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Einheit beschworen, das über den Einzelnen hinausgeht. US-Rockstar Bruce Springsteen hat dieses Gefühl mal so beschrieben: „Wir kommen in eine Halle, und da ist nichts. Wir kommen zusammen mit den Menschen, die unsere Musik hören wollen. Und gemeinsam mit ihnen erschaffen wir etwas reales, etwas greifbares. Da liegt etwas in der Luft, das man nicht in Worte fassen kann.“

      Die Popmusik bedient sich dabei auch sehr gerne der Symbolik des Christentums und der anderen Weltreligionen. Ohne die biblischen Texte über Verdammnis und Hölle würde es kein „Highway to Hell“ von AC/DC und kein „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones geben. Musik und Religion hängen also enger zusammen, als man vielleicht denken mag. Auf vielerlei Ebenen.

      Mich hat dieses Thema schon immer fasziniert. Als Moderator im katholischen Kölner Radiosender domradio habe ich mit beidem, Musik und Religion, täglich zu tun. Wie oft es da zu Zusammenhängen und Überschneidungen kommt, ist erstaunlich. Jede Radiostunde beenden wir im Programm mit einem „Himmlischen Hit“; ein Popsong, der etwas ruhiger ist als der Rest des Programms. Eine Möglichkeit runter zu kommen, zu sinnieren und auch zuzuhören, denn in diesen Liedern von Cat Stevens, Ed Sheeran, Katie Melua oder Udo Lindenberg finden sich fast jedes Mal auch Fragen zu Religion oder Spiritualität. Antworten werden übrigens eher selten geliefert, da müssen wir uns schon selber drum kümmern. Im Radioalltag finden sich viele solcher Geschichten, die zum Nachdenken über Gott und die Welt anregen. Ein paar davon habe ich im vorliegenden Buch gesammelt. Einige Geschichten befassen sich mit den schweren Fragen des Lebens, wenn zum Beispiel Eric Clapton in „Tears in Heaven“ Gott fragt, weshalb er seinen vier Jahre alten Sohn hat sterben lassen. Andere kratzen eher schmunzelnd an der Oberfläche. Belinda Carlisle findet in einem Disco-Klassiker heraus, dass der Himmel sowieso ein Platz auf Erden ist, wenn wir nur ordentlich tanzen gehen. Und mit welchen Worten beginnen wir unsere erleuchtete Reise durch die Popmusik? Ich wähle die Worte des britischen Singer-Songwriters Frank Turner (Atheist). In dem Lied„I still believe“ antwortet er auf die Frage nach seinem Glauben: „Ich glaube daran, dass jeder von uns ein Lied für sich finden kann. Ein Lied für jeden Moment, an dem wir gewonnen oder verloren haben. Wir retten hier keine Leben, wir retten Seelen. Und wir haben Spaß dabei.“ In diesem Sinne!

      Vom Sklavenlied zur Rock-Hymne

      TITEL:God’s gonna cut you down (Traditional vor 1900)

      ALBUM:„American V: A Hundred Highways“ von Johnny Cash

      Ich war ein wenig überrascht, als ich gesehen habe, dass eines meiner Lieblingslieder von Country-Legende Johnny Cash schon weit über 100 Jahre alt ist. Ein Spiritual, eine Tradition der schwarzen Sklavenarbeiter in den amerikanischen Südstaaten. Um ihren eintönigen und schweren Arbeitsalltag zu überstehen, hatten sie immer eine Melodie auf den Lippen. Viele dieser Lieder sind die Vorläufer unserer heutigen Pop- und Rockmusik. Spirituals kamen in die Kirchen als Gospel, die Gospel-Musik verließ um 1900 die Kirchen und wurde zum Blues, der Blues wurde zum Jazz, und beides zusammen legte den Grundstein für den Rock n Roll. Der Kreis schließt sich bei diesem Lied wieder perfekt mit Johnny Cash. Die Rock-Version eines Spirituals. Cash lässt sich schwer in eine Schublade einordnen. Man könnte natürlich sagen Country-Musiker, sein Lebenslauf sieht aber eher nach Rockstar aus. Seine ersten Aufnahmen hat er in den Sun-Studios in Memphis gemacht, zur gleichen Zeit als dort ein junger Elvis Presley angefangen hat schwarze Musik zu machen, die auch Weiße hören wollten. Cash ging auf Tour mit Presley und Jerry Lee Lewis und brachte diese neue Art der Musik hinaus in die Welt. Immer wieder geriet er dabei aber ins Straucheln. Die erste Ehe scheiterte, und immer wieder hatte er Probleme mit Drogen. Dieser Unzulänglichkeiten war er sich sehr bewusst. „Ich müsste schon 100-mal tot sein“, sagte er mal. Und trotzdem hat er sich immer wieder aufgerafft. Hat angefangen Musik für die zu machen, die es schwerer hatten als er. In den Gefängnissen in Folsom und San Quentin spielte er hinter Gittern für die Gefangenen und sang auch für sie von Hoffnung und Erlösung. Um die Leiden der Menschen nicht zu vergessen, begann er in dieser Zeit nur noch in schwarz gekleidet aufzutreten. Den „Man in Black“ nannten sie ihn. Warum hat er im gleichnamigen Lied erklärt. „Ich trage schwarz für die, die nie die Worte Jesu hörten. Worte vom Weg zur Erlösung durch Liebe und Selbstlosigkeit. Das betrifft uns alle.“ Nach ein paar Jahrzehnten mäßigen Erfolges, kam Mitte der 90er-Jahre das große Comeback. Hip-Hop Produzent Rick Rubin hat sich Cash angenommen. Johnny brachte die Stimme, die der Gesellschaft gefehlt hat. Die Stimme des Mannes, der viel erlebt hat, gutes wie schlechtes, und der Generation nach ihm ein paar Ratschläge mitgeben kann. Gegen Ende seines Lebens hat die Country-Legende sich da noch mal richtig aufgerafft und hunderte (!) von Liedern aufgenommen, mit seinem ganz eigenen Dreh (Aus dieser Zeit kommt übrigens auch Johnny Cash’s eindringliche Version von „Hurt“, siehe das entsprechende Kapitel). Cover-Versionen von Liedern von Tom Petty, Neil Diamond, Sheryl Crow und anderen hat er aufgenommen, aber auch alte Spirituals. Im Jahr 2005 erschien dann „God’s gonna cut you down“ auf Cash’s posthum veröffentlichtem „A Hundred Highways“-Album. Die Neuinterpretation dieses alten Sklavenliedes bekommt bei ihm noch mal eine ganz andere Bedeutung. Mit stampfendem Rhythmus und monotonem Klatschen klingt seine Version anders als alle anderen Inkarnationen des Liedes. Treibender, drängender. Kurz vor seinem Tod scheint ihm ganz klar, dass Gott ihn irgendwann einholt. Zeit zur Umkehr nach einem sündigen Leben könnte man sagen. „Renne so lang du willst, Gott holt dich ein.“ Im Text gibt es aber auch ganz konkrete biblische Verweise: „Ich kniete mich nieder und sprach zu dem Mann aus Galiläa. Seine Stimme so zart wie die Fußschritte der Engel. Er rief meinen Namen. Mein Herz blieb stehen, als er sagte: John, folge meinen Worten!“ Das Schicksal der Sklaven, die dieses Protestlied geschrieben haben, wird aber auch mehr als deutlich. Mit diesem Lied haben sie ihre Hoffnung ausgedrückt, dass die Ungerechtigkeit ihrer Lebenssituation irgendwann ein Ende findet, auch wenn es erst im Himmel sein mag. „Schmeißt nur mit euren Steinen, beutet eure Mitmenschen aus. Aber so sicher wie Gott Schwarz und Weiß geschaffen hat, werden eure Taten aus dem Dunkel ans Licht gebracht.“ Johnny Cash ist übrigens bei weitem nicht der einzige Künstler, der diesem Lied seine ganz eigene Stimme gegeben hat. Von Elvis Presley über den Techno-DJ Moby hin zur Death-Metal-Band „Panzerfaust“ funktioniert die Botschaft der Unterdrückung und Hoffnung auf Gerechtigkeit in vielen Musikrichtungen. Die wohl wichtigste Version stammt übrigens von der schwarzen Bürgerrechtlerin Odetta Holmes aus dem Jahr 1960. Für Protest-Musiker wie Bob Dylan und Joan Baez war sie ein großes Vorbild. Martin Luther King Jr. hat sie als Königin der Folkmusik bezeichnet. Mit ihrer Musik, auch mit diesem Lied, hat sie also auch politisch einiges bewegt.

      Wenn Musiker bei der Bibel klauen …

      TITEL:Turn! Turn! Turn! (To everything there is a season) – Pete Seeger

      ALBUM:Turn! Turn! Turn! (The Byrds, 1965)

      Ein Lied, das in die Geschichte eingegangen ist. Als es 1965 auf Platz 1 der US-Charts stand, war es das Lied mit dem ältesten Text der Popgeschichte. Das wird es wohl auf absehbare Zeit auch bleiben. Der Text von „Turn! Turn! Turn!“ wurde fast komplett dem Alten Testament entnommen. Genauer gesagt dem Buch Kohelet. Bibelwissenschaftler vermuten, dass das Buch irgendwann zwischen dem zehnten und dritten Jahrhundert vor Christus verfasst wurde. Der Text zum Lied ist also mindestens 2300 und vielleicht auch 3000 Jahre alt. Das Buch Prediger zählt zu den eher schwierigen Texten der Bibel. Es enthält eine Sammlung von allgemeinen Richtlinien und Lebensweisheiten. Der Text des Liedes stammt aus dem dritten Kapitel des Buches (Pre 3,1–8). Die Zeilen waren damals genau so aktuell, wie sie heute noch sind. In den 50er-Jahren hat das den Liedermacher und Protestmusiker Pete Seeger (bekannt unter anderem durch „Where have all the Flowers gone?“) dazu bewegt eine Melodie zu den alten Worten zu verfassen. Ein Protestlied sollte es werden, das vor allem den Frieden in den Mittelpunkt stellt. „Eine Zeit für den Frieden“ erhofft er sich, „ich schwöre, es ist noch nicht zu spät“. Der biblische Text stellt die verschiedenen Aspekte des Lebens, positiv wie negativ, gegenüber. Für alles gibt es eine Zeit: Zum Leben und Sterben, zum Lachen und Weinen, zum Bauen und Abreißen, zum Lieben und Hassen. Das Lied kam zu einer Zeit auf dem Markt, als die Hippie- und Friedensbewegung ihren Höhepunkt hatte. Der Vietnamkrieg war in vollem Gange und auch der Konflikt Amerikas mit der Sowjetunion war allgegenwärtig. Immer mehr junge Leute in den USA wünschten sich eine Zeit des Friedens und sind auf die Straße gegangen. Musikalisch wurden

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