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am Leiden und stürzen sich voll Eifer in die Welt, um diese zu verändern und zu verbessern, auf dass Schmerzen und Leiden weniger werden. Dieser Idealismus ist gut und heilsam. Er treibt die Menschen an, sich nicht abzufinden mit dem Bösen und sich zu engagieren gegen das Leiden. Und doch: Zum Erwachsenwerden gehört, dass man im Weltverbessern gelegentlich auf die Nase fällt, dass man einige Male Ohnmacht, Hilflosigkeit, Trauer durchleidet, dass man bestimmte Verluste als unwiederbringlich und bestimmte Mängel als nicht überwindbar akzeptiert, dass der Idealismus geerdet wird. Eine zerbrochene Liebe, eine schwere Krankheit, der Tod eines nahen Menschen, ein Scheitern beruflicher Pläne …, solche Erfahrungen helfen, in der realen Welt anzukommen, nüchtern zu werden, auf letzte Fragen zu stoßen. Doch stellt sich die Frage: Brauchen wir Krisen und Schmerzen, um zu reifen? Und warum ist das so? Warum gibt es kein schmerzfreies Reifen? Wer so erwachsen wurde, kann in Resignation und Bitterkeit verfallen – oder er lernt, neu und anders auf die Welt zuzugehen. Wem schon als Kind schweres Leid zugefügt wurde, hat es besonders schwer: Misstrauen, Angst und Verletzung sitzen tief und sind oft kaum heilbar. Manches Opfer des Bösen wird später schnell zum Täter des Bösen. Warum diese fatale Abfolge? Liegt da eine Absicht in der Schöpfung? Sicher dürfen wir Leid nicht rein pädagogisch verstehen – aber wie dann?

      Der Glaube thematisiert das Leiden. Kann er es erklären? Will er es erklären? Wie hilft er, das Leiden zu bewältigen? Darf oder soll das Leiden in die gelebte Beziehung zu Gott einfließen? Bewirkt dies etwas und was? Manchmal wird auch im Glauben das Leiden zu schnell weggeredet, wegspiritualisiert, wegästhetisiert – in tiefer Predigt, in stimmungsvoller Meditation, in schöner Liturgie und Musik. Schnelle Formeln und angenehme Gefühle sind jedoch schwache Trostpflästerchen – die Wunde bricht wieder auf, und dann sieht man sich getäuscht, legt die Religion gleich ganz beiseite, denn sie sei ja doch nur Opium für das leidende Volk. Auch lastet auf dem Glauben der schwere Vorwurf, er vertröste auf das Jenseits: Hier auf Erden müsse man das Leiden erdulden, Gott wolle das so, im Jenseits gibt es dafür ewigen Lohn – im Verlauf des Buches werden diese Fragen aufgegriffen.

      Wer Leid nie wahrnimmt, lebt in der Lüge, nicht in der Wirklichkeit; folglich kann er diese nicht gestalten und seinem Auftrag nicht gerecht werden. Leid wahrzunehmen erfordert Mut und Kraft, Ehrlichkeit und Geduld, Hellsicht und Unterscheidung der Geister. Als Christen haben wir den Auftrag, Leid wahrzunehmen, denn Gott will das Leid nicht. Gott selbst nimmt Leid wahr und engagiert sich dagegen.

       Gut geschaffen auf das Ziel hin

      Aus Nichts hat Gott die Welt geschaffen. Nach dem Zeugnis der Bibel hat er sie gut geschaffen. Den Menschen zu bilden, war Schluss- und Höhepunkt der Schöpfung. Ist der Mensch wirklich Höhepunkt? Ebenbild Gottes soll er sein, also Person, Geist, in Freiheit, bewusst seiner selbst, mit einem sittlichen Anspruch, auf ein Du hin und vom Du her konstituiert. Gott wollte die Welt und den Menschen so und nur so erschaffen.

      Der Mensch ist auf ein Ziel hin geschaffen. In den Exerzitien (»Prinzip und Fundament«, EB 231) beschreibt Ignatius das Ziel: »Der Mensch ist geschaffen, um Gott unseren Herrn zu loben, ihm Ehrfurcht zu erweisen und zu dienen und mittels dessen seine Seele zu retten.« Diese Formulierung ist alte Theologie, und sie findet sich fast wörtlich in Katechismen und Schulbüchern. »Loben« und »Ehrfurcht erweisen« meint die freundschaftliche Beziehung zu Gott, voll des Dankes, des Respekts, der Freude und des preisenden Anerkennens des Guten, das man empfängt. »Dienen« meint die Mithilfe an der Arbeit Gottes in seiner Schöpfung (vgl. EB 236), das Reparieren und Vollenden dessen, was noch krank ist und nach Erlösung schreit. »Die Seele retten« ist nicht rein jenseitig gemeint, sondern auch diesseitig, denn »retten« (salvar, salvación) ist der umfassende irdische Frieden und Trost, der allerdings in der Ewigkeit unendlich vertieft und überboten wird. Der Ausdruck ist passivisch gemeint, denn Gott rettet die Seele – aus reiner Gnade. Der Mensch kann sich »mittels« seines Lobens und Dienens nur dieser Gnade öffnen – allerdings ist dieses Öffnen selbst noch einmal von Gott gnadenhaft in ihm gewirkt. Beschreibt man das Ziel des Menschen moderner und zugleich biblischer, so heißt es »Reich Gottes«: In diesem werden alle Menschen leben, von Gott geführt, in Frieden und in Gerechtigkeit, glaubend, hoffend und liebend, in Dank und in Freude, im trostvollen und erfüllten Miteinander und mit Gott.

      So weit die gut gewollte und gute Schöpfung. Woher jedoch in ihr das Übel, das Böse, das Leiden? Zunächst weist Ignatius darauf hin, dass »die übrigen Dinge auf dem Angesicht der Erde« dafür geschaffen sind, dem Menschen »zur Erreichung seines Zieles zu helfen«. Man soll sie also schätzen, genießen und nutzen – aber auf das Ziel hin! Nun tragen die »Dinge« jedoch in sich eine Ambivalenz: Manche helfen zum Ziel, andere nicht. Deshalb soll man sie so weit gebrauchen, als sie zum Ziel helfen, und so weit lassen, als sie zum Ziel »hindern«. Inwiefern hindern sie?

      Die Dinge hindern oder halten ab vom Ziel, wenn wir unser Herz an sie binden und sie als Werte in sich begehren, anstatt sie als Mittel zum Ziel zu nutzen. Ist das Herz an Dinge gebunden, ist es wie benebelt und sieht nicht mehr im Geschöpf den Schöpfer, sondern nur noch, wie es zu Besitz und Genuss gelangt. Im Begehren der Sache um ihrer selbst willen liegt Unfreiheit. Der Mensch hat keine Distanz mehr zu den Dingen, er kann nicht annehmen, was ihm geschenkt wird, sondern er begehrt immer mehr, fixiert sich auf das Haben und Gelten und Großsein (vgl. EB 142; Mt 4,1–11); das Essen muss immer noch raffinierter, das Auto schneller, der Job machtvoller, das Prestige großartiger werden. Weil die Dinge den Menschen versklaven, werden sie zum Übel und verführen zum Bösen.

      Warum aber begehrt der Mensch immer mehr? Mehr an Besitz und Genuss und Lust, an Macht und Anerkennung, an Rechthaben und Wichtigsein? Grund ist nochmals genau die Gottebenbildlichkeit: Wir sind auf Unendliches und Ewiges, auf die Fülle und den Himmel, auf Göttliches und Gott hin angelegt. Spirituelle Meister sprechen von der Sehnsucht (Ignatius: span. deseo) nach Gott, Mystiker vom göttlichen Seelenfünklein. Diese – gute – Anlage motiviert uns, nach Gott und seinem Reich zu streben und uns um Vergöttlichung zu bemühen. Sie kippt aber allzu oft dahin um, dass wir die irdischen, geschöpflichen Grenzen nicht akzeptieren und jetzt schon sein wollen wie Gott, eben groß und reich und schön, schmerzfrei und immer jung, allwissend und allmächtig, perfekt und ewig. Die »Dinge« verheißen uns solche Glückseligkeit, deswegen verführen sie uns dazu, sie »ungeordnet« zu begehren, eben mehr, als unsere geschöpfliche Begrenztheit erlaubt.

      Die Frage, woher das Leiden kommt, ist damit noch keineswegs beantwortet, sondern gerade erst gestellt: Warum hat Gott eine so unvollkommene Schöpfung geschaffen? Warum ist der Mensch schon auf den Himmel und dessen Glanz hin angelegt, muss aber noch so eng begrenzt auf Erden dahinvegetieren? Warum hat er so wenig Widerstandskraft gegen die Begierlichkeit, die ihn zum Bösen verführt? Warum gibt es in der doch guten Schöpfung so viel Krankheit und Not, so viel Mangel und Unrecht, so viel Neid und Ehrgeiz, so viel Fressen und Gefressenwerden? Warum schaut Gott nicht hin, wenn seine Geschöpfe aus Gier einander umbringen?

      Was ist die rechte Haltung, in dieser guten und doch so ambivalenten Welt zu leben? Ignatius nennt sie »Indifferenz«: Was mir gegeben wird, nehme ich gerne an, was nicht, das lasse ich los; ob mein Leben lang ist oder kurz, gesund oder krank, reich oder arm, ist weniger wichtig. Ich erstrebe nur, was mir zum »Ziel« hin hilft, also zum Dienst und zum Lob Gottes. »Indifferent« meint bei ihm nicht »gleichgültig« – das wäre der moderne Begriff –, sondern »gleichförmig«: dem gegenüber, was mir – letztlich von Gott – zugedacht oder zugemutet wird. Der Indifferente ist frei von ungeordnetem persönlichem Begehren und daher verfügbar für den Dienst, der auf ihn zukommt. Indifferent zu werden ist ein lebenslanger Weg, der auf Erden nie beendet sein wird. Vor einer Entscheidung soll ich mich »indifferent machen« (EB 23), also gegenüber den konkreten Alternativen aktiv diese Haltung einnehmen; zugleich ist es eine allgemeine Grundhaltung, in der ich ein Leben lang wachsen und reifen soll. Das Ideal ist hoch – für die meisten unerreichbar? Warum ist es so schwer, indifferent und frei und verfügbar zu werden?

      Die Welt ist gut geschaffen. Der Mensch ist Spitze der Schöpfung und Ebenbild Gottes, was ihm seine Größe und Würde verleiht, ihn aber auch dazu verführt, die geschöpflichen Grenzen zu überschreiten und sein zu wollen wie Gott, also mehr

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