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Druckgefühl steigt, Wichtiges kann von Unwichtigem oftmals nicht mehr unterschieden werden, der Zeitbegriff leidet. Gleichzeitig breitet sich ein großräumiger, die Gesamtheit der eigenen Existenz jeder kritischen Reflexion entziehender Verleugnungsprozess aus. Hinweise von nahestehenden Personen werden als Feindseligkeit erlebt. Der Tonfall des Gegenübers war nicht adäquat, die Wortwahl eine Beleidigung, der Ort, der Zeitpunkt falsch gewählt, lieblos und unsensibel. Immer passt irgendeine Kleinigkeit an der Form der Ansprache nicht, in die sich der Burnout-Kranke verbeißt, um so einer Auseinandersetzung mit dem gefährlichen weil kritischen, sein Tun hinterfragenden Inhalt aus dem Weg gehen zu können. Es kommt gleichsam zu einer selbstgewählten Einmauerung, die dem Betroffenen selbst jedoch uneinsichtig ist. Er fühlt sich von den anderen unverstanden, verlassen, ausgebeutet, was eine zynische Weltsicht zunehmend plausibler macht und damit die Einleitung des Rückzugs von eben diesen sowieso nur „missverstehenden“ oder „übelwollenden“ falschen Freunden oder lästigen Angehörigen als logische Konsequenz nach sich zieht. In dieser fast paranoid anmutenden Weltsicht können Unterstützung, Aufmerksamkeit oder Kontaktversuche der Umgebung nicht mehr angenommen werden. Die Tür fällt zu.

      Doch der Rückzug ist nicht die Lösung, sondern letztendlich die unwissentliche, jedoch in ihrer Folge einem grausamen Räderwerk gleichende Entscheidung, den eigenen Kopf auf der Guillotine zu platzieren. Denn mit dem Verlust eines äußeren sozialen Korrektivs und emotionalen Stützsystems befindet sich der Burnout-Patient in seiner Isolation in der zermahlenden Mechanik einer Abwärtsspirale. Nicht umsonst gehen in dieser Phase des Geschehens Beziehungen und Ehen endgültig in die Brüche. Michael singt das strophenreiche Lied der Scheidungen von seinen ihn ausbeutenden Frauen. Margret fühlt sich von ihrem Mann unverstanden und allein gelassen. Sonja verzeiht Bernhard seinen „Betrug“ rund um den Kinderwunsch nicht.

      Was dann kommt, scheint schon auf fixen Schienen zu laufen. Gefühle von Hoffnungslosigkeit und Orientierungslosigkeit nehmen überhand. Das Gefühl, von allen unverstanden zu sein, allen Menschen, die einem irgendwann nahe standen, entfremdet zu sein, sich wie hinter einer Glaswand zu fühlen, etabliert sich als Grundemotion und gräbt letztendlich auch das Selbstgefühl, die Wahrnehmung des eigenen Selbst ab. Die Depersonalisierung erreicht ihren Höhepunkt, wenn der betreffende Mensch sich selbst als Fremder gegenübersteht. Desillusionierung und emotionale Verflachung sind vorherrschend. Eine tiefe Selbstverneinung, die sich bis zur Vernachlässigung der eigenen Hygiene erstreckt, tritt auf.

      Ohne die Führung und Insistenz von Anka wäre Michael vor unserem Termin, den er auch nur an ihrer Hand wahrzunehmen vermochte, sicher nicht in die Dusche gestiegen.

      Der letzte Akt des Dramas wird von einem fast unerträglichen Gefühl der inneren Leere beherrscht. Um diesen Zustand der Nutzlosigkeit und Aufzehrung noch halbwegs auszuhalten, sind Drogen, Alkohol und Aufputschmittel ständige Begleiter der Tagesorganisation. An diesem Punkt wird einem einfach alles egal. Die Verzweiflung und die Erschöpfung haben das Ruder vollends übernommen und sind oft die einzigen wahrnehmbaren Gefühle. Initiative und Motivation sind am Nullpunkt angekommen, die Depression ist manifest geworden. Ein starkes Symptom ist hier der Wunsch nach Dauerschlaf. Suizidgedanken tauchen auf. Häufig bricht hier auch das Immunsystem zusammen, Infektanfälligkeit und ein vielgestaltiger Katalog körperlicher Beschwerden treten auf. Der Mensch im Vollbild und Endstadium des Burnout hat sich längst in „seiner Höhle“, „seinem Verschlag“ eingeigelt und seinem Schicksal, einer fortlaufenden Auslöschung seiner selbst, ergeben. Er brennt im wahrsten Sinne des Begriffs aus, bis keine Energie mehr in allen seinen Systemen ist, die parallel zu diesem Prozess, wie in einem Shutdown, zunehmend heruntergefahren werden.

      Burnout ist so gesehen eine wirklich tödliche Erkrankung.

      Sie trägt die Potenz in sich, in unterschiedlichster Form Lebendigkeit zu terminieren, bis hin zum physischen Tod des Organismus. Der schleichenden Entmenschung und Entkulturalisierung folgt der langsame physische Arrosionsprozess, oft durch Suchtmittel unterstützt, bisweilen ein langsames Dahinvegetieren auf einer niedrigen Organisationsstufe von Lebendigkeit und Lebensgestaltungsmöglichkeit, manchmal auch, angesichts einer erlebten Unaushaltbarkeit dieser Lebenssituation, eine aktive Selbsttötung.

      Burnout ist eine Regulationskrankheit des gesamten Menschen, eine Erkrankung, die wie keine andere die Verwobenheit von körperlichen, mentalen und seelischen Prozessen vor Augen führt und nur durch einen holistischen, also ganzheitlichen Ansatz verstanden werden kann. Burnout ist aber noch viel mehr. Jeder Burnout-Patient ist eine eindringliche Warnung vor einer drohenden gesellschaftlichen Gesamtkatastrophe. Diese Botschaft zu deuten, würde mich allerdings noch einige Zeit kosten…

      Interdependenz – das dynamische „misfit“

      Aber warum erkrankt eine bestimmte Person in einem spezifischen Arbeits- und/oder Lebensumfeld, während es einer anderen gelingt, wenn schon nicht wie der sprichwörtliche Fisch im Wasser, so doch zumindest unbeschadet sich im selben Terrain zu bewegen?

      Damit es mir möglich wurde, in diese Frage wirklich sinnvoll einzudringen, war es notwendig, mich von einem statischen Ursache-Wirkungsprinzip frei zu machen und mich auf das Wagnis einzulassen, Menschen und ihr spezielles Arbeitsund Lebensumfeld als ein jeweils individuelles dynamisches Ganzes, als ein interdependentes Feld sehen zu lernen.

      Dass für die Entstehung von Burnout zwar grundsätzlich förderliche Aspekte von Seiten der Organisation und des Lebensumfelds wie auch von Seiten des Individuums selbst auszumachen sind, dies aber für das tatsächliche Auftreten von Burnout nicht entscheidend ist, war dabei eine wesentliche Erkenntnis. Die finale Weichenstellung erfolgt in einem absolut persönlichen Tanz zwischen dem Einzelnen und seinem Umfeld. Dies zu verstehen, war ein entscheidender Schritt für die Entwicklung einer Sicht auf Burnout, die in der Folge der tatsächlichen tieferen Bedeutung dieses Syndroms gerecht werden konnte. Letztendlich erwies sich das rückblickend auch als der Schlüssel zur Abkehr von einem Behandlungsansatz, der entweder die Organisation verteufelt oder aber auf der anderen Seite auf die Wunde des Burnout-Patienten ein Pflaster klebt, um ihn damit ruhigzustellen.

      Die Begegnung mit Roswitha lehrte mich in diesem Punkt Wesentliches. Sie demonstrierte für mich diesen Balanceverlust, dieses ganz persönliche „misfit“ zwischen dem Individuum und seinen erlebten Anforderungen, in eindrucksvoller Weise und befreite mich so von der Altlast, weiterhin einseitig in der Arbeitswelt den Hauptschuldigen sehen zu müssen:

      Roswitha kommt auf Anraten ihres Internisten zu mir zur Behandlung. Burnout ist seit langem ein Thema, das sie in ondulierender Form begleitet. Sie hat immer um den Rand herum oszilliert, wie sie es beschreibt, ein paar Monate Krankenstand mit ein paar Tagen Arbeit dazwischen, dann die Sommerferien, den Herbst irgendwie durchstehen, dann wieder Weihnachtsferien und eine Grippe. So ging das seit Jahren, aber die letzten Monate gestalteten sich zunehmend bedrängender – jetzt geht eigentlich nichts mehr. Wir vereinbaren gleich einen Termin für den mittleren Nachmittag, denn zu einem früheren Zeitpunkt des Tages ist es ihr derzeit nicht möglich, es pünktlich zu schaffen, da sie für alle Verrichtungen der Selbstorganisation bereits eine lange „Vorlaufzeit“ braucht.

      Eine knappe Woche später sitzt mir eine abgekämpfte, unrastige Frau gegenüber, deren Verzweiflung auch für den ungeübtesten Beobachter greifbar wäre. Roswitha ist 48 Jahre alt, hat eine erwachsene, studierende Tochter, lebt mit Kurt, der Pädagoge ist, seit seiner Scheidung vor sechzehn Jahren in einer Lebensgemeinschaft und ist ebenfalls Pädagogin in einer Berufsschule. Die Schule hat sie ausgehöhlt, Schicht für Schicht aus ihr herausgekratzt, und jetzt ist nur mehr eine dünne Hülle von ihr da, entwirft sie ein Bild, das ihren Zustand illustrieren soll. In den Jahren davor ist es noch gegangen, doch die letzten Monate haben sie nun endgültig in die Knie gezwungen. Ich bitte sie, zu erzählen, und höre eine seltsam anmutende Geschichte, die eigentlich ein Anti-Burnout-Programm einer kooperativen, Burnout-präventiven Organisation sein könnte. Bis auf ein paar sehr persönliche Kleinigkeiten.

      Ursprünglich hat Roswitha mit großer Freude die Gelegenheit ergriffen, vor zweiundzwanzig Jahren in die Berufsschullehrerlaufbahn einzutreten, statt den ungeliebten väterlichen Betrieb mit all den bestehenden Problemen mit den Angestellten, dem Pachtvertrag für die Betriebsstätte und den anspruchsvollen Kunden alleine weiterführen

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