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vorkommen. Zu diesem Image tragen zum einen theologische und ethische Ansichten bei, die mit einem modernen Weltbild als unvereinbar erscheinen (z. B. eine kirchliche Sexualmoral oder die Rollen von Frauen in kirchlichen Vollzügen), aber auch hierarchische Strukturen, die in einer demokratisch verfassten Gesellschaft als nicht mehr opportun erachtet werden. Dann nennen viele Ausgetretene die Kirchensteuer als Austrittsgrund. Manchen ist sie zu hoch für den Service, den sie im Gegenzug bekommen. Anderen dient sie als Symbol für den Reichtum der Kirchen, der entweder nicht mit ihrem jesuanischen Anspruch vereinbar erscheint oder in den Augen der Ausgetretenen unzweckmäßig eingesetzt wird.

       Ulrich Riegel

      Professor für Praktische Theologie/Religionspädagogik an der Universität Siegen.

       Tobias Faix

      Professor für Praktische Theologie/Gemeindepädagogik sowie interkulturelle und empirische Theologie an der CVJM-Hochschule Kassel und Leiter des Forschungsinstituts empirica für Jugend, Kultur & Religion.

      Weiterhin werden negative Erfahrungen mit den Kirchen angeführt. Einigen erscheint die Kirche im Alltag als zu bürokratisch und zu wenig dem Menschen zugewandt. Andere beklagen einen Lebensstil von Pastoren und Priestern, der dem gepredigten Anspruch beider Kirchen widerspricht. Schließlich fallen in diese Motivgruppe auch persönliche Enttäuschungen, die aus Versäumnissen und Fehlverhalten in der Seelsorge entspringen, etwa wenn sich Menschen in ihrer Trauerarbeit von der Seelsorgerin oder dem Seelsorger nicht ernst genommen fühlen.

      Dann verlassen Menschen die Kirchen, weil sie ihren Glaubens- und Moralvorstellungen nicht mehr zustimmen können. Diese Divergenz – etwa in der Frage, ob gleichgeschlechtliche Paare mit dem Segen Gottes zusammenleben dürfen – führt Menschen dazu, der Institution, die für sie nicht mehr nachvollziehbare Inhalte vertritt, den Rücken zu kehren. Schließlich berichten Ausgetretene auch davon, dass sie nicht mehr glauben oder auch glauben könnten, ohne einer Institution anzugehören. In diesem Fall stellt die individuelle Religiosität das Austrittsmotiv dar, die entweder erloschen ist oder auf eine Art und Weise gelebt wird, bei der man keiner Kirche bedarf.

      Diese Liste an typischen Austrittsmotiven erweist sich über die Jahre als erstaunlich beständig. Bereits in den ersten Untersuchungen Anfang des letzten Jahrhunderts finden sich ihre wesentlichen Konturen. Auch ein eigenes Stimmungsbild, das im März 2017 online erhoben wurde, bestätigt diese Liste im Wesentlichen (vgl. Riegel/Kröck/Faix, 143–169). Neu sind hier lediglich die gehäufte Nennung der Skandale, die in den letzten Jahren die öffentliche Berichterstattung über die Kirchen dominiert haben, namentlich der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, die Renovierung der Bischofsresidenz in Limburg und die verweigerte Abtreibungspille in einem Kölner Krankenhaus in römisch-katholischer Trägerschaft. Hier schlägt sich somit der Zeitpunkt der Erhebung in der Liste der Motive nieder.

      Interessant ist dagegen eine neue Motivgruppe, die dieses Stimmungsbild ergeben hat: Wenige Befragte gaben an, aus der Kirche ausgetreten zu sein, weil sie ihren Sendungsauftrag verfehle. Sie beklagen, dass die Kirche „ein Wirtschaftsunternehmen mit unchristlicher Haltung geworden sei“, „ein Wischi-waschiverein geworden ist“ oder „sich vom christlichen Glauben und katholischen Traditionen abgewandt hat“ (Zitate aus Riegel/Kröck/Faix, 158). Gemeinsames Motiv dieser Antworten ist also nicht die Kritik an einer zu traditionellen Kirche, sondern das Verzweifeln an einer zu liberalen und/oder weltoffenen Kirche. Diese Motivgruppe wurde bislang nur von Kati Niemelä in einer finnischen Stichprobe herausgearbeitet, wo sie deren Größe auf 12 % der Ausgetretenen taxiert. Welche Bedeutung dieses Motiv in Deutschland spielt, kann mit den Daten des Stimmungsbildes nicht beantwortet werden, weil es nicht repräsentativ ist.

      Verändert hat sich auch das gesellschaftliche Umfeld, in dem die genannten Motive wirksam werden. Galt der Kirchenaustritt bis in die 1970er Jahre als Ausdruck eines politischen oder institutionellen Protests, stellt er heute eher einen individuellen Akt ohne gesellschaftliche Botschaft dar. Der Grund dieser

      In pastoraler Hinsicht ist vor allem das Konflikt-Motiv interessant.

      Veränderung liegt in dem, was man soziologisch als Individualisierung bezeichnet: Im Gegensatz zu früher können Institutionen wie Parteien, Vereine oder Kirchen heute das Leben der Menschen nur noch im Ausnahmefall nachhaltig bestimmen. Damit ist es aber nicht mehr notwendig, einer solchen Institution anzugehören. Über die Mitgliedschaft entscheidet damit das eigene Befinden.

      DER PROZESS DES AUSTRITTS

      Auch wenn die Studien zu Austrittsmotiven immer wieder darauf hinweisen, dass sich dieser Austritt als längerer Prozess erweist, wurde der Prozess selbst bislang kaum empirisch in den Blick genommen.

      1999 rekonstruiert Klaus Birkelbach in einem nordrhein-westfälischen Datensatz den Berufseintritt als besonders sensiblen Moment für den Kirchenaustritt. Zu diesem Zeitpunkt wird der Mensch in der Regel zum ersten Mal kirchensteuerpflichtig und somit mit der Tatsache konfrontiert, dass seine Kirchenmitgliedschaft Geld kostet. Für einige Menschen ist diese Einsicht der Anlass, die Mitgliedschaft zu kündigen. Ob dabei der Betrag an sich den Austritt motiviert, oder die Tatsache der Steuerpflichtigkeit eine Auseinandersetzung anregt, in der die Kirchensteuer selbst keine Rolle spielt, kann Birkelbach mit seinen Daten nicht erhellen. Die Daten der oben genannten Motivstudien deuten jedoch darauf hin, dass die Kirchensteuer eher den Anlass als den Grund für den Kirchenaustritt darstellt.

      Stefan Bonath (175–211) rekonstruiert 2005 unterschiedliche Prozesse des Kirchenaustritts, die er selbst als Motive bezeichnet. Neben äußerem Zwang, wenn etwa der Lebenspartner den Austritt verlangt, oder Desinteresse scheint uns vor allem das Konflikt-Motiv in pastoraler Hinsicht interessant zu sein. In diesem Motivbündel finden sich durchweg Menschen, in deren Leben die Kirche eine wichtige Rolle gespielt hat oder immer noch spielt, die aber aus bereits bekannten Motiven heraus (z. B. persönliche Enttäuschung) die Kirche verlassen haben. Nach Bonaths Darstellung handelt es sich hierbei in der Regel jedoch nicht um einen sauberen Schnitt, sondern um einen längeren Prozess, in dem sich die Menschen mit der Kirche auseinandergesetzt und um ihre Mitgliedschaft gerungen haben. Dieser Konflikt scheint bei einigen Befragten noch nicht beendet zu sein, denn sie fühlen sich immer noch in Teilen der Kirche verbunden.

      Auch Michael Ebertz, Monika Eberhard und Anna Lang können 2012 vergleichbare Prozesse rekonstruieren. Einige ihrer Befragten fühlten sich der Kirche nie verbunden und stellen mit ihrem Austritt einen formalen Zustand her, der dem inneren Befinden entspricht. Andere driften einfach aus der Kirche hinaus, weil sie entweder kaum Kontakt zu deren Leben haben oder die einst gespürte Verbundenheit immer schwächer wird. Wie bei der ersten Gruppe stellt der Austritt selbst nur noch einen formalen Akt dar, der die äußeren Verhältnisse mit den inneren zur Passung bringt. Wieder andere befreien sich durch den Kirchenaustritt aus einem Zustand ständiger Enttäuschung, den ihnen die Mitgliedschaft in dieser Institution aus unterschiedlichen Gründen bereitet. Der Austritt bedeutet damit eine individuelle Befreiung. Ein ähnliches Gefühl stellt sich bei den Befragten ein, die die Kirche verlassen haben, weil sie sich durch diese Gemeinschaft in ihrer individuellen Freiheit eingeschränkt gefühlt haben.

      Schließlich gibt es eine Gruppe von Menschen, die sich einst sehr in ihren Gemeinden engagiert haben, irgendwann aber dem oder einigem, wofür Kirche steht, nicht mehr zustimmen konnten. Dieser Konflikt wird von den Befragten gelöst, indem sie aus der Kirche austreten. Sieht man einmal von den ersten beiden Typen des Austrittsprozesses ab, zeichnen auch Ebertz, Eberhard und Lang Entwicklungen nach, die durch einen mehr oder weniger starken inneren Konflikt über eine mehr oder weniger lange Zeit geprägt waren. Der Austritt selbst stellt nur einen Schritt in diesem Konflikt dar, der ihn nicht notwendig beendet. Auch nach dem Austritt selbst scheinen sich der eine oder die andere Befragte noch mit der Kirche zu beschäftigen oder sich ihr der einen oder anderen Weise verbunden zu fühlen.

      DER AUSTRITT ALS INNERER KONFLIKT

      Auch in den Tiefeninterviews, die wir im Rahmen der Essener Verbleibstudie mit Menschen führen konnten, die entweder bereits aus der Kirche ausgetreten sind oder kurz vor diesem Schritt stehen, lassen sich solche inneren Konflikte

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