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da der SED-Staat sukzessive die Kontakte zwischen den ost- und westdeutschen Diözesanteilen einzuschränken versuchte und die westdeutschen Bischöfe schließlich ab 1966 mit einem totalen Einreiseverbot in die DDR belegte.215 Das staatliche Ziel war die Loslösung der katholischen Kirche in der DDR von den bundesdeutschen Diözesen, analog zur Entwicklung in den evangelischen Kirchen.216 Die Kirche musste deshalb fürchten, dass sich der SED-Staat infolgedessen in ihre inneren Angelegenheiten einmischen könnte. Bereits 1962 hatte das Staatssekretariat für Kirchenfragen in der DDR signalisiert, dass es dem Souveränitätsanspruch des SED-Staates zuwiderlaufe, wenn er bei Fragen die Katholiken in der DDR betreffend, mit westdeutschen Bischöfen in Kontakt treten müsse.217 Diesen Entwicklungen folgend hatte sich der Berliner Erzbischof und Vorsitzende der Berliner Ordinarienkonferenz Alfred Kardinal Bengsch 1966 in Rom für eine ernsthafte Erwägung der „Sicherung der kirchlichen Administration und Jurisdiktion im Gebiet der DDR“218 eingesetzt. Um die Jurisdiktion in diesen Gebieten auch weiterhin gewährleisten zu können, schlug Bengsch in Rom vor, im Zusammenhang mit der Ernennung von Apostolischen Administratoren für Westpolen auch in Ostdeutschland derartige Regelungen zu treffen.219 In Vorbereitung auf den zwanzigsten Jahrestag der Gründung der DDR 1969 forcierte der SED-Staat im Rahmen seiner gesteigerten Souveränitätsbestrebungen eine Loslösung und Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR.220 Höhepunkt dieser Strategie war die am 14. Mai 1969 von Staatssekretär Hans Seigewasser abgegebene Erklärung, dass im Todesfall eines Weihbischofs der von Westdeutschland ernannte Nachfolger von der DDR-Regierung nicht mehr anerkannt werden würde.221 Der Paderborner Erzbischof hatte bereits 1967 Vorkehrungen getroffen, die im Falle einer Paderborner Sedisvakanz die Stabilität und Kontinuität in Magdeburg sichern sollten. Das Amt des Generalvikars würde zwar wie kirchenrechtlich vorgeschrieben mit Erledigung des Paderborner Bischofsstuhls erlöschen, jedoch nicht Rintelens Amt als Erzbischöflicher Kommissar. Dazu hatte ihm Erzbischof Jaeger alle Vollmachten übertragen, die ein Bischof delegieren kann.222 Schwieriger zu beantworten war hingegen die Frage, wie im Falle eines alters- oder gesundheitsbedingten Rücktritts der Kommissare in der DDR zu verfahren sei. Dem kirchenrechtlich vorgesehenen Ablauf folgend, hätte die Ernennung eines Nachfolgers das Eingreifen des zuständigen westdeutschen Bischofs erfordert. Aufgrund von Sondierungsgesprächen mit staatlichen Repräsentanten war Kardinal Bengsch zu der Auffassung gelangt, dass, sollten die Nachfolger zu westdeutschen Weihbischöfen ernannt und anschließend in die DDR geschickt werden, der SED-Staat sie als westliche Beauftragte ansehen und möglicherweise in ihrer Amtsführung behindern würde.223 Gerade im Vorfeld des zwanzigsten Jahrestages der Staatsgründung mussten die ostdeutschen Bischöfe daher besonders darum bemüht sein, „dass den staatlichen Behörden keine Möglichkeit gegeben wird, sich in die kirchliche Verwaltung unter dem Vorwand ihrer Souveränitätspolitik einzuschalten.“224

      Die ohnehin konfliktreichen innerkirchlichen und politischen Rahmenbedingungen spitzten sich schließlich drittens durch persönliche Faktoren zu. Weihbischof Rintelen hatte gegenüber der Berliner Ordinarienkonferenz und gegenüber Kardinal Jaeger mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass er „mit Erreichen des 70. Lebensjahres die Leitung des Kommissariates niederlegen“225 würde. Dies entsprach den durch das Konzil erneuerten Altersgrenzen zur Emeritierung von Bischöfen.226 Da Friedrich Maria Rintelen 1899 geboren wurde, wurde diese Frage spätestens im Dezember 1969 akut. Darüber hinaus hat es auf verschiedenen kirchlichen Ebenen Kritik an Rintelens Führungsstil im Kommissariat Magdeburg gegeben. Dies dürfte etwaige Nachfolgeplanungen zusätzlich motiviert haben. Klagen über den Führungsstil des Magdeburger Weihbischofs breiteten sich nicht nur innerhalb des Erzbischöflichen Kommissariates aus. Sie gelangten auch nach Paderborn und Berlin. Bereits Anfang der 1960er Jahre hatte sich in bestimmten Magdeburger Kreisen ein „Unbehagen gegen den Weihbischof“227 entwickelt. Ob es sich hierbei nur um eine Minorität im Klerus gehandelt hat, lässt sich nicht zuverlässig eruieren. 1965 berichtete der Hallenser Studentenpfarrer und Leiter des Sprachenkurses Adolf Brockhoff dem Paderborner Erzbischof von der Unzufriedenheit verschiedener Gruppen und Kreise mit der Art und Weise, wie Weihbischof Rintelen das Kommissariat leitete: „Der Weihbischof ist seit langem überfordert. Er ist überfordert sich der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Situation in der DDR zu stellen. Er ist überfordert, die großen Aufbrüche des Konzils wirklich zu begreifen und sie zum Impuls eines neuen Anfangs zu machen. Er ist überfordert, an den täglichen Nöten und Sorgen von Priestern und Volk zu partizipieren.“228 Trotz dieser Kritik und den unterschiedlichen theologischen und pastoralen Standpunkten, die Rintelen und bestimmte reformorientierte Teile des Magdeburger Klerus vertraten, herrschte ein menschlich ausgewogenes Verhältnis.229 Allerdings gab es einen Priester - er gehörte dem Reformflügel im Klerus offensichtlich nicht an – der, vermutlich persönlich betroffen, für die Situation im Kommissariat Magdeburg in den 60er Jahren, die seiner Meinung nach von „Resignation“ und innerer „Emigration“ der Priester sowie einer grundlegenden Enttäuschung unter den Laien geprägt gewesen sei, vor allem die Person des Magdeburger Weihbischofs verantwortlich machte und ihn gegenüber dem Berliner Erzbischof Bengsch denunzierte.230

      Dass es Schwierigkeiten im Kommissariat gegeben hatte, die mit dem Weihbischof in direkter Verbindung standen, war trotz der staatlich gewirkten Isolation in Paderborn nicht verborgen geblieben. Jedoch ergibt sich aus den Quellen ein ambivalentes Bild, wie Lorenz Kardinal Jaeger mit diesen Problemanzeigen umging und sie bewertete. Quellenkritisch eher skeptisch zu beurteilen sind Notizen von Adolf Brockhoff, anlässlich eines der seltenen Gespräche zwischen dem Kardinal und Teilen seines Magdeburger Klerus in Ost-Berlin 1965. Weihbischof Rintelen sei demnach in Kardinal Jaegers Auffassung: „Kein Gesprächspartner. Er entzieht sich. Er bagatellisiert. Er verharmlost. Sie sind zu stark und zu selbstbewusst für ihn!“231 Pfarrer Brockhoff hielt in einem offiziellen Brief an den Paderborner Kardinal 1970 nochmals fest: „Schon lange ist das Kommissariat ohne eine echte Führung. Das wissen Sie so gut wie ich. In dem Gespräch, das Sie mir im Januar 1966 gewährten und das Sie spätestens (‚in welcher Form auch immer!‘) im Mai desselben Jahres fortsetzen wollten, haben Sie das bestätigt, was viele wussten und was der Berliner Bischof z.B. - gar nicht zimperlich - laut aussprach.“232

      Der Berliner Erzbischof Alfred Bengsch scheint für die Nachfolgeregelung in Magdeburg eine als ambivalent zu charakterisierende Schlüsselrolle eingenommen zu haben. Er selbst hatte in einem vertraulichen Brief an den Paderborner Erzbischof und Kardinal seine Rolle eher passiv dargestellt und die Initiative allein bei Lorenz Jaeger gesehen.233 Erzbischof Jaeger war über die Darstellung in diesem Brief in höchstem Maß empört. Er verfasste daraufhinquer über den Brief des Berliner Kardinals - handschriftlich seine Wahrnehmung der Entwicklungen: „Die Vorgeschichte die schon in der 3. Konzilsperiode anfing, als der H.H. Apost. Nuntius mir mündlich interessierte, dass für Exz. Rintelen, der der Aufgabe nicht mehr gewachsen sei, ein Nachfolger oder ein Koadjutor bestellt werden müsste. Ich habe widersprochen, weil das Urteil darüber mir und nicht Erzb. Bengsch zustehe. Nachfolgende Aussprache in Rom + erneut später in Ostberlin hat Erzb. Bengsch versprochen, ein loyales Verhalten gegenüber WB Rintelen + dem Erzb. Kommissariat Magdeburg. De facto hat Erzb. Bengsch in Bad Godesberg weiter gegen Rintelen gearbeitet, wie gelegentliche Äußerungen des Herrn Nuntius mir gegenüber gezeigt haben.“234 Offensichtlich war Kardinal Jaeger weder während des Konzils in Rom noch zu einem späteren Zeitpunkt bereit, sein bischöfliches Alter Ego in Magdeburg abzusetzen. Stattdessen informierte er seinen Weihbischof über die Berliner Pläne235 und versicherte ihn seiner Loyalität.236

      Flankiert wird der Befund aus kirchlichen Quellen durch Akten des Ministeriums für Staatssicherheit. Prälat Otto Groß237, einer der engsten Mitarbeiter von Kardinal Bengsch im Ost-Berliner Ordinariat und zugleich der bischöflich beauftragte Verhandlungspartner mit dem MfS in der DDR, entfaltete in einem Gespräch 1968 verschiedene Gedanken und Einschätzungen des Berliner Erzbischofs zur Lage im Kommissariat Magdeburg, die der Führungsoffizier festhielt.238 Kardinal Bengsch sei demnach der Meinung gewesen, dass das Kommissariat in einer „gefährdeten Lage“239 sei, weil hier „einflussreiche Gruppen katholischer Geistlicher und Laien vorhanden [sind S.H.], die in Opposition zur Leitung der katholischen Kirche in der DDR stehen.“240 Bengsch habe wenig Zutrauen in die

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