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an dem ›Symptom‹ dieses Menschen, wie es sich in genau diesem Moment zeigt? Wie trage ich dazu bei, dass dieser Ausdruck entsteht? Von hier aus kann die PsychotherapeutIn »der eigenen Erfahrung und der der PatientIn innerhalb des ko-konstruierten kinetischen Dialogs nahe bleiben« (Frank / La Barre 2010).

      Dieses Konzept der Bi-Direktionalität muss in diesem Kapitel hervorgehoben und in der Fallstudie wieder aufgegriffen werden, sodass deutlicher wird, wie wir an der Kontaktgrenze arbeiten, d. h. wie wir innerhalb eines von zwei Personen verkörperten Beziehungsmodells anstelle eines individualistischen Ein-Personen-Modells arbeiten. In ihrer Fallstudie Der verdinglichte Tod bleibt Spagnuolo Lobb nahe an dem, was sie sieht und fühlt, um die Feldstruktur aus der Perspektive der Erfahrungsbereiche zu diagnostizieren. Der Fall ist gut geschrieben, die Therapie wohl durchdacht. Gleichzeitig frage ich mich jedoch, inwiefern die PsychotherapeutIn Teil des Bereichs der Projektion gewesen ist. Mit anderen Worten: Wie die PsychotherapeutIn zur steifen Haltung der PatientIn und deren An-der-Tasche-Festhalten beiträgt. Es tauchen Fragen auf wie: Was sieht sie, die PatientIn, in der PsychotherapeutIn, dass sie die Tasche so fest halten lässt? Warum ist diese PatientIn so entschlossen, sich an sich selbst festzuhalten, anstatt nach der TherapeutIn zu greifen und sich an ihr festzuklammern? Und es stellt sich wieder die Frage, wie Worte und Körper der PsychotherapeutIn in der PatientIn widerhallen und das Beziehungsfeld kontinuierlich formen? Wenn wir mithilfe dieser Erfahrensbereiche diagnostizieren, muss uns klar sein, auf welche Art und Weise dieses Feld der Phänomene eine Reflexion der Ko-Kreation des Erlebens in jedem Moment darstellt – eine entstehende ko-kreierte Erfahrung beeinflusst das Feld der Phänomene, aus dem weitere ko-kreierte Erfahrung entsteht. Die TherapeutIn kann sich nicht aus dem Prozess der Diagnosestellung herausnehmen, der sich fortlaufend innerhalb des Ko-Kreierens der Erfahrung entwickelt.

      Abschließend möchte ich Margherita Spagnuolo Lobb zu diesem bedeutenden Beitrag zu unserem Feld gratulieren, der in diesem Kapitel gezeigt wird. Die Entstehung von Erfahrungsbereichen – Kontaktmodalitäten – ist ein wichtiges Konzept und nützlich für uns GestalttherapeutInnen, um Damals-und-Dort-Erfahrungen, die im Hier-und-Jetzt auftauchen, besser zu verstehen. Die Art von somatischer und entwicklungsbezogener Linse, die sie beschreibt, gibt uns einen festeren Boden, auf dem wir stehen können. Sie trägt dazu bei, uns alle auf dem einst verbotenen Gebiet der Entwicklungstheorie des Menschen willkommen zu heißen, was die Gestalttherapie auch weiterhin zu einer relevanten und signifikanten psychotherapeutischen Modalität macht.

      Dan Bloom

      Das Konzept der situativen Ethik als ethische Architektur der Erfahrungswelt der Psychotherapie bestimmt den Aufbau des vorliegenden Kapitels. Dieses Ethikkonzept ist der Grund, weshalb wir uns überhaupt mit Ethik befassen. Ich werde die situative Ethik beschreiben und ganz allgemein zeigen, auf welche Weise sich die Ethik unserer klinischen Praxis zu deren Bezugsrahmen verhält. Dabei stelle ich die intrinsische, die extrinsische und die grundlegende Ethik als wichtige praktische ethische Kategorien vor, die uns in unserer täglichen Arbeit als PsychotherapeutInnen leiten.

      Das folgende Beispiel illustriert das ethische Gleichgewicht, das in einem Moment intensiven Kontakts in einer Gestalttherapiesitzung entsteht.

      Ein Mann beugt sich mit gesenktem Blick vor und sagt: »Wissen Sie, ich wollte heute nicht herkommen. All diese Therapien funktionieren nicht. Nichts hat bisher geholfen und nichts wird jemals helfen. Ich fühle mich wie ein Klumpen Blei.«

      Der Therapeut merkt, dass er sich ebenfalls vorbeugt. »Jim, ich fühle mich Ihnen nahe, während Sie sprechen. Sie sind hier und Sie scheinen sich auf mich zuzubewegen. Würden Sie den Kopf heben?«

      Der Mann hebt den Kopf. Sein Blick begegnet dem des Therapeuten. Er lächelt.

      Der Therapeut lächelt … sie hören sich ausatmen, als sei es ein einziger gemeinsamer Atemzug.

      Diese Situation sieht so einfach aus, doch wir GestalttherapeutInnen wissen, dass sie komplexer ist, als sie erscheint. Wie können wir beschreiben, was in diesen Momenten geschieht? Es liegt in der Natur des In-Kontakt-Tretens, dass es sich nicht verbalisieren lässt. Beachten Sie das behutsame Vor und Zurück von Klient und Therapeut und die Offenheit und Verfügbarkeit des Therapeuten als eine gleichzeitig entstehende Präsenz. Der Klient befindet sich dabei an der Kontaktgrenze. Das Eingehen des zugegebenermaßen überschaubaren Risikos, das Therapeut und Klient hier wagen, wird möglich durch den sicheren Rahmen, den der Therapeut schafft, und der Teil der gemeinsamen Grundlage der Sitzung ist.

      Der Therapeut bringt seine klinische Erfahrung, seine Fertigkeiten, sein Fachwissen, sein Verständnis der Standards der beruflichen Praxis und assimilierter ethischer Kodizes in die Situation ein. Diese Faktoren bilden das Gerüst, das die Arbeit im Hintergrund stützt, ohne dass sich Therapeut und Klient dessen bewusst sind. Wenn nötig, wird der Therapeut bewusst und gezielt auf dieses Gerüst zurückgreifen, das für mich die grundlegende und die intrinsische Ethik der Psychotherapie darstellt.

      Doch da ist noch etwas. Der anmutige Rhythmus des gemeinsamen Erlebens von KlientIn und TherapeutIn an der Kontaktgrenze wird durch etwas Grundlegenderes geformt, nämlich durch die menschliche Eigenschaft, einander »ethisch« zu sehen – also als Menschen, die andere als Menschen erkennen und einander mit einer gewissen Erwartung, mit einer gewissen ethischen Sensibilität begegnen. Das kann man nicht lernen. Es liegt der menschlichen Struktur zugrunde. Ich werde dieses »noch etwas« fortan als situative Ethik bezeichnen, als die Ethik der menschlichen Situation, ein strukturelles Element der subjektiv wahrgenommenen Lebenswelt, in der wir alle Menschen sein können.

      Dieses Kapitel gliedert sich folgendermaßen: Im ersten Teil definiere ich die situative Ethik im Rahmen der Gestalttherapie, im zweiten Teil beschreibe ich die Gefahr der Verwechslung von extrinsischer und intrinsischer Ethik in der Gestalttherapie sowie die praktischen Auswirkungen dieser Verwechslung auf die phänomenologische Methode unserer psychotherapeutischen Praxis. Ich werde ausführen, wie schwierig es gerade für GestalttherapeutInnen sein kann, diese ethischen Kategorien auseinanderzuhalten. Dabei werde ich Probleme ansprechen, die diese Verwechslung in unserer klinischen Praxis verursacht. Und ich werde versuchen, klinisch tätigen TherapeutInnen Hilfestellung bei den schwierigen ethischen Konflikten zu geben, die unsere Arbeit aufwirft.

      Kurz gesagt: Dies ist ein in der Phänomenologie verwurzelter praktischer Leitfaden für eine Ethik der Gestalttherapie (vgl. Boeckh 2012; Gremmler-Fuhr 1999; Hutterer-Krisch 1996, 2001, 2007; Krisch 1992a; Robine 1988; Stoffl-Höll 1992).

      1. Situative Ethik

      Wie sollen wir uns zueinander verhalten? Auf diese Frage gibt es unzählige Antworten, allerdings keine Antworten, die für jeden Zeitpunkt und jeden Ort gleichermaßen gelten. Für die Zwecke dieses Kapitels sind die Antworten, so bedeutend sie auch sein mögen, weniger wichtig als die Tatsache, dass es uns immer wieder treibt, diese Fragen zu stellen. Dass wir uns solche Fragen immer wieder stellen, ist das Wasserzeichen, mit dem die situative Ethik uns Menschen versieht. Der Ethik gegenüber offen zu sein, liegt im Kern unseres Menschseins und ist daher untrennbar mit der psychotherapeutischen Praxis verbunden. Diese Fragen zu stellen und zu beantworten hat den gestalttherapeutischen Blick auf die Welt besonders geschärft.

      GestalttherapeutInnen haben immer hervorgehoben, wie wichtig es für uns ist, als Gestalter in der Gemeinschaft, als Sozialkritiker und politische Aktivisten tätig zu sein, die die Gesellschaft in Übereinstimmung mit unserer Auffassung der menschlichen Natur und der Gesellschaft reformieren (Perls / Hefferline / Goodman 2006). Neben diesem reformistischen Anspruch steht die Aufforderung, als PsychotherapeutInnen nach den der Gestalttherapie eigenen humanistischen, egalitären und nicht-autoritären klinischen Werten zu arbeiten. Die GestalttherapeutInnen von heute sprechen das Thema der gestalttherapeutischen Ethik explizit an (Joyce / Sills 2006; Wheeler 1992; Lee 2004b). Sie richten – endlich – ihr Augenmerk auf die Ethik der Psychotherapie. Sie rufen zu einem Wandel auf, von einer modernistischen »Ethik des Individualismus« zu einer »beziehungsbezogenen« »Feld-«, »Gemeinschafts-« oder »umweltbezogenen« Ethik (Wheeler 2000a; Lee 2004b; Staemmler 2009) und zu einer intersubjektiven »Ethik der Achtsamkeit«

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