in einer Gruppe bin, fühle ich mich freier. Einen Joint zu rauchen ist eine Befreiung von der täglichen Unterdrückung«, »Drogen (oder mein Beruf oder mein Geliebter/meine Geliebte) sind meine wichtigste Bindung, die Bindung zu meiner PartnerIn ist ein Extra.« Man war auf der Suche nach dem Selbst außerhalb intimer Bindungen – ein Versuch, die Schwierigkeiten des »Mitseins« durch illegale Substanzen oder durch Arbeit zu lösen. In den 1990ern, nur zehn Jahre später, trat das Bedürfnis, sich selbst in der Einsamkeit zu spüren, an die Stelle der Suche nach dem Ich: »Ich möchte mich spüren, mich finden. Es gibt Zeiten, in denen ich fasten muss, um mich selbst durch den Hunger zu spüren. Alle wollen etwas von mir und ich weiß nicht, wie ich herausfinden soll, wer ich bin« oder »Ich habe eine Beziehung mit einem Mann, der 600 Meilen von hier lebt. Ich weiß nicht viel über ihn. Zuerst war es nett, zusammen zu sein, wenn wir uns trafen. Doch jetzt ist es langweilig. Wir wissen einfach nicht, was wir machen sollen. Glauben Sie, das ist normal?«

      Die Antworten der TherapeutIn waren: »Haben Sie Vertrauen in sich – kehren Sie zurück an den Ursprung Ihres Seins (phänomenologisch gesprochen) – finden Sie heraus, wer Sie sind, indem Sie sich konzentrieren.« Oder auch: »Sehen wir uns doch an, was zwischen uns beiden passiert.« In der Praxis widmeten sich zu dieser Zeit alle Methoden dem, was wir in der Gestalttherapie »Kontaktgrenze« nennen: eine neue Sichtweise auf Übertragung und Gegenübertragung. »Haben Sie Vertrauen in die Selbstregulierung, sowohl Ihrer Emotionen als auch des Raums zwischen uns beiden.« Perls’ Slogan »Verlier den Verstand und komm zu deinen Sinnen« wurde also zu »Folge deinem dir eigenen Mitgefühl« und »Ich erkenne mich selbst in deinem Blick«.

      • 1990 bis 2010:

      Was die Befindlichkeit der Gesellschaft anging, so führten das Interesse an Technologie (eine Ressource, die heute als selbstverständlich angesehen wird) und die Ambivalenz der eigenen Wertigkeit gegenüber zu einem »Gefühl der Flüchtigkeit« (sense of liquidity), wie Bauman (2000) es so treffend ausdrückt. Die Kinder der »Borderline-Gesellschaft« erlebten einen Mangel an vertrauten konstituierenden Beziehungen: Die Eltern waren nicht da, teilweise weil sie arbeiteten (schließlich war »Technologie« der von der Gesellschaft verbreitete Wert) und sich Sorgen wegen des drohenden sozialen Abstiegs machten, teilweise aber auch, weil sie auf der Beziehungsebene inkompetent waren (die Borderline-Ambiguität wird mit emotionaler Distanziertheit über dem Nachwuchs ausgeschüttet). Außerdem wuchs die Generation dieser zwanzig Jahre in einer Phase großer Migrationsbewegungen auf. Diese führten dazu, dass sich viele Menschen nicht mehr auf generationenübergreifende Traditionen stützen konnten, die ihnen ein Gefühl des Verwurzelt-Seins vermittelt hätten (Spagnuolo Lobb 2011b).

      Viele Traditionen gehen verloren, die Dorfplätze sind durch die virtuellen »Plätze« der sozialen Netzwerke ersetzt worden. Das soziale Erleben der jungen Menschen von heute ist »flüchtig«: Unfähig, die Erregung über die Begegnung mit dem/der anderen für sich zu behalten, sind sie extrem offen gegenüber den Austauschmöglichkeiten, die die Globalisierung der kommunikativen Ströme bietet. Stellen Sie sich ein Kind vor, das Hausaufgaben macht: Wenn es Schwierigkeiten hat, muss es festgehalten werden und braucht Zuspruch, um das Problem mithilfe der Energie zu lösen, die es aufmuntert. Doch da ist kein Ansprechpartner zu Hause, niemand, der dem Kind als begrenzende Mauer helfen könnte zu verstehen, was es fühlt und was es will. Also geht es ins Internet, wo eine Suchmaschine die Lösung liefert.

      Seine Erregung wird über die ganze Welt verbreitet und es findet jede erdenkliche Antwort, doch nicht das Containment einer Beziehung, keinen menschlichen Körper, sondern nur einen kalten Computer, der das Kind nicht umarmen kann. Aus der unbeschränkten Erregung wird Angst. Diese Angst ist verstörend, und um sie nicht spüren zu müssen, muss der Körper desensibilisiert werden. Aus diesem Grund haben wir es heute mit so vielen Angststörungen (wie Panikattacken7, PTBS etc.) zu tun, mit Schwierigkeiten, Bindungen einzugehen, mit Pathologien im Zusammenhang mit der virtuellen Welt, mit körperbezogener Desensibilisierung. Unsere PatientInnen, besonders die Jüngsten unter ihnen (wie jeder weiß, der mit Jugendlichen oder jungen Paaren arbeitet) sagen Dinge zu uns wie: »Ich hatte das erste Mal mit einem Jungen Sex, doch ich habe nichts dabei gefühlt«, »Online in einem Chat fühle ich mich frei, aber ich weiß nicht, worüber ich mit meiner Freundin reden soll«, »Niemand interessiert mich so wirklich« oder »In unseren Flitterwochen hat mir mein Ehemann gesagt, dass er schon lange mit einer anderen Frau zusammen ist.« Es treten Formen des Unwohlseins auf, die mit einer Gefühllosigkeit des Körpers im Zusammenhang stehen, wie sie in der Beziehung auftritt.

      Die TherapeutIn reagiert darauf, indem sie den physiologischen Prozess des Kontaktes (das Es der Situation, wie Robine (2006a) es ausdrückt) fördert: »Atmen Sie und fühlen Sie, was an der Grenze passiert«. Außerdem unterstützt sie den Hintergrund des Erlebens: Sie findet heraus, wie (durch welche Kontaktmodalität) die PatientIn die Gestalt (oder das Problem) aufrechterhält. Mit anderen Worten: Die TherapeutIn konzentriert sich nun auf die Unterstützung des Kontaktprozesses, und zwar an dem Punkt, wo sie einst ihre Aufmerksamkeit auf die Unterstützung einer egoistischen Individualität richten musste, damit sie sich gegen andere Individualitäten durchsetzen konnte. Man könnte es auch so ausdrücken: Wenn gesund zu sein früher implizierte, herauszufinden, warum jemand gewinnt und siegreich aus dem Lebenskampf hervorgeht, so bedeutet es heute, die Wärme in intimen Beziehungen und die emotionale und körperliche Reaktion auf den/die Andere(n) zu

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