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      Martina Leibovici-Mühlberger:

      Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden

      Alle Rechte vorbehalten

      © 2016 edition a, Wien

       www.edition-a.at

      Cover: JaeHee Lee

      Gestaltung: Hidsch

      Lektorat: Gudrun Likar

      ISBN 978-3-99001-171-3

      INHALT

       Keine Einleitung, sondern es geht gleich los, denn die Zeit drängt

       »Die checken einfach ihren Auftrag nicht!«

       Bedauerliche Einzelfälle – oder steckt System dahinter?

       Was heißt hier »fit for life«?

       Willkommen in der schönen neuen bunten Welt

       Wie sich unser Menschenbild verändert hat oder Wer wir heute sind

       Kind ja oder nein?

       Welches Bild wir uns von Kindheit gezimmert haben und vom Aufruhr in den Erziehungsgrundsätzen

       Wohin die neuen Erziehungsparadigmen führen – ein Beispiel

       Narzissten haben Hochkonjunktur in der neuen Erziehungskultur

       Wie unser Gehirn darüber entscheidet, wer wir sind

       Die Tatorte des Verbrechens – Wie Max und Anna begreifen lernen, dass die Welt ihrer Eltern scheiße ist

       Peergroup – Ersatzfamilie mit Eigenheiten

       Wenn die Tyrannenkinder erwachsen werden

       Zwei Welten, die auseinanderdriften

       Der Point of no Return ist längst überschritten

       Manchmal habe ich einen Traum

       Wir leben in der besten aller Welten

       Ein Appell an die besonnenen Kräfte

      Keine Einleitung, sondern es geht gleich los, denn die Zeit drängt

      Wer sich hier einen Erziehungsratgeber der üblichen Sorte erwartet, klappe den Buchdeckel am besten gleich wieder zu. Wer sich auf einen Text einzustellen vermag, der seinen Kompass deutlich in die Richtung einer Publikumsbeschimpfung ausgerichtet hat, möge weiterlesen und später entscheiden, ob er dieses Traktat allzu heftig, einfach übertrieben oder ungebührlich findet. Wer es allerdings schafft, Sachverhalten ins ungeschminkte Auge zu blicken, es versteht, Puzzlesteine zu foresight Szenarios zusammenzusetzen, über ein kämpfendes Herz verfügt und eigenes Grauen in bleischweren Albträumen gewöhnt ist, wer also Schockierung aushält, der wird hier das finden, wozu ich mich bekenne: Herbe Kritik am bestehenden Gesellschaftssystem, also an jedem Einzelnen von uns. Und dieser ist meine Leserin und mein Leser!

      Ausschlaggebend für diesen Text, der in den letzten Jahren im Zuge vieler Gespräche, Vortragserfahrungen, Beratungssituationen, Kontakte mit engagierten Journalisten, Eltern, Pädagogen, Ausbildungsteilnehmern und zufälliger Begebenheiten Gestalt angenommen hat, war ein langer, nachdenklicher Blick meiner jüngsten Tochter und ein simpler, messerscharfer Kommentar, den sie beim Abendessen abgab.

      Ich kann mich nicht mehr drücken. Ich muss jetzt in Form dieses Textes laut werden. Auch wenn es unangenehm wird, mir scheele Blicke oder auch offene Feindschaft eintragen wird, muss ich das Risiko klarer Worte auf mich nehmen. Denn ich habe mir das, was man »Überblick« nennt, über lange Zeit hinweg in redlicher Beschäftigung mit dem Thema erarbeitet. Ich bin in den letzten fünfzehn Jahren viel in Österreich, aber auch in anderen deutsch oder englisch sprechenden Regionen Europas herumgekommen. Ich leite ein Institut, das sich derzeit in fünf unserer Landeshauptstädte darum bemüht, psychosoziale Beraterinnen und Berater mit dem Schwerpunkt Erziehungsberatung auszubilden. Ich teile mit dem Beratungsteam unserer Onlineberatung das Wissen darum, wie es in österreichischen, deutschen und eidgenössischen Kinderstuben so aussieht. Seit mehreren Jahren tausche ich mich mit Fachkolleginnen und -kollegen aller europäischen Staaten in der Working Group on the Quality of Childhood im EU-Parlament zum Thema Gesellschaftsentwicklung sowie zu Erziehung und zum gesellschaftlichen Verständnis von Kindheit aus. In zahlreichen unserer Sitzungen führt Besorgnis Regie und ist der dringende Wunsch zu vernehmen, bei allen Bürgerinnen und Bürgern ein Bewusstsein dafür zu wecken, wie sehr die Kindheit, in der so viele Weichen gestellt werden und in der man so verletzbar ist, heute unter dem Primat einer rücksichtslosen Steigerungsgesellschaft verwaltet wird, die ihr brutales Gesicht hinter einer verführerischen Karnevalsmaske verborgen hält.

      Das alles bereitet mir seit Längerem heftiges Kopfzerbrechen, das weder durch Schönreden noch durch entschiedene Ignoranz zum Verschwinden zu bringen ist. Meinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern geht es übrigens genauso. Das macht es noch viel schwieriger, weiterhin zu schweigen. Immer öfter hängt in Falldiskussionen dieses »Wie weiter?« als ohnmächtiges Schweigen drohend in der Luft. Die Helfersysteme scheinen am Ende zu sein, können gekenterte Boote nur vor dem endgültigen Absaufen retten, aber nie wirklich segeltüchtig für die Lebensregatta machen. Die zukünftige Katastrophe nimmt in vielgestaltiger und vor allem systematischer Form bereits deutlich sichtbare Kontur in den verschiedenen Entwicklungsbiographien an.

      Ich gebe in Diskussionsrunden gerne die Optimistin und in mir steigt heiliger Grimm hoch, wenn einer der Altvorderen – zu denen ich jahrgangsgemäß ja auch schon zähle – unsere Kinder und Jugendlichen wieder einmal als weniger oder gar nicht tauglich im Vergleich zu früheren Generationen abqualifiziert. Aber ich kann gewisse Daten und Sachverhalten nicht ignorieren und muss nach den zugrunde liegenden Ursachen fahnden.

      Übergewichtig, ja am Rande der Fettleibigkeit, »chillbewusst« und im Gegenzug leistungsverweigernd, bereits am Beginn der Pubertät gefährdet, später einmal an ernsthaften, chronischen systemischen Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Diabetes mellitus zu leiden, in großem Umfang suchtgefährdet und psychisch so krank, dass die psychotherapeutischen Kassenplätze für Kinder und Jugendliche gerade erst verdoppelt werden mussten – so treten uns immer mehr Kinder und Jugendliche als Repräsentanten der von der Politik proklamierten und herzhaft geforderten leistungsstarken Zukunftsgesellschaft gegenüber.

      Prost

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