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Buch trägt den Untertitel »Kunst, Athletik, Perfektion«. Diese drei Begriffe bringen die besonderen Aspekte des Wasserspringens zum Ausdruck.

      Das Springen von den Sprungbrettern aus 1 und 3 Meter Höhe wird wie schon erwähnt auch als Kunstspringen bezeichnet. Selbstverständlich gehört ebenso das Turmspringen in diesem hier vorzustellenden Sinne zum »Kunst«springen.

      Worin liegt die Kunst im Wasserspringen? Was bedeutet Kunst? Die Redewendung »Kunst kommt von Können« entspricht tatsächlich dem eigentlichen Wortstamm. Kunst bezeichnet angeworbene Fertigkeiten und unterscheidet sich so von dem Begriff Natur, dem Ursprünglichen.

      In der Neuzeit wurde der Begriff mit dem Begriff der Ästhetik verbunden. Die Fertigkeit, wird zur Kunst, wenn sie mit Schönheit belegt ist. Das bezog sich auf die bildenden Künste, die musikalischen, literarischen und darstellerischen. Neuzeitliche Künste, die auf den Sport bezogen werden können, waren Tanzkunst, Fechtkunst und Reitkunst.

      Sprungkunst in Reinform: Tania Cagnotto beim Absprung zum zweieinhalbfachen Auerbachsalto gehechtet vom 3-m-Brett.

      Kunst entstand unabhängig von Handlungen die der Lebenserhaltung dienten (außer u. U. die Fechtkunst ...). Schon Funde aus der Altsteinzeit belegen, dass vermutlich religiöse oder kultische Rituale begleitet wurden von Musik (Flöten) und Schmuck.

      Der Wasserspringer stellt ebenfalls sein Können dar. Sein Können soll nicht nur den Wettkampfregeln entsprechen sondern schön erscheinen. Beeindrucken. Die Wasserspringer sind an sich nicht geschmückt, sondern eher nackt. Die Badebekleidung kann die Schönheit des Körpers unterstreichen. Die Springer stellen sich und ihre Sprünge dar. Vor den Kampfrichtern im Wettkampf, vor den Badegästen im Training. Schon bei kleinen Kindern ist manchmal eine größere Motivation zu spüren, wenn ihnen jemand (vor allem Gleichaltrige) zuschaut.

      Vom Turm besteht die Faszination in der Gestaltung des tiefen freien Falls. Vom Brett die Dynamik des In-die-Höhe-Steigens und Fallens. Beiden gemein ist die Schönheit des gestreckten Eintauchen ohne viel Wasserspritzer sowie die Faszination, wie der Körper beim Eintauchen von etwa 60 km/h auf 0 km/h abgebremst wird.

      Horst Görlitz sagte immer: »Können musste de Piepen.« Wenn man den Sprung beherrscht kann man sich auf die Schönheit der Ausführung, der Darstellung konzentrieren – der Sprung kann (scheinbar) mühelos und leicht und spielerisch aussehen.

      Die athletischen Anforderungen sind in den letzten 20 Jahren enorm gestiegen. Begründet ist dies durch die Entwicklung, immer früher, immer schwierigere Sprünge zu springen – auch auf die Gefahr hin, unsauber ins Wasser zu kommen. Sowie durch die Entwicklung der Sprungbretter, die deutlich flexibler, im Schwungverhalten schneller sind und höher abwerfen als früher. Die Absprungtechnik von der Plattform hat sich zu einer immer tieferen Hocke entwickelt, um höher nach oben springen zu können.

      Das Streben nach perfektem Wasserspringen bedarf einer gut ausgebildeten körperlichen Konstitution und Fitness. Und zwar in jedem Alter. Vor allem bei Kindern sollte individuell und altersgerecht trainiert werden und nicht zu früh zu belastend. Auch ältere Springer benötigen entsprechende athletische Voraussetzungen und sollten sich nicht überschätzen.

      Die Vielseitigkeit und Häufigkeit des Trainings in Form von belastungsvorbereitender Gymnastik auf dem Trampolin und im Wasser bildet bereits eine besondere Athletik aus. Soll darüber hinaus aus präventiven und leistungssportlichen Aspekten mehr getan werden, dann kann man gezielte Übungen zur Muskelkräftigung im Kraftraum oder mit dem Theraband durchführen und das Bodenturnen intensivieren. Dazu bedarf es allerdings noch viel mehr an Trainingsumfang – was heutzutage in Deutschland nur an den Bundesstützpunkten geleistet werden kann.

      Die perfekte Figur alleine macht die Kunst des Springens noch nicht aus. Horst Görlitz bestand darauf schlanke Springer zu trainieren, wies öfter bei korpulenteren Springern darauf hin, dass manche »ein besseres Luftgefühl« hätten, was ich aus meiner Erfahrung heute bestätigen kann.

      Perfektion erfordert ständiges Üben und fortwährendes Wiederholen des Gleichen. Das kann sehr anstrengend, unangenehm und eintönig sein – für Sportler und Trainer. Hier ist Geduld gefordert.

      Die Perfektion liegt im Detail und wird eingeübt, erarbeitet. Der »perfekte« Sprung im Wettkampf ist nahezu komplett automatisiert – also eingeübt – hat aber noch Ressourcen für eine ganz besondere Leichtigkeit und Ästhetik.

      Perfektion kann, wenn man sie als Absolutes sehen möchte, die Gefahr einer »Verhärtung« mit sich bringen: Man will dies oder jenes unbedingt erlernen. Es »muss« perfekt sein. Ganz allgemein, ob in Sport oder Musik, erfordert es große pädagogische Fähigkeiten, die Schüler, Sportler zur Perfektion zu begleiten. Aber der Sportler/Schüler selbst kann auch »verhärten« in der Unzufriedenheit, es eben nicht perfekt geschafft zu haben.

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      David Boudia (USA), 2012 in London Olympiasieger vom Turm, während des viereinhalbfachen Salto vorwärts gehockt.

      Ich glaube Perfektion ist vielschichtiger, weniger einzigartig. Es kann im Training passieren, dass ein Kind plötzlich einen »perfekten« Fußsprung vorwärts gestreckt springt, obwohl die Zehen beim Eintauchen nicht gestreckt waren. Es würde nur keine Höchstnote erhalten, trotzdem war der Sprung für mich als Trainer in Bezug zu dem, was ich dem Kind gerade beibringen möchte, »perfekt«.

      Ich empfehle, die Perfektion als eine Suche, ein Streben, einen offenen Prozess zu betrachten, in dem ein Reiz, eine Freude und Lust liegt. Man hat auch Lust und Interesse daran, dies oder jenes so gut zu können und strebt danach. Gelingt es, freut man sich, gelingt es nicht, arbeitet man weiter und versucht es erneut. Aber Vorsicht vor Zwang und Selbstzwang – das ist psychisch und physisch ungesund!

      Es gibt hier kein »Muss«.

      Letztendlich ist es die Leichtigkeit, die die Perfektion kunstvoll und ästhetisch erscheinen lässt. Aber die »Leichtigkeit« will erarbeitet, trainiert werden. Wer sie beherrscht, kann dann im besonderen Moment versuchen, eine ganz besondere Schönheit bewusst auszustrahlen. Das allerdings gelingt den wenigsten und das auch noch selten.

      Eine, die es erlebte, ist Tania Cagnotto bei ihrem letzten großen Wettkampf, der Weltmeisterschaft 2015 in Kasan, bei der sie im Alter von 30 Jahren und nach 30 (!) EM-Titeln den Wettbewerb vom 1-m-Brett für sich entschied. Danach erklärte sie: »Es ist ein harter Sport. Man braucht so viel Geduld, so viel Hartnäckigkeit, und dann kommt der Wettkampf und die Tagesform entscheidet. Immer.« Am Ende des Interviews fügte sie hinzu: »Ich wollte in Schönheit abschließen.«12 Das ist ihr gelungen.

      Es kann nun nicht jeder Weltmeister werden, aber viele können gute Wasserspringer werden mit Freude an der Sportart. Man kann vieles für das Leben außerhalb des Sports lernen, für sich mitnehmen und an andere weitergeben.

      _________

      1siehe auch http://www.wasserspringen-ka.de/Wasserspringen_in_Karlsruhe/Historie.html

      2https://ishof.org/franco-giorgio-cagnotto-(ita).html

      3http://www.taniacagnottoweb.net

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