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weil sie der Auffassung waren, dass dies, vor allem angesichts der positiven Beratungserfolge im Sinne des Embryonenschutzes, die bessere Möglichkeit war, das Leben der Ungeborenen zu schützen, dafür aber in Kauf nahmen, dass sie in diesem Prozess auch Schuld auf sich nehmen müssten.

      44 Das gilt auch in pastoraler Hinsicht, denn es gibt eine deutliche Aufgabenspezifizierung zwischen Priestern, die vor allem für Liturgie, Kasualien und Sakramentenspendung zuständig sind und den Laien, deren Dienst in der und an der Welt immer wieder stark in den Mittelpunkt gestellt wird. Übernehmen letzteres die Laien, sind die Priester davon selbstverständlich dispensiert.

      45 Vgl. Gabriel, K., Christentum zwischen Tradition und Postmoderne, Freiburg 2000; ders., Entkirchlichung. In: Lexikon für Theologie und Kirche. Dritte völlig neu bearbeitete Aufl., hrsg. von W. Kasper u.a. Bd. 3, Freiburg 1995, Sp. 681; ders., Säkularisierung und Religiösität im 20. Jahrhundert, in: Bueb, B. u.a., Alte Werte – Neue Werte. Schlaglichter des Wertewandels, Göttingen 2008, 97-106

      46 Vgl. die Diskussion von 20 prominenten Menschen aus dem Bereich der Politik, der Theologie und der Kirche zum Verständnis dieser Rede in: Erbacher, J. (Hg.), Entweltlichung der Kirche? Die Freiburger Rede des Papstes, Freiburg 2012

      47 Vgl. Habermas, J. / Ratzinger, J., Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion, Freiburg 2005; Habermas, J., Zwischen Naturalismus und Religion, Frankfurt am Main 2005; Peters, T. R., Mehr als das Ganze. Nachdenken über Gott an den Grenzen der Moderne, Ostfildern 2008; Mate, R., Die Religion in der postsäkularen Gesellschaft. Zur Debatte zwischen Flores d’Arcais und Habermas, in: Polednitschek, T. / Rainer, M. J. (Hg.), Theologisch-politische Vergewisserungen. Ein Arbeitsbuch aus dem Schüler- und Freundeskreis von Johann Baptist Metz, Münster 2009, 197-209; Höhn, H.-J., Postsäkular. Gesellschaft im Umbruch – Religion im Wandel, Paderborn 2007

      Es kann in den folgenden soziologischen und zeitdiagnostischen Außenbetrachtungen nicht darum gehen, eine umfassende Analytik zu entwickeln. Wiederum soll der Versuch unternommen werden, die für unsere Fragestellung relevanten Entwicklungen und Perspektiven herauszuarbeiten und kritisch zu reflektieren. Dieses Vorgehen mag religionssoziologisch anfragbar sein, erscheint hier dennoch gerechtfertigt, um nicht aus dem Blick zu verlieren, was unsere Aufgabe hier ist.

      Inzwischen hat sich der Topos „Zeichen der Zeit“ so sehr in den alltagssprachlichen Gebrauch verallgemeinert, dass die Tiefenstruktur dieses Wortes kaum noch wahrgenommen wird. Mit den Zeichen der Zeit ist keineswegs bloß eine tagespolitische Zeitansage, auch nicht einfach eine bloß die Gegenwart erfassende Rede gemeint, vielmehr rühren die Zeichen der Zeit zugleich an Vergangenheit und Zukunft. Zeichen der Zeit sind auch Erinnerungen, Hoffnungen, Sehnsüchte; Signaturen einer Welt, die Veränderungen durchläuft, die in diesen aber zugleich auch Opfer produziert; die Versprechen macht, von denen die Gegenwart zehrt und sie für die Zukunft fruchtbar machen möchte.

      Die Suche nach den Zeichen der Zeit, wie sie spätestens seit der bahnbrechenden Enzyklika von Johannes XXIII. Pacem in terris (1963) der Theologie aufgegeben ist, öffnet zugleich wiederum die Türen der Kirche und der Theologie. Eine reine Binnenperspektive reicht zur Erfassung der Zeichen der Zeit nicht mehr hin, ja, sie ist von Johannes geradezu ausgeschlossen. Theologie kann nunmehr auch die Auseinandersetzung mit anderen Wissenschaften nicht mehr ablehnen. Es lohnt, die entscheidende Passage aus Gaudium et spes noch einmal zu zitieren, die die Grundlagen von Pacem in terris aufgreift und zugleich weiterführt.1

      „Zur Erfüllung dieses ihres Auftrags obliegt der Kirche allzeit die Pflicht, nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Licht des Evangeliums zu deuten. So kann sie dann in einer jeweils einer Generation angemessenen Weise auf die bleibenden Fragen der Menschen nach dem Sinn des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens und nach dem Verhältnis beider zueinander Antwort geben. Es gilt also, die Welt, in der wir leben, ihre Erwartungen, Bestrebungen und ihren oft dramatischen Charakter zu erfassen und zu verstehen. Einige Hauptzüge der Welt von heute lassen sich folgendermaßen umschreiben. Heute steht die Menschheit in einer neuen Epoche ihrer Geschichte, in der tiefgehende und rasche Veränderungen Schritt um Schritt auf die ganze Welt übergreifen. Vom Menschen, seiner Vernunft und schöpferischen Gestaltungskraft gehen sie aus; sie wirken auf ihn wieder zurück, auf seine persönlichen und kollektiven Urteile und Wünsche, auf seine Art und Weise, die Dinge und die Menschen zu sehen und mit ihnen umzugehen. So kann man schon von einer wirklichen sozialen und kulturellen Umgestaltung sprechen, die sich auch auf das religiöse Leben auswirkt. Wie es bei jeder Wachstumskrise geschieht, bringt auch diese Umgestaltung nicht geringe Schwierigkeiten mit sich. So dehnt der Mensch seine Macht so weit aus und kann sie doch nicht immer so steuern, daß sie ihm wirklich dient. Er unternimmt es, in immer tiefere seelische Bereiche einzudringen, und scheint doch oft ratlos über sich selbst. Schritt für Schritt entdeckt er die Gesetze des gesellschaftlichen Lebens und weiß doch nicht, welche Ausrichtung er ihm geben soll. Noch niemals verfügte die Menschheit über soviel Reichtum, Möglichkeiten und wirtschaftliche Macht, und doch leidet noch ein ungeheurer Teil der Bewohner unserer Erde Hunger und Not, gibt es noch unzählige Analphabeten. Niemals hatten die Menschen einen so wachen Sinn für Freiheit wie heute, und gleichzeitig entstehen neue Formen von gesellschaftlicher und psychischer Knechtung. Die Welt spürt lebhaft ihre Einheit und die wechselseitige Abhängigkeit aller von allen in einer notwendigen Solidarität und wird doch zugleich heftig von einander widerstreitenden Kräften auseinandergerissen. Denn harte politische, soziale, wirtschaftliche, rassische und ideologische Spannungen dauern an; selbst die Gefahr eines Krieges besteht weiter, der alles bis zum Letzten zerstören würde. Zwar nimmt der Meinungsaustausch zu; und doch erhalten die gleichen Worte, in denen sich gewichtige Auffassungen ausdrücken, in den verschiedenen Ideologien einen sehr unterschiedlichen Sinn. Man strebt schließlich unverdrossen nach einer vollkommeneren Ordnung im irdischen Bereich, aber das geistliche Wachstum hält damit nicht gleichen Schritt. Betroffen von einer so komplexen Situation, tun sich viele unserer Zeitgenossen schwer, die ewigen Werte recht zu erkennen und mit dem Neuen, das aufkommt, zu einer richtigen Synthese zu bringen; so sind sie, zwischen Hoffnung und Angst hin und her getrieben, durch die Frage nach dem heutigen Lauf der Dinge zutiefst beunruhigt. Dieser verlangt eine Antwort vom Menschen. Ja er zwingt ihn dazu.“ (GS, 4)

      Mit den Formulierungen des Konzils ist schon eine deutliche Richtung hin zu einer gesellschafts- und zeitkritischen Wahrnehmung des Bestehenden angedeutet, die aber in der jeweiligen Durcharbeitung konkreter zu fassen ist. So ist wohl auch zu fragen, ob nicht die Zeichen der Zeit gleichsam eine Signatur tragen, die in den unterschiedlichen Kontexten auch unterschiedlich sein kann, die aber eine hermeneutische Superstruktur erkennbar werden lässt. Für jede europäische Theologie dürfte die Signatur eine „nach Auschwitz“2 sein, insofern Auschwitz jede positive Explikation von Sinn unter Generalverdacht stellt. „Die kleinste Spur sinnlosen Leidens in der erfahrenen Welt“, so schrieb Adorno, „straft die gesamte Identitätsphilosophie Lügen“.3 Es wäre aber ein Irrtum und ein unerlaubter Eurozentrismus, dies alleine mit dem Namen Auschwitz zu verbinden. Explizit formuliert Adorno in der Ästhetischen Theorie: „Schon vor Auschwitz war es angesichts der geschichtlichen Erfahrungen affirmative Lüge, irgend dem Dasein positiven Sinn zuzuschreiben.“4 Theologisch deutlich hat Gustavo Gutiérrez die Frage gestellt, wie man von Ayacucho aus von Gott sprechen könne5, also von einem Ort aus, der schon seit Jahrhunderten für das lateinamerikanische Volk mit den größten Gräueln verbunden ist. Dom Helder Camara hat schon vor Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils auf die Kontextualität der Erkundung der Zeichen der Zeit hingewiesen. In einem Brief vom 25. Dezember 1960 an Kardinal Marcelo Mimmi schreibt er:

      „Verzeihen Sie, Eminenz, mit allem schuldigen Respekt vor den für die Organisation des Konzils Verantwortlichen möchte ich mit Sorge über die Kommission, deren Berater ich bin, feststellen, daß erstens die vorbereitenden Fragelisten auf Antworten zielen, die mehr administrativer Routine als dem Niveau eines Ökumenischen Konzils entsprechen, und daß die Fragebogen nicht die grundlegenden und sehr schwierigen Probleme berühren, die die Menschheit

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