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dass der Text in seinem wörtlichen Bestand dem menschlichen Autor von Gott eingegeben ist. Damit wird der menschliche Anteil an der Verschriftlichung minimalisiert. Varianten dieser Auffassung finden sich, wenn bestimmte Übersetzungen wie die Septuaginta oder die Vulgata als inspiriert im Gegensatz zu anderen Textformen gesehen werden. Wenn Gott selbst der Urheber der wörtlichen Wendungen ist, so ist dies natürlich auch an bestimmte Sprachen gebunden.

      Grundsätzlich findet sich diese These schon bei Augustinus, führte allerdings erst im orthodoxen Protestantismus zu ihrer ausführlichen Formulierung. Heute wird diese These vor allem von konservativ-evangelikalen Gruppen vertreten. Gelegentlich finden sich Variationen auch in extrem konservativen katholischen Kreisen. Letztlich scheint die Liturgieinstruktion „Liturgiam authenticam“ zu einer solchen Verbalinspiration zu neigen, wenn sie die Nova Vulgata als authentischen Text zu definieren sucht.

      Der Vorteil dieser Art der Schriftinterpretation ist, dass sie kaum Vermittlung braucht. Man geht einfach hin und nimmt die Anweisungen in der Schrift wörtlich.

      Allerdings kann man auch beobachten, dass kaum eine Gruppe dies tatsächlich konsistent tut. Vor allem die jüdischen Gebote werden dann doch entschärft. Wenn jemand dafür argumentiert, dass Ehebrecherinnen heute mit dem Tod bestraft werden sollten, so sind dies meistens keine Christen mehr. Ähnliches gilt natürlich für andere Gebote wie das Vermischen verschiedener Gewebesorten oder das Verbot bestimmter Speisen. Auch neutestamentliche Verhaltensregeln werden heute oft nicht mehr wörtlich genommen, so beispielsweise das Verbot für Frauen, während des Gottesdienstes zu sprechen, oder die Verhaltensregeln für Sklaven gegenüber ihren Herren. Dies bedeutet natürlich, dass die Inerranz der Schrift de facto aufgegeben wird.

      In der Regel kann man also schließen, dass selbst Gruppen, die sich zur Verbalinspiration bekennen, Ausnahmen von dieser Regel kennen. Daher scheint die Verbalinspiration eher nicht praktikabel zu sein.

      Die Realinspiration versucht das Dilemma der Verbalinspiration zu vermeiden, indem sie postuliert, dass nicht der wörtliche Text inspiriert ist, sondern die in ihm beschriebene Sache, lateinisch „res“. Diese Theorie erklärt also die Inhalte des Textes für inspiriert, nicht die Formulierungen der Inhalte. Dies bedeutet auch, dass diese Theorie Abweichungen und Diskrepanzen in Texten erklären kann, ohne gleich die Inspiration als solche in Frage stellen zu müssen. Zudem kann diese Theorie auch menschliches und göttliches Wirken beim Verfassen der Texte besser zusammenhalten. Letztlich macht auch die Möglichkeit der Inerranz und der Suffizienz diese These durchaus attraktiv.

      Allerdings beinhaltet auch diese Theorie ihre Probleme. Zunächst besteht ja die Schwierigkeit darin, die Inhalte eines Textes überhaupt zu definieren. Was genau ist der inspirierte Inhalt des Matthäusevangeliums, und was ist zufälliges Beiwerk? Die Realinspiration trennt die Inhalte der Texte von ihrer literarischen Gestalt. Bedeutet dies also, dass die literarische Form der Texte keine Rolle spielt? So ist beispielsweise der Prozess vor Pilatus im Johannesevangelium äußerst kunstvoll gestaltet. In seinem Zentrum steht die Frage nach der Identität und Art des Königtums Jesu. Die Frage stellt sich, ob wesentliche Inhalte so von der sprachlichen Form getrennt werden können, wie es diese Theorie vorsieht; der Prozess vor Pilatus zeigt aber, dass der Inhalt wesentlich von der literarischen Form vermittelt wird.

      Die Personalinspiration ist eng mit der Realinspiration verwandt. Sie behauptet nicht die Inspiration der realen Inhalte, sondern die persönliche Inspiration der menschlichen Verfasser der Schriften, die nun als freie menschliche Subjekte geachtet werden, die unter dem Einfluss einer persönlichen Geisteingebung mit ihren Mitteln die Texte verfassten. Will man also den inspirierten Inhalten der Texte näherkommen, muss man versuchen, die Intention dieser Autoren zu eruieren, ihre Situation zu erfassen und ihre literarischen Fähigkeiten und unterschiedlichen Ausdrucksweisen zu analysieren.

      Allerdings stellt sich hier die Frage, ob eine solche Suche nach den Autorenintentionen überhaupt erfolgreich sein kann, wenn wir doch über viele der neutestamentlichen Autoren so gut wie nichts wissen und diese über 2000 Jahre Geschichte und Kultur von uns getrennt sind. Gerade die Evangelien sind ja anonym verfasst – und dies wohl auch mit Absicht. Zudem sind gerade die Evangelien Zeugnisse eines langen Traditionsprozesses. Die Rückfrage nach den Verfassern der Evangelien wird damit aber äußerst komplex.

      Die These von einer ekklesialen Inspiration wurde von Karl Rahner entwickelt. Rahners Anliegen war, die Inspirationslehre an die Geschichte der Kirche und des Kanons rückzubinden. Rahner postulierte, dass Gott als Autor der Schrift gleichzeitig auch der Stifter der Kirche ist. Ist das Werden der Kirche nun an den Willen Gottes gebunden, so entspricht dies dem Prozess der Schriftwerdung. So wie Kirche wird, wird auch der Kanon. Daher ist der inspirierte Kanon jeweils in der Kirche zu interpretieren. Die Inspiration der Schrift findet sich in der Kirche, und die Kirche als Ausdruck des Willens Gottes findet sich gleichzeitig in der Schrift. Es handelt sich dabei also um eine fast symbiotische Beziehung zwischen Kirche und Schrift. Dies bedeutet für Rahner dann als Konsequenz, dass die göttliche Inspiration der Schrift in der gemeinschaftlichen Auslegung der Kirche erhoben werden kann. Dabei lässt Rahner noch offen, ob es innerhalb kirchlicher Instanzen auch eine Rangordnung der Auslegung geben kann oder soll. Im Übrigen kann die ekklesiale Inspiration auch die Traditionsbildung bis hin zu den Evangelien sehr gut integrieren.

      Die katholische Kirche bekennt sich zwar zur Inspiration, nicht aber zu einer bestimmten Theorie, wie diese zu verstehen sei. Selbst das nachsynodale Apostolische Schreiben „Verbum Domini“ von Papst Benedikt XVI. aus dem Jahr 2010 geht zwar auf eine ekklesiale Inspirationstheorie zu, konstatiert aber auch, dass dies Modell lediglich im übertragenen Sinn anwendbar ist. Letztlich bleibt also die konkrete Art des Verwebens von Menschenwort und Gotteswort in den Texten der Schrift offen.

      Am Beginn des Markusevangeliums steht der Aufruf zur Bekehrung und zum Glauben an das Evangelium (Mk 1,15). Die Evangelien beschreiben immer wieder Menschen, die Jesus mit Begeisterung nachfolgen. Immer wieder werden Menschen beschrieben, die Jesus als ihren Herrn bekennen. Neben diesen Figuren gibt es allerdings auch genügend, die sich von Jesus abwenden oder denen die Nachfolge zu schwierig erscheint. Dazu gehören nicht nur der reiche Jüngling (Mt 19,16–22), sondern auch die zahlreichen Gegner Jesu, die ihn schließlich ans Kreuz schlagen lassen. Jesus wird zur Figur, an der sich die Geister scheiden. Die Evangelien sind Schriften, die zur Nachfolge aufrufen wollen.

      In der Geschichte wird immer wieder deutlich, dass der Aufruf zur Nachfolge ganz unterschiedliche Formen annehmen kann. Augustinus, Franz von Assisi, Oscar Romero oder Franz Jägerstätter, Hildegard von Bingen, Teresa von Avila, Madeleine Delbrêl oder Doris Day sind Beispiele für Menschen, die diesem Aufrufgefolgt sind. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen, doch wird aus dieser willkürlichen Auswahl deutlich, wie unterschiedlich sich an den Evangelien orientierte Lebensentwürfe entwickeln können.

      Wie auch immer man auf den Anruf des in den Evangelien bezeugten Gottes reagieren mag, ob man ihn aufnimmt oder ablehnt, letztlich bleiben die Evangelien nur dann verständlich, wenn man ihren Anruf ernst nimmt. Die Faszination der Evangelien besteht darin, dass diese Einladung auch nach 2000 Jahren durch alle kulturellen und historischen Entwicklungen hindurch noch immer klingt.

      Einen guten, wenn auch sehr technischen Überblick über die verschiedenen Modelle zur Entstehung der Evangelien bietet Sandra Hübenthal: Das Markusevangelium als kollektives Gedächtnis (Göttingen 2014), S. 11–71. Die neueren Modelle mündlicher Tradition wurden hauptsächlich im englischsprachigen Raum entwickelt. Thomas Söding: Die Verkündigung Jesu – Ereignis und Erinnerung (Freiburg 2011) bietet eine deutschsprachige Diskussion.

      Zur Rekonstruktion der Redequelle bietet Christoph Heil: Das Spruchevangelium Q und der historische Jesus (Stuttgart 2014) einen verständlichen Zugang.

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