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Der Spion in meiner Tasche. Helmut Spudich
Читать онлайн.Название Der Spion in meiner Tasche
Год выпуска 0
isbn 9783990013861
Автор произведения Helmut Spudich
Жанр Математика
Издательство Bookwire
Selbst wenn die Polizei ermächtigt wird, den Standort einer gesuchten Person zu ermitteln oder Telefonate mitzuhören: An den Schreibtischen im Kommissariat findet dies nicht statt, wie uns manche Sonntagskrimis suggerieren. Der Zugang zum Teilnehmer, dessen Daten überwacht und Gespräche belauscht werden sollen, muss zuerst vom »Interception Team« des Betreibers aktiviert werden. Dann werden diese Daten an eine zentrale Überwachungsstelle der Polizei ausgeleitet. Das Überwachungsteam des Betreibers selbst sieht und hört von der Überwachung nichts – dafür sorgen spezielle Verschlüsselungstechniken.
In Deutschland werden die Daten überwachter Teilnehmer an eines von neun Zentren geleitet, wo die weitere Bearbeitung durch die Ermittler erfolgt. In Österreich gibt es dafür ein polizeiliches Zentrum in der Meidlinger Kaserne in Wien. Dieses darf Information an jeweils eine Stelle bei den Landeskriminalämtern weitergeben. An dieser zentralen Stelle müssen die ermittelnden Beamten selbst vor den Bildschirmen sitzen, um im Falle eines Einsatzes Information telefonisch an die Einsatzkräfte weiterzugeben. Am Schreibtisch schnell nachschauen, wo der Täter sein könnte, oder dem pulsierenden Punkt auf dem Handy der Kommissarin folgen: Soviel Komfort gibt es nur im »Tatort«.
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Was Mobilfunker wissen
Mobilfunker haben Daten darüber, wer ihre Kunden sind, wo sie unterwegs sind, mit wem sie telefonieren oder simsen und – im Falle eines genehmigten Lauschangriffs – was der Inhalt von Gesprächen und Texten ist. Wenn mobile Daten genutzt werden, werden auch IP-Adressen erfasst, die ein Nutzer ansurft. Die Inhalte – welche Seiten angesehen wurden oder wonach gesucht wurde – sind dem Betreiber nicht bekannt, da sie meist verschlüsselt übertragen werden.
Gemessen an der Information, die ein Smartphone über viele Details der Nutzung erzeugt, sind die Daten der Mobilfunker relativ bescheiden. Und sie unterliegen im Rahmen eigener Gesetze strenger Regulierung, anders als die von Konzernen wie Google oder Facebook erfassten Daten. Durch Akzeptanz der AGBs (Allgemeinen Geschäftsbedingungen) erhalten diese Anbieter weitgehend freie Hand zur weiteren Verwendung.
Dennoch sind Mobilfunker für die Polizei die erste Adresse im Zuge von Ermittlungen, da bereits Rufnummerninhaber, Standorte und Verbindungsdaten sehr aufschlussreich sind. Auskunft gibt es nur auf staatsanwaltliche Anordnung mit richterlicher Genehmigung. Je nach Anordnung können dabei auch Inhalte ab dem Zeitpunkt der Genehmigung abgehört werden. Auskünfte werden rund um die Uhr von eigenen »Interception Teams« bei den Betreibern gehandhabt. Andere Mitarbeiter, etwa in Shops oder im Service, haben keinen Zugang zu diesen Daten.
Das Jesus-Phone
Zweites Kapitel, in dem wir erfahren, wie durch das Internet am Schreibtisch unser geliebtes Handy in die Krise gerät. Worauf ein kalifornischer Messias mit einem »revolutionären Produkt« und einem bunten Blumenstrauß an Apps erscheint, die uns künftig auf allen Wegen begleiten werden.
Die Stagnation
Manchmal kann man am eigenen Erfolg scheitern. Unter unangefochtener Führerschaft von Nokia hatte das Handy geschafft, was noch keiner Technologie davor gelang: Eine de facto 100-prozentige Marktsättigung in einer Dekade. Epidemiologen kennen das Phänomen, dass grassierende Seuchen besonders aggressiver ansteckender Krankheiten wieder zusammenbrechen, sobald der Krankheitserreger niemanden mehr findet, den er noch anstecken kann. Darum zeichnete sich am Handymarkt Mitte der 2000er-Jahre das Abklingen der Manie ab, nachdem ein Handy (fast) in jeder Hand und jeder Tasche war.
Der weltweite Verkauf stagnierte, die Geräte wurden nicht mehr so häufig durch neue Modelle ersetzt wie noch zur Jahrtausendwende. Prominente Hersteller wie Ericsson, Siemens oder Alcatel zogen sich aus dem Handymarkt zurück. Hitziger Wettbewerb sorgte für billigere Gesprächsgebühren. Gut für Konsumenten, schlecht für Mobilfunker: Die Umsätze, die zuvor in den Himmel zu wachsen schienen, begannen zu schrumpfen.
Handys waren jetzt im Alltag allgegenwärtig. Mit einer Vielzahl an Klingeltönen hatten sie das Ende des guten alten Festnetztelefons eingeläutet. In den Haushalten wurden Telefonanschlüsse abgemeldet, eine Festnetznummer war ein Zeichen fortgeschrittenen Alters. Telefonbücher verschwanden aus Büros und Wohnungen.
Ein Grund für die nachlassende Liebe: Handys schafften es nicht, mit der anderen rasanten digitalen Entwicklung dieser Jahre mitzuhalten, dem Internet. Mail hatte schon vor der Jahrtausendwende Brief und Fax weitgehend abgelöst. Das Zeitwort »googeln« wurde bereits 2004 durch Aufnahme in die 23. Auflage des Duden geadelt. Printmedien kämpften gegen Einkommens- und Bedeutungsverlust durch junge Onlinemedien an und kannibalisierten sich selbst mit Gratisausgaben. Amazon wurde zum Schrecken des Handels, Facebook begann sich im Freundeskreis breit zu machen. Ein Drittel der Bankkunden nutzte schon Onlinebanking. Von YouTube bis Spotify breitete sich Streaming von Video und Musik anstelle von Downloads aus. Aber zu dieser neuen digitalen Affäre war ein PC nötig. Die exorbitanten Datenpreise der Mobilfunker verhinderten, dass Internet am Notebook außerhalb vom WLAN im Café populär wurde. Natürlich versuchten die Handyhersteller mitzuhalten. Als »MMC«, Multimedia-Computer, propagierte jetzt Nokia seine internetfähigen Handys. Damit wollten die Finnen der Kundschaft beibringen, dass sie alle Segnungen des Internets auch am Handy nutzen konnten. Vor allem Musik, was mit der Erfindung des iPods 2001 und seines Musikdienstes iTunes unangefochten die Domäne von Apple geworden war. Später wurde diese aufgemotzte Handy-Generation »Feature-Phones« getauft. Dank billiger Preise sind sie heute noch in Ländern der Dritten Welt beliebt.
Aber mit Ausnahme von E-Mail am BlackBerry und am Nokia Communicator gelang es nicht, das Handy zu einem Teil des Internetbooms zu machen. Statt wie bisher zu emotionalisieren, wurde das Publikum mit technoiden Kürzeln bombardiert, wie WAP, UMTS, MMS oder DVB-T (Auflösung: Wireless Application Protocol, Universal Mobile Telecommunications System, Multimedia Messaging Service, Digital Video Broadcasting Handheld). So kompliziert wie die Abkürzungen waren Einstellungen, Menüs und Bedienung des Internet in der Tasche. Die Geräte waren eben in erster Linie zum Telefonieren und für SMS-Texte gemacht – der schrittweise Umbau zu »Multimedia-Computern« überforderte die technische Basis und die Kunden.
Berührende Revolution
Doch Erlösung war in Sicht und sie kam von keinem der »üblichen Verdächtigen«, wie Steve Jobs vor tausenden Fans Anfang 2007 die Branchenriesen des Handymarkts auf der Bühne des jährlichen Apple-Hochamts »Macworld« spöttisch abkanzelte. Dank der Rückkehr seines charismatischen Gründers in den 1990er-Jahren hatte Apple ein beachtliches Comeback geschafft. Mit dem MP3-Player iPod und der Musikbibliothek iTunes hatte Jobs die Musikindustrie auf den Kopf gestellt. Auf der Gerüchtebörse wurde seit langem ein Apple-Handy gehandelt. Ein Motorola-Handy mit integriertem iTunes war bisher der einzige Ausflug in diesen Bereich geblieben. Nokia hatte Grund, der Herauforderung gelassen entgegen zu blicken: Mit 50 Milliarden Euro Jahresumsatz und 437 Millionen verkauften Handys jährlich waren die Finnen mehr als doppelt so groß wie Apple.
All das hinderte Jobs nicht an vollmundigen Ansagen. »Von Zeit zu Zeit gibt es ein revolutionäres Produkt, das alles verändert«, leitete er seine mehr als einstündige Show ein. Der Mac habe nicht nur Apple, sondern die ganze Computerindustrie transformiert. Der iPod krempelte Musikkonsum samt Musikbranche um. Und jetzt bringe Apple »gleich drei neue revolutionäre Produkte« auf einmal auf den Markt: Einen iPod mit großem Touchscreen, ein revolutionäres Mobilfunkgerät und einen »sensationellen Internet-Kommunikator« – »es sind drei Geräte in einem, und wir nennen es das iPhone«.
Noch mehr als ein Jahrzehnt später ist die