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oberflächliche oder einseitige Modelle hinauszuwachsen, um einen sinnvollen Behandlungsplan erstellen zu können. Denn hier auf eine Arbeitskarenz zu drängen, konnte wohl kaum den Stein der Weisen bedeuten. Roswithas Lebensaushöhlung lag, wie letztendlich bei allen Opfern des Burnout-Syndroms, viel tiefer, hatte jedoch in der Sequenz des Berufsfelds eine passende Widerspiegelung gefunden. Die ursprüngliche Sinnbefüllung ihrer beruflichen Tätigkeit war ihr verloren gegangen. Ein System, das, wie ihr schien, sich unter allgemeinem Konsens von seiner eigentlichen Berufung resignierend abgewandt hatte und Jugendliche nur mehr durchschleuste oder für ein paar Jahre parkte, ohne ihnen tatsächliche Entwicklung zu ermöglichen, drängte sie in die Vereinsamung. Gerade als Mensch mit hoher Identifikation mit ihrem Aufgabenbereich und stark prosozialer Gesinnung erwies sich dies für sie als der berühmte „letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, als unaushaltbar und als Auslöser für den Sinnzusammenbruch.

      In der Aufarbeitung von Roswithas Burnout eröffnete sich der zu Grunde liegende tiefere Prozess, die stufenweise, im Untergrund seiner Seele verlaufende Lebensentfremdung eines Menschen, der sich einen sensiblen, gemeinschaftsorientierten und grundsätzlich liebesfähigen Persönlichkeitskern bewahrt hatte. Trotz einer harten, Gehorsam verlangenden Sozialisierung im Elternhaus war Roswitha lange höchst lebendig geblieben. Nun aber scheiterte sie. „Es trifft eigentlich die Besten“, schoss es mir während der Arbeit mit ihr immer wieder durch den Kopf.

      Doch ich wusste das noch nicht zu deuten, vermochte zu diesem Zeitpunkt die Paradoxie, die sich darin verbarg, noch nicht zu erkennen. Gerade jene, die eigentlich mit besonderem Einsatz und Gehorsam, mit besonderer Aufopferung ihre Aufgaben erfüllten und damit dem Leitbild der Gesellschaft dank eines stark installierten Über-Ichs auch besonders gut entsprachen, wurden Opfer eines Burnout-Syndroms. Obwohl doch gerade sie dem gesellschaftlichen Konsens entsprechend die Einlösung ihres Glücksanspruchs erreichen hätten sollen, statt in Sinnlosigkeit und Aushöhlung zu versinken.

      Als eindeutig unhaltbar stellte sich mir jedoch schon damals die Beschuldigung der „bösen Arbeitswelt“ als Verursacher des Ausbrennens dar. Die Arbeitswelt ist lediglich der hauptsächliche und sichtbarste Austragungsort des persönlichen Sinnverlusts und Entfremdungskonflikts des Einzelnen. Diese Erkenntnis spiegelt meine Erfahrungen in beiden Arbeitsfeldern, sowohl als Behandlerin von Burnout-Betroffenen wie auch als Beraterin in der Organisationsentwicklung von Unternehmen wider. Dass Burnout und damit die Entfremdung vom privaten Lebensumfeld, die Automatenhaftigkeit, mit der oft schon jahrelang nicht aus einer inneren Überzeugungskultur vorgegebene Zielsetzungen verfolgt werden, verläuft lediglich unsichtbarer, dem öffentlichen Blick entzogener. Der „Leistungseinbruch“, der zunehmende Mangel an Identifikation, der zumeist mit Konsum und Betäubung in Schach gehalten wird, bleibt gleichsam privates Drama. Im Berufsfeld, am Arbeitsplatz jedoch, wo zumeist viel eindeutiger nach dem Kriterium der Leistung beurteilt wird, nimmt die bestehende Dissonanz einen hässlichen, weithin hörbaren Klang an.

      Über diese Unhaltbarkeit der Verurteilung der Arbeitswelt war ich bereits 2002 in Rumänien erstmalig gestolpert, hatte mich damals gewundert, aber die Enden der Fäden noch nicht zusammenzuknüpfen vermocht. Das junge, gerade einer der unmenschlichsten Diktaturen entwachsene Land hatte sich nach einem guten Jahrzehnt als Demokratie glaubwürdig und gleichzeitig geschmeidig für den begehrlichen globalen Wanderzirkus der Fertigungsindustrie erwiesen und lockte mit Sonderkonditionen, kurzen Transportwegen an die EU-Grenzen und Billiglohnarbeitskräften. Ein Eldorado für alle, die handarbeitsintensive Produktion, von der Hirschhornknopfschnitzerei, über die Hemdennäherei oder Kabelbaumherstellung bis hin zur Lederlenkradnäherei, mit niedrigen Personalkosten verbinden wollten.

      Wir betreuten damals eine Produktionsstätte im Westbanat zur Personalentwicklung ihres neuen lokalen Management Staff. Lauter junge, enthusiastische Menschen mit teilweise fantastischen Abschlüssen, soweit sie in Rumänien zu kriegen waren, ausgerüstet mit der totalen Beseelung einer Aufbruchsstimmung. Für sich und ihr Land wollten sie den großen Wohlstand erarbeiten, Arbeitseinsatz ad infinitum inklusive. Goldgräberstimmung, ein tägliches Teamgefühl, wie man es hierzulande nicht einmal während des gruppendynamisch verordneten Fallschirmtandemspringens für Führungskräfte für die kurze Zeit in der Luft zusammenbringt. Es gab jede Menge Müdigkeit, wenn es wieder einmal galt, tagelang durchzuarbeiten, um ein fehlerhaftes Layout unter Hochdruck zu korrigieren oder den Fehler in einer abgestürzten, den Flow blockierenden Computeranlage zu beheben. Aber Burnout war ganz sicher bei niemandem in Sicht.

      Soweit zum Management. Aber auch der Rundblick im noch wesentlich härteren „production floor“, der Produktionshalle, warf jede gestandene Burnout-Theorie über den Haufen. Da saßen pro Schicht rund 800 Frauen und Männer auf harten, wackeligen Dreibeinhockern und ummantelten im Schlachthauslicht der über ihnen schwebenden Neonbalken Lederlenkräder für Nobelkarossen, in denen sie sicher nie sitzen würden. Und dies unter enormem Zeit- und Qualitätsdruck, in einem Organisationssystem, das ihnen keinerlei Mitsprache, nicht einmal bei der Wahl ihrer Schicht ließ. Sie arbeiteten in einem Unternehmen, das über sein Prämiensystem stark konkurrenzfördernd war, äußerst sparsam mit Wertschätzung und Anerkennung umging, eine für den einzelnen Arbeiter intransparente Ablaufstruktur vermittelte und keinen Wert auf Teambildung oder Kooperation legte. Ein System, das auch damit zufrieden gewesen wäre, wenn hier anstatt Menschen minuziös werkende Maschinenhände im Einsatz gewesen wären. Arbeitsschutzmaßnahmen waren in dem neuen Staat, der damals noch nicht zur EU gehörte, zwar grundsätzlich verabschiedet worden, doch nach vierzig Jahren autokratischem Ceausescu-Regime waren die Implementierung schleppend und die Kontrollen geschmeidig abzubiegen. Also saß man dort im Winter bei knackigen zwölf Grad mit klammen Fingern und im Hochsommer bei tropischen vierzig Grad, umgeben von den frei flottierenden, verbotenen Klebstoffdämpfen in der dünnen, auf die grüne Wiese gegossenen Werkhalle mit ihrem Zementboden und nähte, was das Zeug hielt.

      Noch dazu waren die Schichten umrahmt von langen Anfahrtswegen. Die zugigen Werkbusse sammelten die Belegschaft oft schon zweieinhalb Stunden vor Schichtbeginn in den umgebenden Ortschaften auf, um rechtzeitigen Schichtbeginn mit gewaschenen Händen als Werkinteresse zu gewährleisten. Es ist selbstredend, dass es sich hierbei um die Privatzeit der Mitarbeiter handelte, der An- und Abtransport als eine Sozialleistung des Unternehmens gesehen wurde. Daheim gab es dann zumeist Kinder und irgendeinen alten Verwandten zu betreuen und das diverse Kleinvieh und den Garten, Überlebensbasis jedes damaligen Rumänen, zu bewirtschaften.

      Es ist Teil meines Berufs, mich äußerst intensiv in Menschen hineinzuversetzen, einen Weg zu finden, um mit Menschen in unmittelbaren, ungefilterten Austausch treten zu können. Burnout traf ich in der stinkenden Halle, in die ich nur aus Solidarität und nicht aus Überzeugung ohne Schutzmaske ging, nie an. Nicht einmal Unzufriedenheit. Die Menschen fanden sich eingebettet in ein Sinnsystem, verbunden in einem engen familiären Zugehörigkeitsgefühl, das durchwegs von wechselseitigen, respektierten und damals nach dem Sturz des Regimes noch als naturgegeben erlebten Abhängigkeiten geprägt war. Darüber hinaus funktionierte zum damaligen Zeitpunkt die Struktur nachbarschaftlicher Zugehörigkeit und Hilfe noch mit großer Zuverlässigkeit. Hatte jemand für sein Kind keine Beaufsichtigung, so fand sich mit großer Sicherheit in der Nachbarschaft eine Unterbringungsmöglichkeit. Natürlich gab es auch Rivalitäten, Eifersucht, Neid und das ganze Spektrum menschlicher Befindlichkeitsstörungen in den Dörfern. Doch der Grundkodex von Verbindlichkeit und das Bewusstsein, aufeinander wechselseitig angewiesen zu sein, das Wissen, dass Gebender und Nehmender bedingt durch den Lebensstrom und seine Anforderungen nur zu leicht Platz tauschen können und daher der Mensch in jeder dieser Positionen mit Respekt zu behandeln ist, war im Untergrund des dörflichen Selbstverständnisses noch vorhanden. Nirgends, seit meiner Kindheit an der Hand meiner Mutter beim „Bassena-Tratsch“, habe ich in Europa so viele spontane, ungezwungene Unterhaltungen mit angehört oder Nachbarn, die in der Abendsonne gemeinsam auf der Bank sitzen, beobachten können. Oder so viel Selbstverständlichkeit einer gemeinsamen Festkultur, bei der jeder das Seine beiträgt, und sei es einen Strauß selbstgepflückter Wiesenblumen. Diese Menschen hatten damals eine Vision eines besseren Lebens, das sie bauen wollten, das Werk war ein Symbol dafür, ebenso wie alles, was sie dort erlebten.

      Ich habe diese Dörfer ein paar Jahre später noch einmal besucht, zu einem Zeitpunkt, als auf den noch immer schiefen, schlecht gedeckten niedrigen Häuserdächern bereits ein Antennenwald

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